Adaon gab den Befehl zum Aufsitzen. „Die Packpferde haben genug zu schleppen“, meinte er. „Deshalb sollten wir die Prinzessin und Gurgi lieber auf unseren eigenen Tieren mitnehmen.“ „Islimach duldet nur mich im Sattel“, erklärte Ellidyr barsch. „Dazu ist sie von klein auf abgerichtet.“ „Das sieht dir ähnlich!“ rief Taran spöttisch. „Eilonwy wird mit mir reiten.“
„Und ich nehme Gurgi mit“, sagte Adaon. „Kommt nun schnell!“
Taran rannte zu Melynlas, sprang hinauf und zog Eilonwy hinter sich in den Sattel. Auch Doli und alle übrigen schwangen sich auf die Pferde. Im nächsten Augenblick brach an den Rändern des Lagerplatzes ein wildes Geschrei los. Ein Pfeilschauer ging auf die Gruppe nieder.
Die Häscher Arawns
Die Packpferde wieherten vor Entsetzen auf, als die Pfeile herabschwirrten. Fflewddur sprengte mit gezogenem Schwert auf die Angreifer zu, Adaon übertönte mit lauter Stimme den Lärm:
„Dies sind die Häscher Arawns – kämpft euch frei von ihnen!“
Der Himmel begann sich mit purpurnen Streifen zu überziehen. Im Licht der aufgehenden Sonne erkannte Taran, daß sie es mit einem guten Dutzend von Gegnern zu tun hatten, die in Tierfelle gekleidet und mit Bogen und langen Messern bewaffnet waren. Entsetzt stellte er fest, daß auf der Stirn eines jeden von ihnen ein blutrotes Brandmal glühte: zum Zeichen dessen, daß sie Arawn verfallen waren mit Haut und Haar. Lähmende Furcht befiel ihn, er mußte mit seinem ganzen Willen dagegen ankämpfen.
Er hörte, wie Eilonwy aufschrie. Dann packte ihn jemand von hinten am Gürtel und zerrte ihn aus dem Sattel. Einer der Häscher warf ihn zu Boden; er hielt ihn so fest umschlungen, daß es dem Jungen nicht möglich war, sich zu wehren. Plötzlich richtete sich der Häscher auf und stemmte das Knie gegen Tarans Brust. Er fletschte die Zähne, er zückte mit schrecklichem Grinsen den Dolch und setzte zu einem Triumphgeheul an. Doch mitten im Aufschrei verstummte er, faßte sich an die Kehle und sackte zurück. Ellidyr hatte den Häscher mit einem gewaltigen Schwertstreich zu Boden gestreckt. Nun stieß er den leblosen Körper zur Seite und half Taran wieder auf die Füße. Ihre Blicke begegneten sich. Um Ellidyrs Mundwinkel zuckte ein stolzes, spöttisches Lächeln. Er schien etwas sagen zu wollen, doch dann wandte er sich brüsk ab und eilte wortlos von neuem in den Kampf. Einen Augenblick herrschte Stille ringsum. Dann schöpften die Angreifer hörbar Atem.
Taran mußte an Gwydions Warnung denken. Mit schauerlichem Gebrüll wiederholten die Häscher Arawns ihren Angriff, noch wilder, noch rasender als zuvor. Eilonwy hatte sich wie durch ein Wunder im Sattel zu halten vermocht. Nun legte sie einen Pfeil auf die Bogensehne. Taran eilte an ihre Seite. „Töte sie nicht!“ schrie er. „Wehre dich deiner Haut, aber töte sie nicht!“ Auch Gurgi ließ sich nicht lumpen. Er hatte ein Schwert erwischt, fast so lang wie er selber. Die Augen geschlossen, schwang er die Waffe um seinen struppigen Kopf, daß es nur so pfiff. Wütend wie eine Hornisse tanzte er zwischen den Häschern Arawns umher und schlug blindlings um sich.
Einer der Feinde griff plötzlich mit beiden Händen in die Luft und stürzte zu Boden. Ein anderer ging in die Knie und hielt schützend die Arme über den Kopf. Die übrigen Häscher begannen, sich ohne ersichtlichen Grund nach allen Seiten hin zu verteidigen – doch einem nach dem anderen wurde der Dolch aus der Hand geschlagen und ins Gebüsch geschleudert. Da wußten die Häscher sich keinen Rat mehr; sie ließen von den Gefährten ab und wichen zurück.
„Das war Doli!“ rief Taran begeistert. „Er hat sich unsichtbar gemacht! Großartig, Alter!“
Adaon nahm die Gelegenheit war, um Gurgi zu packen und auf sein Pferd zu ziehen. „Mir nach!“ schrie er. „Weg von hier!“ Damit riß er sein Roß herum und sprengte davon.
Taran schwang sich auf Melynlas. Eilonwy hielt sich an seinem Gürtel fest, in wildem Galopp ging es durch die Büsche, aufs offene Feld hinaus.
