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Tante Icu, Mutter, Nomi und ich haben was vor, und die Männer sollen ruhig ihren Rausch ausschlafen in den oberen Zimmern, wie Tante Icu und Onkel Piri sagen, obwohl ihr Haus, wie alle anderen Häuser in der Gegend, ebenerdig ist (und manchmal sehe ich sie wirklich, wie sie Händchen haltend eine Treppe hochsteigen, um sich in ihren oberen Gemächern hinzufläzen, wahrscheinlich sehe ich sie, weil ich Onkel Piri unzählige Male darüber habe schwärmen hören, wie er das Haus irgendwann einmal, in einer unglaublichen Aktion! umbauen werde), die Männer schnarchen also in den hinteren Zimmern, wo die Rollläden im Sommer tagsüber nie hochgezogen werden, damit es schön kühl bleibt, und tut es trotzdem jemand, Tante Icu zum Beispiel, dann will sie einen schweren Schädel ärgern, ihren Piri, der so viel säuft, als wären seine Füsse immer am Verdursten, und wenn ihr Mann sich die Hand schützend vor die Augen hält, damit sein Mund umso hemmungsloser wüste Wörter speien kann, dann sagt Tante Icu gelassen, ab und zu brauchen meine Pflänzchen ein bisschen Licht, ausserdem hast du mir versprochen, den Maschendraht zu flicken, die Hühner picken mir meine Blumen weg! Ja, ja, und Onkel Piri zieht sich die Decke über den Kopf, und die schmalen Füsse, die zum Vorschein kommen, erzählen nichts darüber, dass da einer liegt, der so unglaublich viel gesoffen hat.

Es ist kurz vor sechs, als wir, in der Sommerküche stehend, einen Kaffee trinken, und Tante Icu zeigt auf die Fliegen, sagt, heute werde die Luft kochen, weil die Fliegen so früh schon wie verrückt im Zickzack herumtanzten, und obwohl ich noch ganz schlaftrunken bin, schaue ich meine schöne dicke Tante an, die in einem wild gemusterten Kleid vor mir steht, als seien die 70er Jahre noch in voller Blüte, und ich bin beeindruckt, dass sie die Fliegen, die mich nur nerven, in einen grösseren, mir unverständlichen Zusammenhang bringen kann. Kommt, wir müssen los, damit wir beizeiten wieder zurück sind, und Tante Icu packt ihren Korb, den ihr Mutter sofort wieder aus der Hand nimmt, ich bin ja die Jüngere! und Nomi und ich schultern unsere Taschen, die wir gestern mit Kleidern vollgepackt haben, und bevor wir das Tor öffnen, macht Tante Icu eine gebieterische Handbewegung zu den Hunden hin, damit sie es nicht wagen, an ihrem Zwinger hochzuspringen und zu bellen, sondern sich mit eingezogenen Schwänzen in ihre Hütten verziehen.

Kaum haben wir das Haus verlassen, haken sich Tante Icu und Mutter ein, fangen an, gedämpft miteinander zu reden, als hätten sie tagelang auf diesen Moment gewartet, und Nomi und ich, wir trippeln hinter ihnen her, lauern darauf, einen Fetzen ihres Gesprächs aufzuschnappen, Nomi, die jetzt offensichtlich aufgewacht ist, fragt, könnt ihr nicht ein bisschen lauter reden? Nein, antwortet Tante Icu und dreht den Kopf nicht einmal zu uns, ihr müsst nicht alles wissen, und das Wichtigste werdet ihr noch früh genug erfahren! Nomi ärgert sich, flüstert mir zu, dass die beiden ihre Hintern so einmütig schwenkten, als seien sie siamesische Zwillinge, und Nomi steckt mich mit ihrem Lachen an, aber schon bleiben die beiden stehen, und Mutter sagt verärgert über ihre Schulter hinweg, ihr seid zu alt, um so blöd zu kichern wie kleine Mädchen! Aber zu jung, um alles wissen zu dürfen, denke ich, und Nomi und ich, wir imitieren Mutter und Tante Icu in ihrem Gang, schneiden Faxen, verständigen uns mit Handzeichen, tun also genau das, was bescheuerte kleine Mädchen tun, einfach deshalb, weil wir zu gern mehr wüssten über Csilla, unsere Cousine, über die sich Mutter und Tante Icu garantiert unterhalten.

