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Begrüssung verschieben wir auf später, sagt Bela, da sein Gesicht zur Wagentür hereingrinst, wir ihn umarmen wollen, jetzt wird erst mal gearbeitet, er und Onkel Piri schieben, während mein Vater aufs Gas drückt, meine Mutter sich immer noch an der hellbraunen Lasche festhält, meine Schwester und ich, wir sind zwei zappelige, aufs Trockene gesetzte Fische, sehnsüchtig nach diesem warmen Sommerregen, der unsere hellen Sommerhosen, unsere in glitzernder Schrift und mit "Hollywood" bedruckten T-Shirts sekundenschnell durchnässt, die Kleider, die am Körper kleben wie eine zweite Haut, die Räder, die noch ein paar Mal durchdrehen, bevor sie sich, begleitet vom Fluchen der Männer, entschliessen, das zu tun, was man von ihnen erwartet, nämlich drehen und nicht durchdrehen.

Tante Icu stellt Brot auf den Tisch, Tomaten, Würste, Paprika, ihr müsst ausgehungert sein, Sahne, Quark, frische Butter, meine Tante, deren trockene Locken jetzt, spät in der Nacht, am Kopf kleben, ihre himmlischen Augen, die sich mädchenhaft freuen, Kinder, Kinder, dass ihr endlich da seid! Und der Tisch ist noch nicht voll genug, den Speck muss ich noch holen, wie konnte ich den Speck vergessen und den Schnaps! ihr fülliger Körper, der nochmals in der Speisekammer verschwindet, um im nächsten Augenblick den Tisch mit einer unglaublichen Torte zu verschönern, ach, und jetzt hab ich den Schnaps und den Speck wieder vergessen!

Und wir sitzen alle um den Tisch, dicht gedrängt, ein greller Lichtkegel, der uns, unsere aufgeregt umherwandernden Augenpaare beleuchtet, wir alle wollen schauen, sehen, was die Jahre gebracht haben, die Zeit, wie sie vergangen ist! und wie lange haben wir uns nicht gesehen? wie oft haben wir irgendwas ohne euch getan, wie viele Gefühle fühlten wir ohne euch? Und die Zeit ist ein Sack, in dem alles mögliche Platz hat, die Rosen wollten dieses Jahr nicht blühen, und das Mutterschwein hat zwanzig Junge geworfen, die Jungen, die man vor der Mutter retten musste, weil sie sie sonst zerquetscht hätte, und die Kanalisation, die immer noch vor sich hinstinkt, und unsere lieben Herren da oben, deren Leben ein einziges, leeres Versprechen ist! aber lasst uns nicht von Politik sprechen, Onkel Piri füllt die Schnapsgläser mit einem gekonnten Schwung, beeilt sich, das Glas zu heben: Zur Feier des Tages soll Gott allen verzeihen, den Tagedieben, den Strolchen, die mir neulich mein Fahrrad wie eine warme Semmel weggestohlen haben! Ach, Kinder, Gott soll uns einen Tropfen gönnen, der uns das Herz wärmt und nicht nur das Herz, lasst uns die Sorgen des Tages vergessen, die Politiker sollen sich ans Bein pinkeln, wir haben was zu feiern, und wenn es das Letzte ist, was wir tun! Bela, der sich nach ein paar Gläsern verabschiedet, sich entschuldigt, hab morgen noch zu tun.

Und in solchen Momenten, wenn sich die Anzahl der Gläser in den Augen von Onkel Piri und Vater widerspiegelt, die Trinksprüche, Beteuerungen, Flüche mit den auffliegenden Armen, den immer tiefer hängenden Rauchschwaden eine kompakte Einheit bilden, die Stimmung ein ausgeglichenes Wechselbad ist zwischen überbordender Zärtlichkeit (Arme, Hände, die verschmelzen, Münder, die plötzlich aufeinander zufliegen) und geniesserischer Wut (eine Faust, die den Tisch bestrafen muss), dann wünsche ich mir, dass die Nacht und der Tag zusammengehören, so dass die Nacht sich nicht an den nächsten Morgen verliert — und um uns noch besser an der immer fiebriger werdenden Stimmung der Erwachsenen berauschen zu können, verziehen Nomi und ich uns auf die Veranda, saugen uns am mit einem grünen Moskitonetz überspannten Verandafenster fest, hören zu, staunen darüber, dass sich unsere Eltern verwandeln, unsere Geheimsprache, mit der sie sich jetzt fliessend, immer schneller unterhalten, Wörter brauchen, die wir noch nie aus ihrem Mund gehört haben, und wenn das Glück einen Namen hat, dann müsste es auch ein Gesicht haben, ein Gesicht, das in einem freien, leichten Singsang erzählt.