Ein paar Pfeile zischten an ihnen vorbei. Die Ohren angelegt, stürmte Melynlas einen flachen Hügel empor und wirbelte mit den Hufen die welken Blätter auf. Taran warf einen Blick zurück. Einige Häscher hatten sich von den übrigen abgesondert und die Verfolgung der Flüchtenden aufgenommen. In weiten, beängstigend flinken Sprüngen setzten sie ihnen nach. Dabei stießen sie laute, unverständliche Schreie aus, die von den Klippen des Dunklen Tores schauerlich widerhallten.
Taran spürte die kalte Angst im Nacken. „Schneller!“ keuchte er. „Schneller, Melynlas!“ Jenseits des Hügels gelangten sie an ein ausgetrocknetes Flußbett. Adaon vergewisserte sich, daß die Gruppe vollzählig war. Nur die Packpferde fehlten; sie hatten sich während des Kampfes losgerissen und waren davongerannt. Nun folgten die Freunde einige Zeit dem Flußbett im Schutz der mit Weiden und Erlen bewachsenen Uferhänge und bogen dann in den nächsten Wald ab.
Mit der Zeit begannen die Pferde zu ermüden, und auch die Reiter lechzten nach einer Rast. Doli hockte erschöpft auf dem struppigen Pony, der Barde schwitzte mit seinem Gaul um die Wette, Ellidyr war totenbleich im Gesicht und blutete heftig an der Stirn. Soweit Taran es feststellen konnte, waren sie unaufhörlich nach Westen gehastet. Längst war das Dunkle Tor ihren Blicken entschwunden. Zunächst hatte Taran damit gerechnet, Adaon würde sie auf den Weg zurückbringen, den Gwydion sie geführt hatte; doch allmählich wurde ihm klar, daß sie sich immer weiter davon entfernten.
Adaon machte in einem Dickicht halt und gebot ihnen abzusitzen.
„Wir dürfen hier nicht lange bleiben“, sagte er. „Arawns Häscher sind Meister im Aufspüren von Verstecken.“
„Dann laßt sie doch einfach kommen!“ rief Fflewddur. „Ein echter Fflam ist dazu geboren, allen Gefahren mannhaft die Stirn zu bieten!“
„Auch Gurgi, der kühne, furchtlose Gurgi wird ohne Zagen wild auf sie einschlagen!“ stimmte der Tiermensch dem Barden zu, obwohl er vor Müdigkeit kaum den Kopf heben konnte.
„Wir werden uns ihnen nur dann entgegenstellen, wenn es sich nicht vermeiden läßt“, sagte Adaon. „Bedenkt, daß sie stärker sind als zuvor – und bei weitem nicht so erschöpft wie wir.“
„Dann sollten wir lieber gleich jetzt den Kampf suchen!“rief Prinz Ellidyr. „Sollen wir uns vor Gwydion schämen müssen? Ich mag mich nicht aus dem Staub machen wie ein Hase. Ihr fürchtet euch wohl vor ihnen, he?“
„Es ist keine Schande für uns, ihnen auszuweichen“, erwiderte Taran. „Gwydion selbst hat es uns geraten!“ Eilonwy hatte nichts von ihrer Zungenfertigkeit eingebüßt. „O still doch!“ rief sie den beiden zu. „Ob ehrenhaft oder nicht – ihr solltet euch lieber Gedanken darüber machen, wie wir nach Caer Cadarn kommen!“ In der Ferne ertönte ein langgezogener, fragender Schrei. Eine zweite Stimme beantwortete ihn, dann noch eine.
„Ob sie die Jagd nach uns aufgeben?“ fragte Fflewddur. „Mir scheint, daß wir ihnen entkommen sind.“
Adaon glaubte nicht recht daran, er meinte: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie uns einfach laufenlassen. Jedenfalls müssen wir weiter. Kann sein, daß wir irgendwo einen Platz finden, wo wir vor ihnen sicher sind – obwohl ich das stark bezweifle.“
Beim Aufsitzen fügte es sich, daß Ellidyr in die Nähe Tarans kam; der Junge nahm ihn beim Arm und sagte: „Du hast dich wacker für mich geschlagen, Sohn des Pen-Llarcau. Ich weiß, daß ich dir mein Leben verdanke.“ Ellidyr rümpfte die Nase und meinte mit einem Achselzucken: „Laß das, es ist nicht der Rede wert.“
So rasch die Kräfte es ihnen erlaubten, zogen sie weiter. Nebel war aufgekommen, die Sonne vermochte die grauen Schwaden kaum zu durchdringen. Der Weg durch das nasse Unterholz wurde immer beschwerlicher. Plötzlich richtete Doli sich kerzengerade im Sattel auf; seine Miene verriet, daß er etwas entdeckt haben mußte, das höchst erfreulich war.