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Was ist mit dir los, fragt mich Nomi, als das Mondial wieder halbleer ist, Nomi, die mir eine Zigarette anzündet, mir sagt, dass ich mich hinsetzen soll. Ich habe die falsche Strumpfhose angezogen, die falsche Bluse, ich habe nicht geschlafen, ich habe noch nichts gegessen, heute ist Freitag, und Freitag ist der Tag, den ich grundsätzlich nicht mag, warum, weiss ich nicht, vielleicht, weil es ein Tag ist, der sich auflädt vor dem Wochenende…

Hör auf, sagt Nomi, komm schon, was ist los, Nomi, die mich aufmerksam anschaut, mir die Schulter streichelt; aber wir können, wie so oft, nicht weiterreden, die Tür geht wieder auf und zu, wir drücken unsere Zigaretten aus, trinken rasch noch einen Schluck Kaffee, wir reden später weiter, morgen Abend gehen wir zusammen aus, ja?

Himmlisch

Mitten in der Nacht fahren wir ein, 1986, wir fahren nicht, wie üblich, zur Hajduk Stankova, zu Mamika, sondern zu Tante Icu, mit unserem weissen Mercedes bleiben wir, kurz vor dem Ziel, im Dreck stecken. Ein plötzlicher Regen verwandelt die unasphaltierten Nebenstrassen in eine schlammige Masse, wir sitzen fest, die Räder drehen durch, mein Vater fängt an zu fluchen, Breschnew, du sollst deinen stinkenden Arsch ticken (und niemand von uns sagt, dass Breschnew schon lange tot ist), die Scheibenwischer sind hysterisch, Nomi und ich blicken in das gelbe Licht einer Strassenlaterne, der Regen ist… auf Jagd! sagen wir und lachen nicht, weil Vater aufs Pedal drückt, das System verflucht, den Zweitakter und den Kommunismus, der Wagen ist nicht für hier gemacht, sagt meine Mutter leise, hält sich immer noch am Seitengriff fest, wir sollten Hilfe holen, sagt sie, mein Vater stülpt sich die Jacke über den Kopf, versinkt mit seinen grauen Halbschuhen im Dreck, ich höre das sumpfige Geräusch, das schmatzende, gierige Geräusch von nassem Dreck, mein Vater, der schliesslich seine Schuhe auszieht, seine Socken, nacktfüssig durch den Dreck watet, über die Kanalisation springt, bis zum Haus meiner Tante rennt, die Klingel drückt, und ich kann das Bellen der Hunde hören, zwei Schäferhunde, die nichts anderes tun, als in einem Zwinger hin und her zu patrouillieren, nur wenn sich Bela, unser Cousin, mit breitbeinigem Schritt dem Zwinger nähert, fangen die Hunde an zu winseln, ziehen sich jammervolle Töne wie dünne, scharfe Fäden durch die Luft, Nomi und ich stehen dann meist abseits, beim Ziehbrunnen, beobachten, wie die Hunde ihre Schädel demütig auf den staubigen Boden drücken, als hätte sie Bela betäubt oder verzaubert, was dasselbe ist, als würden sie sich für die soeben noch gefletschten Zähne entschuldigen. Bela, der mit einem routinierten Handgriff den Zwinger öffnet, den Hunden ein paar beiläufige Klapse auf den Rücken gibt (wie wenn er nie mit Teddybären gespielt hätte), ebenso routiniert deren Scheisshaufen mit dem Reisigbesen aufkehrt, die Restscheisse mit dem Gartenschlauch wegspritzt, Bela, der nicht nur die Hunde mit seinem Blick bändigt, der jetzt mit meinem und seinem Vater ohne Hast auf uns zukommt, auf unseren Wagen, während die Väter rennen, als hätte Bela sie aufgescheucht, als würde er sie vor sich hertreiben, er, der mit erhabenen Schritten, verschränkten Armen den Dreck besiegt, indem er ihn gar nicht beachtet.

Bela, der seine Begabung oder seinen Trieb zum Dompteur im Laufe der Jahre weiter perfektioniert, einer der besten Taubenzüchter des Landes wird, mit seiner Tippler Taubenzucht weit über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen erregt… und als man für die systematische Tötung und die Zerstörung des Landes Männer braucht, wirkt die Geste, mit der Bela auf seine mit akribischer Sorgfalt ausgestellten Pokale zeigt, unübertroffen hilflos, und die Männer in ihren erdfarbenen, nüchternen Uniformen lachen im ersten Moment fast verlegen, als sie die Trophäen erblicken, welche in ihrem aufwändigen, vergoldeten Kitsch tatsächlich eine glänzende Laufbahn dokumentieren. Und einer von ihnen muss die Hacken zusammenschlagen, verkünden, dass jetzt, in der heutigen Zeit alles in die Luft fliege, und da, wo Bela nun hinkomme, werde er vieles vergessen, zuallererst aber seine himmlischen Geschöpfe oder besser gesagt: seine fliegenden Ratten.