Was, unsere Csilla? sagte Mutter vor ein paar Monaten am Telefon, als Tante Icu sie von der Post aus anrief, völlig aufgelöst, weil Csilla mit irgendeinem Kerl abgehauen sei, sie habe nichts mitgenommen, nicht einmal Wäsche, und niemand wisse, wo sie sei. Onkel Piri, der daraufhin durchstartete und tagelang nüchtern blieb, kein Wort mehr redete, sich dann am Abend des Sankt Josef an den Küchentisch setzte, abwechslungsweise Brot und Speck auf die Klinge seines Klappmessers legte, so ein halbes Brot und ein grosses Stück Speck ass, und nachdem er fertiggegessen und ein Glas Soda getrunken hatte, verkündete er, er werde Csilla eigenhändig und schneller als jeder dummen Gans den Hals umdrehen, wenn sie sich hier, in seinem Haus, wieder blicken lasse. Über mehr als sieben Ecken hat Tante Icu erfahren, wo Csilla steckt, hat sie aufgesucht, sie angefleht, zurück zu kommen, sie solle ihren Vater um Verzeihung bitten, dann werde alles wieder gut. Aber die ist stur wie ein Bock, sagte Tante Icu, und Mutter konnte fast nicht auflegen, obwohl Tante Icu nichts anderes mehr tat als heulen, Mutter, die ihr versprechen musste, dass sie mit Csilla reden werde, das nächste Mal, wenn wir kämen, und das sei ja schon bald, auf dich wird sie hören, ganz bestimmt!

Csilla haut mit ihrem Liebhaber ab. Na und? was ist daran so schlimm? in unserer Verwandtschaft ist das ja schon einmal vorgekommen, das hast du uns doch erst kürzlich erzählt, sagten Nomi und ich einstimmig, als Mutter lange nachdenklich aufs Telefon schaute und ihre Hände auf den Tisch legte, als müsste sie sich versichern, dass da, unter ihren Händen, wirklich ein Tisch war, und in unserem winzigen Garten blühte der Forsythienstrauch, Mutter drehte ihren Kopf zum Fenster, zum gelben Regen, wie Nomi und ich den Strauch auf Ungarisch nennen, und sagte leise, habt ihr eine Ahnung, nein, ihr habt keine Ahnung, was das bedeutet, und ich wünsche es euch auch nicht, aber wie soll ich euch das klarmachen, wie es ist, wenn ein Vater so was sagt, er werde ihr den Hals umdrehen, seiner Tochter! ihr mit dem Schlimmsten droht, ihr könnt das nicht verstehen.

Nomi und ich waren es gewohnt, dass uns Vater mit Bruchstücken aus seiner Lebensgeschichte schachmatt setzte, aber Mutter hatte uns oft vor Vater in Schutz genommen, lass sie doch in Ruhe, du willst doch auch, dass sie ein besseres Leben haben als wir, Mutter, die uns jetzt zum ersten Mal zu verstehen gab, wir hätten von gewissen Dingen, die sich in unserer Heimat abspielen, keinen blassen Schimmer.

