Daß sie bislang keinen Kesselkriegern begegnet waren, hielt Taran für einen Glücksfall. Der Fürst dachte anders darüber. „Wir müssen mit allem rechnen“, meinte er stirnrunzelnd. „Doli hat Neuigkeiten gebracht, die mich sehr bedenklich stimmen.“
„Doli ist fort gewesen?“ Es wurde dem Jungen erst jetzt bewußt, daß er den Zwerg eine Zeitlang nicht mehr gesehen hatte.
„Ja, ich bin weggewesen“, bestätigte Doli mürrisch. „Gwydion hat mich als Kundschafter vorgeschickt, ich mußte mich unsichtbar machen. Nun habe ich Ohrensausen, als summte und brummte in meinem Schädel ein ganzer Bienenschwarm.“ Gwydion rief die Krieger zusammen und ermahnte sie zu erhöhter Wachsamkeit. „Doli hat mir berichtet, daß Arawns Häscher den Wald durchstreifen. Sie gleichen den Kesselkriegern an Grausamkeit, übertreffen sie aber an Kraft. Obwohl nicht beritten, sind sie doch außerordentlich flink und ausdauernd.“
„Kann man sie töten?“ fragte der Junge. „Man kann es“, bestätigte Gwydion. „Und doch: Wenn du einen von ihnen tötest, ist nichts gewonnen, im Gegenteil! Die Kraft des Gefallenen überträgt sich auf seine Kumpane, das hat der Herr von Annuvin mit seinen Zauberkünsten so einzurichten verstanden. Ich rate euch deshalb: Laßt euch auf keinen Kampf mit den Häschern Arawns ein, wann immer ihr es vermeiden könnt! Mit jedem von ihnen, dem ihr den Tod gebt, erstarken die Überlebenden. Je geringer an Zahl, desto stärker und übermächtiger werden sie. – Doch genug davon! Legt euch nieder und schlaft ein wenig, um Mitternacht geht es weiter.“
Taran schreckte mit einem Ruck aus dem Schlaf und tappte nach seinem Schwert. Adaon war schon wach, er beruhigte ihn. Der Mond schien auf sie hernieder, kalt und gleichgültig. Eine Gruppe von Morgants Kriegern bewegte sich schattenhaft auf den Rand der Mulde zu, Rüstungen klirrten leise, zuweilen knirschte ein Sattelgurt.
Doli hatte sich wieder unsichtbar machen müssen, er war schon vor einiger Zeit zum Dunklen Tor aufgebrochen. Fflewddur Fflam war gerade dabei, sich die Harfe auf den Rücken zu schnallen. „Ich bezweifle ja, daß ich sie überhaupt brauchen werde“, meinte er nachdenklich. „Doch ein Fflam hat zu allen Zeiten für alles gerüstet zu sein.“
Coll trat herzu, er trug einen niedrigen, plumpen Helm auf dem kahlen Schädel. Sein Anblick erfüllte den Jungen mit Wehmut. Taran umarmte den alten Krieger. „Keine Bange!“ rief Coll und klopfte ihm auf die Schulter. „Wir werden das schneller schaffen, als ihr’s euch träumen laßt. Und dann nichts wie nach Caer Dallben zurück!“
In einen Mantel aus schwarzem Tuch gehüllt, tauchte König Morgant auf. Als er Taran erblickte, verhielt er das Roß und sagte: „Schade, daß du nicht meiner Abteilung angehörst! Gwydion hat mir von dir erzählt, du scheinst Mut zu haben. Als Kriegsmann vermag ich das zu beurteilen.“
Es war das erstemal, daß Morgant mit Taran gesprochen hatte. Der Junge war so verblüfft, daß er zunächst keinen Laut hervorbrachte. Ehe er etwas antworten konnte, war Morgant verschwunden.
Jetzt nahte Fürst Gwydion, hoch zu Roß auch er. Taran lief auf ihn zu und bat ihn: „Laßt mich mit Euch ziehen, Fürst, ich bin Manns genug dazu!“
„Liebst du so sehr die Gefahr?“ fragte Gwydion. „Wenn du älter bist, wirst du sie hassen lernen – und fürchten wie ich.“ Er beugte sich zu dem Jungen herab und ergiff seine Hand. „Bewahr dir ein kühnes Herz, du wirst es noch brauchen können! Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“
Enttäuscht wandte Taran sich ab.
