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Ihr müsst mir jetzt etwas versprechen, und Mamika, die Nomis Hand nimmt und meine, unsere Hände, die ineinander liegen, ihr dürft nicht vergessen, dass ihr eine Schwester habt, mehr will ich gar nicht sagen, meine Mädchen, irgendwann werdet ihr mich verstehen.

Miklós war der erste in der Familie, der sich hat scheiden lassen, und wisst ihr, scheiden hiess, sich mit der ganzen Gemeinschaft anlegen. Schon wieder. Und ich hätte ihn am liebsten gevierteilt, so wütend war ich auf euren Vater, vor allem deshalb, weil es nicht lange ging, da hiess es, der Miklós habe eine andere.

Unsere Mutter?

Ja.

Eine, so hiess es, aus der armen Gegend. Ich hatte noch nie etwas gegen Arme, sagt Mamika, aber jetzt schon, ich war gegen sie, gegen diese neue Frau, es hiess, eine Schöne mit einem schlechten Ruf. Auch das noch, dachte ich, wenn sie wenigstens hässlich wäre, der Miklós lässt sich blenden, schon wieder, habe ich gedacht. Es war eine schwierige Zeit für mich, ich habe mir nicht mehr zu helfen gewusst, aber da hat mich mein Papuci besucht, in einer Nacht, er hat sich auf mein Bett gesetzt, und stellt euch vor, er trug seinen Sonntagsanzug, mit dem wir ihn beerdigt hatten, Mamika, die sich bekreuzigt, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes; ich habe dich nicht erwartet, mein Vincent, habe ich gesagt, aber er hat nichts gesagt, euer Grossvater, er hat mir seine Hände hingehalten, und ich habe einen Moment lang gezögert, soll ich einem Geist meine Hände geben? so ging es mir durch den Kopf, aber dann habe ich es getan, und die Hände meines Papuci waren so warm, das kann ich euch gar nicht beschreiben, meine Mädchen, womöglich sass ich die ganze Nacht aufrecht im Bett, ich kann es euch nicht sagen, aber irgendwann merkte ich, dass mich fröstelte und Papuci verschwunden war.

Aber einen Geist kann man doch nicht anfassen, sagt Nomi, wenn man ihn anfassen will, dann ist er wie Luft, Nomi, die mit einer Hand ins Leere greift; ich weiss nicht, wie die Geister im Allgemeinen sind, mir ist der Papuci erschienen, und er war warm, vielleicht war er warme Luft, sagt Mamika, das ist nicht ausgeschlossen, Mamika, die im Topf rührt, eine Bohne herausfischt, so, jetzt können wir die Kartoffeln dazugeben.

Ich habe jedenfalls am nächsten Tag meinen Schatten gesehen, neben dem Ziehbrunnen, ich habe gedacht, Anna, was hast du für einen grossen Schatten, und wisst ihr, ich habe plötzlich gewusst, dass ich einen Schritt tun muss in eine Richtung, die mir eigentlich zuwider ist.

Mamika, die Miklós eingeladen hat, ihn und seine Geliebte; Vater und Mutter sind gekommen, sie haben sich an Mamikas Tisch gesetzt, Mutter, Rózsa, die Kaffee mitgebracht hat, eine Stimme und Augen, ich hatte sie sofort gern, erzählt Mamika. Und ein paar Monate später sind Miklós und Rózsa weggezogen, in eine andere Stadt. Wegen Ibolya?

Vielleicht auch, aber Miklós und Rózsa wollten neu anfangen, und an einem neuen Ort geht das sicher einfacher. Und das Gerede war, na ja, wie soll ich sagen, in dieser Zeit habe ich gelernt, dass es Menschen gibt, die liefern Gesprächsstoff, und die andern, die brauchen ihn. Wie halten Sie so einen Sohn aus, wurde ich gefragt, reden Sie überhaupt noch mit ihm. Nach solchen Fragen habe ich immer zuerst meine Brille abgenommen, einen Moment lang gewartet, und meistens habe ich dann gesagt:

Was würdest du mich jetzt fragen, wenn mein Sohn nicht wäre, und Mamika gibt einen grossen Löffel Fett in die Bratpfanne, das ist doch eine gute Antwort, findet ihr nicht? Ich glaube, es ist gut, dass ihr jetzt mehr über euren Vater wisst, Mamika, die das Mehl im Fett zum Schäumen bringt, die Pfanne vom Feuer nimmt, bevor sie süssen Paprika dazugibt, ich bin überzeugt, dass jeder Mensch mehr als ein Gesicht hat, und euer Vater, der hat fünf Gesichter, vielleicht hat er auch mehr, und Mamika rührt die Schwitze langsam in die Suppe ein, ich jedenfalls habe fünf Mal in meinem Leben gedacht, jetzt kenne ich ihn schon wieder nicht (und ich, die Mamika in die Augen schaut, Ildi, du fragst dich, wie viele Gesichter ich habe? ich weiss es nicht, das musst du mir sagen, verraten Mamikas Augen), eure Eltern haben ein kleines Lebensmittelgeschäft geführt, und da haben sie den Sändor kennengelernt, der schon mit seiner Frau in der Schweiz lebte, und der Sändor hat eure Eltern auf die Idee gebracht, in die Schweiz auszuwandern und nicht, wie ursprünglich geplant, nach Australien. Nach Australien?