Ihr seid ganz schön verwöhnt bei euch im Westen, Luxussorgen nenne ich das, wenn eure Eltern erzählen, dass bei euch alles so teuer ist, sagt Bela und schiebt sich einen Zahnstocher in den Mundwinkel, als er am nächsten Tag mit Nomi und mir auf der überdachten Veranda sitzt, in der Mittagshitze, da unsere Eltern schlafen, im Innenhof kein Schatten mehr zu sehen ist, die Hunde sich in ihre Hütte verzogen haben, das Wasser in ihrem Blechnapf verdampft ist, es muss ja erst mal etwas da sein, damit es teuer sein kann! und Bela drückt mit seinem Daumen auf das Ventil des Siphons, und das Wasser schiesst ins Glas, der Strahl ist so scharf, dass er das Tischtuch bespritzt, Nomi und ich, die Bela bewundern müssen, als wären wir eigens dafür erschaffen worden, wir hängen an seinen Lippen, weil er etwas Furchtloses und Beunruhigendes hat (Bela, dessen Frisur mich an diejenige von Limahl erinnert, einen englischen Pop-Sänger der 80er Jahre, der ihn, würde er ihn kennen, bestimmt als warmen Bruder bezeichnete).

Ihr habt ausserdem das Gefühl, dass ihr immer in Sicherheit leben könnt, sagt Bela, so ein Trugschluss wäre bei uns gar nicht möglich, und er setzt sich unseren Kopfhörer auf, drückt auf "play", und die Musik übt offenbar keine Wirkung auf ihn aus; er wippt weder mit dem Oberkörper noch mit den Beinen, statt mitzusingen klopft er aufs Zigarettenpäckchen, klemmt sich eine Filter zwischen die Zähne. Seine Augen lösen sich von uns, ihr Mädchen! wandern himmelwärts, während er sich die Zigarette anzündet, den Kopfhörer mit einer lässigen Handbewegung in den Nacken streift, das sind meine, sagt er, zeigt mit der Filter zum wolkenlosen Himmel, der Walkman spielt also ein Lied von irgendjemandem, der Bela nicht zu beeindrucken vermag, schaut euch das an, sagt er, und wir versuchen, seinem Bück zu folgen, seinen blauen, scharf gewetzten Augen, die nun das angemessene Faszinosum finden, seine überraschend kleine Hand, die mit dem qualmenden Ende der Zigarette auf einen Vogelschwarm zeigt, das sind zwar nur die hübschen Langweiler, sagt Bela, aber gleich werdet ihr die Richtigen sehen, und wir wissen natürlich, wer die Richtigen sind, nämlich seine Tauben, mit denen er seit Jahren fast jeden Wettbewerb gewinnt, wisst ihr, ich hab schon aus Deutschland und England Besuch bekommen, United Kingdom! Ich will nichts von denen, aber die wollen was von mir, na, was sagt ihr dazu?

Und weil Nomi und ich nicht antworten, nichts zu sagen wissen, sagt Bela: Business is international — Was? Business is international, das wahre Geschäft kennt keine Grenzen, merkt euch das, wenn du wirklich was drauf hast, dann kümmert's niemanden, ob du im Osten oder im Westen dein Häuschen hast, unsere Väter, die über die Politiker fluchen, wozu denn? Alles unwichtiger Scheiss, ihr werdet sehen, wir sind jung, wir werden sie noch erleben, die Freiheit! und Bela stützt seinen Ellbogen in die linke Hand, raucht in den Himmel, formt mit seinem prallen Mund Ringe, und wenn ihr das nächste Mal kommt, investieren bei uns jede Menge ausländischer Firmen, und denen sind die Politiker so was von egal, die business men werden entdecken, dass es bei uns etwas zu holen gibt, ihr werdet sehen!

Tante Icu wickelt ein paar Frikadellen, die von gestern übriggeblieben sind, in eine Serviette, legt sie in einen Korb, legt ein Stück Speck dazu, einen Laib Brot, ein gutes Dutzend Rosenkartoffeln, gelbe und grüne Peperoni, was meinst du, soll ich noch ein bisschen was von der Torte einpacken, fragt sie flüsternd, und meine Mutter antwortet, etwas Süsses kann nie schaden, oder doch? Tante Icu lacht, tätschelt ihren mächtigen Bauch, ich hab was zu tragen an mir! und sie schneidet ein grosses Stück von der Torte ab, legt es in eine Plastikschüssel, überdeckt sie mit einem Suppenteller, schaut sich nochmals in ihrer Speisekammer um, was könnten wir denn noch mitnehmen? fragt sie, hängt den kleineren Knoblauchzopf vom Nagel, verstaut ihn im Korb, so! und jetzt noch Kaffee, Zucker und ein Päckchen Rosenpaprika, dann können wir gehen.