Die Reiter verschwanden zwischen den Bäumen, bald hörte man nichts mehr von ihnen. Melynlas, zwischen den Packpferden angebunden, wieherte kläglich. „Ich fürchte, das wird eine lange Nacht“, sagte Adaon; dann befahl er dem Jungen: „Du, Taran von Caer Dallben, übernimmst die erste Wache. Wenn der Mond untergeht, wird dich Ellidyr ablösen.“ „Und du?“ fragte Ellidyr hämisch. „Wie ich dich kenne, legst du dich wieder aufs Ohr und läßt dir was Schönes träumen, nicht wahr?“
„Du irrst dich“, erwiderte Adaon freundlich. „Ich wache mit euch zusammen, die ganze Nacht hindurch. Solltest du keinen Schlaf finden, Ellidyr, dann verhalte dich wenigstens still!“
Ärgerlich wickelte sich der Sohn des Pen-Llarcau in seinen Mantel und warf sich neben Islimach zu Boden. Mit leisem Schnauben beugte sich der Rotschimmel über ihn und liebkoste ihn mit der Schnauze. Es war kalt geworden, das Heidekraut und die Büsche starrten von Reif. Eine Wolke trieb langsam am Mond vorüber. Adaon zog das Schwert und trat an den Rand der Mulde. Aufmerksam lauschte er in die Nacht hinaus. „Ob sie bald in Annuvin sind?“ flüsterte Taran. „Ich wünsche es ihnen“, antwortete Adaon. „Und ich wünschte mir, Gwydion hätte mich mitgenommen!“ sagte der Junge nicht ohne Bitterkeit. „Oder Morgant.“
„Es ist besser so, wie es ist“, entgegnete Adaon sehr bestimmt.
„Wieso?“ fragte Taran. „Hast du was gegen Morgant?“ „Ich mache mir Sorgen um ihn“, gestand Adaon. „In der Nacht vor dem Aufbruch sah ich auch ihn im Traum: Er lag mit zerbrochenem Schwert auf der Erde, von Kriegern umringt, die die Waffen senkten.“ „Vielleicht hat es nichts zu bedeuten“, sagte der Junge hastig, wie um sich selbst zu beruhigen. „Oder erfüllen sich deine Träume immer?“
Adaon gab ihm keine Antwort, er wandte sich ab und sah nach den Pferden. Taran packte sein Schwert fester, schweigend begab er sich auf die andere Seite des Lagerplatzes.
Im Schatten des Dunklen Tores
Es war gegen Ende der ersten Wache, als Taran ein Rascheln im Wald vernahm. Mißtrauisch hob er den Kopf, das Geräusch verstummte. Jetzt wurde der Junge unsicher. Hatte er wirklich etwas gehört? Er hielt den Atem an, lauschte.
Auch Adaon schien das Geräusch vernommen zu haben und kam herbeigeeilt. Mit einemmal war es Taran, als leuchte zwischen den Bäumen ein heller Schimmer auf. In der Nähe knackte ein Zweig. Der Junge zückte das Schwert und drang ins Gebüsch. Im nächsten Augenblick blendete ihn ein goldener Lichtstrahl – Eilonwy kreischte entrüstet auf.
„Steck das Schwert weg!“ rief sie. „Ich sehe dich ungern damit herumfuchteln!“
Taran war sprachlos, er faßte sich an die Stirn. Aus dem Dickicht brach eine dunkle Gestalt hervor, Ellidyr trieb sie mit blankem Schwert vor sich her. „Hilfe! Hilfe! Der zornige Herr will den armen, getreuen Gurgi totschlagen – klopf-klopf, auf den Kopf!“ Heulend und winselnd schwang sich der Tiermensch in das Geäst einer Fichte, wo er fürs erste vor seinem Verfolger sicher war.
Taran nahm Eilonwy an der Hand und führte sie auf die Lichtung heraus. Ihr Haar war zerzaust, ihr Gewand zerrissen und schmutzig. „Bist du von Sinnen?“ fuhr er sie an. „Sollen die Häscher Arawns uns aufspüren? Mach das Licht aus!“
Er entriß ihr die leuchtende Kugel und fingerte hastig daran herum. „O Taran! Du wirst es nie lernen, mit so etwas umzugehen!“ Eilonwy ließ sich die Kugel zurückgeben, barg sie in ihrer Hand, und das Licht erlosch. Adaon war herangetreten. „Ich glaube, Prinzessin, es wäre besser gewesen, wenn du uns nicht gefolgt wärst!“ „Hier hat sie jedenfalls nichts verloren“, warf Taran ein. „Sie muß auf der Stelle umkehren, dieses hirnverbrannte Geschöpf!“ Ausnahmsweise war Ellidyr einer Meinung mit ihm. „Was zögerst du, Adaon?“ rief er. „Der Schweinejunge hat recht: Schick die verdammte Närrin nach Hause zu ihren Kochtöpfen!“
Taran stellte sich schützend vor Eilonwy. „Was erlaubst du dir?“ wies er den Prinzen zurecht. „Wer sie beleidigt, bekommt es mit mir zu tun, merk dir das!“ Ellidyr drang mit dem Schwert auf den Jungen ein. Taran wehrte sich. Adaon trat dazwischen und trennte sie. „Weg mit den Schwertern, ihr beiden! Nehmt augenblicklich Vernunft an!“
„Darf mich ein Schweinejunge belehren, wie ich mich einer Küchenmagd gegenüber verhalten soll?“ knurrte Ellidyr.
„Küchenmagd?“ kreischte Eilonwy. „Sagtest du Küchenmagd?“