Wir müssen doch fragen, wenn wir keine Ahnung haben, sagte Nomi, oder kannst du mir sagen, was wir sonst tun können? und ich schaute zu Nomi, ich fühlte mich stolz und war überrascht, weil sie so etwas Treffendes sagen konnte; Mutter, die sehr merkwürdig antwortete, nämlich: Gut, ich werde euch etwas erzählen, aber ich rede zu den Pflanzen da draussen. Und weil Mutter zu den Pflanzen redete und nicht zu uns, schaute sie uns auch kein einziges Mal an, während sie erzählte. Und wie ihr wisst, stellen die Pflanzen keine Fragen, sagte Mutter noch, bevor sie zu reden anfing, uns die Geschichte erzählte, die für Nomi und mich seither Mutters Gelbe-Regen-Geschichte war, an die wir uns erinnerten, wenn wir begreifen wollten, dass jeder Mensch ein Geheimnis hat, sogar unsere Mutter, von der wir lange Zeit geglaubt hatten, wir kennen sie in- und auswendig.

Ich weiss nicht mehr, wie lange wir gegangen sind, wahrscheinlich fast eine Stunde, und Nomi und ich, wir hörten auf zu kichern, wir wurden immer stiller, weil uns die Gegend nicht mehr vertraut vorkam, die Häuser waren nicht mehr verputzt oder waren baufällig (ich erinnere mich an ein Dach, das so aussah, als hätte es die Hand eines Riesen eingedrückt), wir gehen und müssen auf jeden einzelnen unserer Schritte achten, und der holprige Gehweg mündet in einen Feldweg, Nomi zeigt auf den Abwasserkanal, in dem eine tote Katze liegt, Haushaltsmüll, sogar der Klatschmohn und die Feldblümchen sehen dreckig aus, woran das liegt, fragt mich Nomi, aber ich weiss es nicht, ich ahne nur, dass wir das, was wir bald sehen, nicht so leicht wieder vergessen werden.

Häuser, die aus Brettern, Wellblech, Kotflügeln, Stofffetzen, aus irgendwelchem Material gezimmert sind, ein paar offene Feuerstellen, überall schlammige Erde, obwohl es seit Tagen nicht mehr geregnet hat, es riecht nach Mist und Rauch und verbranntem Plastik und Urin und Hühnerdreck und Schweinekot, hier lebt jetzt meine Csilla, sagt Tante Icu und zeigt auf ein Haus, neben dessen Eingang ein dunkelrotes Fahrradgestell steht, soll ich mich dafür schämen, sagt Tante Icu zu Mutter und ruft laut: Csilla, Csilla, deine Tante ist da, deine Cousinen, komm schon! Und ich will mich nicht umschauen, ich will nicht zuviel sehen, ich möchte meine Augen irgendwohin drehen, zum Himmel vielleicht, damit ich die halbnackten, verdreckten Kinder nicht sehe, die ich sonst nur aus der Distanz kenne, ein paar Frauen, die uns mit rohen Augen beobachten, uns mit ihren Blicken die Kleider stehlen, unser gesunde Haut; ja, genauso sieht es hier aus wie beim Müllberg, da, wo die Zigeuner leben, ausserhalb der Kleinstadt, und weil ich schon ein paar Brocken Englisch kann, fällt mir wahrscheinlich ein englisches Wort ein, Slum, fällt mir der Film ein, den uns der Geschichtslehrer vor den Ferien gezeigt hat über die Vorstädte von Säo Paulo, aber hier ist nicht Säo Paulo, sondern meine Cousine Csilla, die uns mit verschlafenem Gesicht um den Hals fällt, sich sofort eine Zigarette anzündet, aus den Lücken ihrer Zähne raucht, dass ihr mich besucht, sagt sie, ich wusste es! und sie weint, verschluckt sich, küsst Mutter die Hände, Csillas Haare, die verbrannt aussehen, Nomi, Ildi, sagt Csilla, so ist es, wenn man sich unsterblich in einen Mann verliebt hat, aber jetzt kann ich euch meinen Csaba nicht einmal vorstellen, er ist schon früh raus, sagt sie und weint immer noch, schon gut, sagt Tante Icu, mach uns einen Kaffee, Tante Rózsa möchte mit dir reden.