Wörter wie

Wir müssen besser werden, sagt Mutter an einem Tag Ende Februar, schneller vor allem, und jetzt wird auch alles besser in der neuen Besetzung, sagt sie, wir fangen nochmals neu an, ja? und wir besprechen, wer wem hilft während den heiklen Zeiten, und die heiklen Zeiten sind zwischen neun und halb zehn, während der Mittagszeit von zwölf bis eins und nachmittags so gegen halb vier bis etwa halb fünf; wir sitzen zu Hause am Wohnzimmertisch, essen saure Gurken, scharfe Salami, Brot, Joghurt, Mutter, die während dem Essen eine Liste schreibt mit den wichtigsten Punkten, die wir beachten müssen, im Service, im Buffet, in der Küche, Nomi, die meint, wir sollten es nicht übertreiben, auch wenn nicht alles perfekt geklappt habe, sei unser Start doch ganz gut gewesen. Genau, Nomi hat Recht, sagt Vater und schneidet mit dem grossen Fleischmesser hauchdünne Scheiben von der Salami (und ich würde Vater am liebsten sagen, wie gern ich ihm zusehe, wenn seine Hände so ruhig und sorgfältig arbeiten), Mutter, die nach einer Scheibe langt, uns dann alle der Reihe nach anschaut und einen Satz sagt, den sie in nächster Zeit noch ein paar Mal sagen wird, von dem ich nicht weiss, wie ich ihn verstehen solclass="underline" Wir haben hier noch kein menschliches Schicksal, das müssen wir uns erst noch erarbeiten.

Und weil Mutter die Einzige ist, die eine Ahnung vom Ganzen hat, vom ganzen Betrieb, muss sie überall aushelfen, vor allem in der Küche, Vater, der in den ersten Wochen überfordert ist, weil Koch gar nicht sein Beruf ist, er aber alles perfekt machen möchte, nicht nur zuviel, sondern auch alles frisch kocht, und zwischendurch nippt er am Kochwein, weil es so heiss ist, eine unerträgliche Hitze in dieser Spielzeugküche! Das ist der Anfang vom Ende, wenn du trinkst, sagt Mutter auf Ungarisch, das weisst du, am Abend meinetwegen, aber nicht in der Küche, niemals, das hast du mir versprochen, ja, ich hab's dir versprochen, sagt Vater kleinlaut, ich muss mich doch erst mal ein bisschen einleben hier; Dragana, die schon morgens um sieben anfängt, ihren Walfischbauch gegen den Abwaschtrog drückt, Salate rüstet, Gemüse zerkleinert (immer nach Knoblauch riecht, was ich unangenehm finde), Dragana, die dauernd irgendetwas tut, die in den ersten Wochen fast kein Wort gesprochen hat, ausser ja, isch gut, als Antwort, wenn Vater ihr sagt, was sie als nächstes zu tun hat, ihre Einsilbigkeit, die sich schlagartig ändert, als Glorija anfängt, bei uns zu arbeiten, Dragana und Glorija, die sich in rasender Geschwindigkeit auf Serbokroatisch unterhalten; und Marlis? sie ist die Einzige der ehemaligen Angestellten, die bei uns bleibt, sie wäscht ab, putzt, das rhythmische Klacken ihrer schweren, weissen Holzschuhe, das genauso zu den Geräuschen der Küche gehört wie das Surren der Mikrowelle und das gierige Saugen des Dampfabzugs. Und Mutter, meistens ist sie es, die mit Schrubber, Eimer, Lappen, Plastikhandschuhen in die Toilette huscht, um die Lache, die sich mindestens ein Mal wöchentlich neben dem Pissoir bildet, aufzuwischen — Toilette kontrollieren, steht zuoberst auf Mutters Liste, so oft es geht!

An einem ungewöhnlich kalten Märztag, so kalt, dass man meinen könnte, es sei noch Winter, schäume ich Milch. Ich sehe meine Hände, wie sie die Kanne halten und eine gleichmässige, nicht allzu schnelle Bewegung in der Vertikalen vollführen, der Dampfhahn fährt also langsam durch die blubbernde Milch, ich achte darauf, dass der Dampfhahn den Kontakt zur Milch nicht verliert, weil sie sonst sofort überall hinspritzt, die Kaffeemaschine sprenkelt, die Theke, die Hände, die Bluse. Und das geschieht immer schneller, als man meint.