Csilla, die uns also ins Haus führt, Kaffee ist keiner da, sagt sie, zieht den Rotz die Nase hoch, Tante Icu, die den Kaffee wortlos auf den Tisch stellt, Csilla, die den Kaffee und den Korb mit den Esswaren wortlos entgegennimmt, setzt euch, sagt sie, aber wohin? Unsere Cousine, die bei der Nachbarin zwei Stühle holt, wie kann sie hier leben, sagt Nomi leise zu mir, aber Tante Icu hat gute Ohren, das könnt ihr sie ruhig fragen, und Tante Icu atmet tief durch, wischt mit einem Lappen über den Tisch, und es ist schwer zu beschreiben, wie es da drinnen aussieht. Das liegt daran, dass ich die Dinge, die ich sehe, nicht so leicht identifizieren kann als Schrank oder Bett oder Abwaschtrog, an der Decke, wo überall Konservendosen an Schnüren hängen, sieht lustig aus, sage ich, es tropft, meint Tante Icu und sucht nach dem Kaffeekännchen, hier, sagt Csilla, als sie wieder reinkommt mit zwei Stühlen, und sie zeigt auf eine Holzkiste mit Geschirr, ein paar Gläsern, Tassen, Tellern. Setzt euch, sagt Csilla, setzt euch, damit ich euch bestaunen kann, und unsere Cousine küsst nochmals Mutters Hände, meine Herzenstante Rózsa, du siehst immer jünger und schöner aus! was tust du hier, meine liebe Csilla, fragt Mutter, während Tante Icu das Wasser aufsetzt, den Zucker abmisst, Nomi, die mit ihrem Blick am Fenster hängenbleibt, da, wo man sieht, was ein Fenster ist, nämlich ein Loch, das je nach Witterung mit einem dicken Plastik oder einem dünneren Stoff aus Flicken zugedeckt werden kann, und neben dem Fenster hängt ein Schwarz-weiss-Foto an einer Stecknadel, Tante Icu, Onkel Piri, Bela und Csilla, ein Bild, das ich am liebsten mitnehmen würde, ich würde das Bild immer bei mir tragen wollen, warum, weiss ich nicht, vielleicht, weil ich das Gefühl habe, das Foto trage ein winziges Stück Glück, einen Moment, in dem alles möglich zu sein scheint — Csilla, die ein kurzes, gepunktetes Sommerkleid trägt und ein Hütchen, Csilla, die der Mittelpunkt des Bildes ist, von Onkel Piri, Tante Icu und Bela umarmt.
Mutter, Tante Rózsa, die jetzt Csilla dieselbe Geschichte erzählt, die sie nicht uns, sondern den Pflanzen erzählt hat, nachdem Tante Icu sie vor ein paar Wochen angerufen hat.
Ich, die am herabhängenden Plastik, an den Tüchern vorbei ins Freie schaut, höre zu, höre der ruhigen, weichen Stimme von Mutter zu, wie sie die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die eigentlich Lehrerin werden will, es aber nicht werden kann, weil zu Hause kein Geld da ist und ihr Vater es sowieso unnötig findet, eine Ausbildung, für ein Mädchen! und es seien schon genügend Verehrer da für die junge Frau, aber sie hat sich geschworen, wenigstens eine Lehre abzuschliessen, wenn sie schon nicht Lehrerin werden kann, und in dem Geschäft, wo sie ihre Lehre macht, lernt sie einen Mann kennen, der anders ist als alle anderen (einer ist immer anders, sagte Mutter und lachte), Imre Tóth heisst er, und wenn du wissen willst, warum sich die junge Frau in diesen Mann verliebt, dann gibt es darauf nur eine Antwort, wegen seinem Humor, er war schön in seinem Humor, sagt Mutter, das kann man sich gar nicht vorstellen. Der Imre wird eingezogen, zum zweijährigen Militärdienst, nach Kroatien, die junge Frau hat ein paar freie Tage an Pfingsten, sie reist mit dem Bus nach Kroatien, und ihr Vater tobt, natürlich hat sie ihm nicht gesagt, dass sie zu ihrem Geliebten fährt, ihr Vater brüllt vor Wut, weil sie so weit wegfahren will, allein, wahrscheinlich hat er doch etwas geahnt, die junge Frau hat nämlich plötzlich ein ganz anderes Gesicht, das kann sie nicht verstecken, ihre Mutter nimmt sie in Schutz, lass das Mädchen, wenn du sie nicht gehen lässt, wirst du sie für immer verlieren. Die junge Frau hat einen Fensterplatz, im Bus fühlt sie sich das erste Mal frei in ihrem Leben, und wenn mein Vater mich grün und blau schlägt, ich werde nichts bereuen, denkt sie und hat keine Angst, sie steigt fünf Mal um, und in jeder Sekunde denkt sie an ihren Imre, an die Stunden, die sie endlich mit ihm allein verbringen wird. Und der Imre holt sie ab, am Busbahnhof, er hält ein paar Blumen in der Hand, und die nächsten drei Tage sind so, dass die junge Frau niemandem darüber erzählen mag. Sie fährt zurück, mit Imres Versprechen, dass sie nach seinem Militärdienst heiraten werden, heiraten, und nichts wird so sein wie bei meinem Vater, denkt die junge Frau, er wird mich nicht schlagen, er wird mich nicht beleidigen, er wird gut sein zu mir, jeden Tag. Im gleichen Jahr stirbt ihre Mutter, was schwer ist für sie, weil sie alles an ihrer Mutter geliebt hat, sogar wenn sie schlechte Laune hatte, heute habe ich die Laune eines alten Hundes, sagte ihre Mutter dann und rümpfte ihre Nase, oder sie sagte, heute muss der Tag ohne mich auskommen (Tante Icu, die die Kaffees auf den Tisch stellte, sich neben Mutter setzte, ihr die Hand auf den Arm legte), es gäbe noch viel zu erzählen über die Mutter der jungen Frau, "meine über alles geliebte Mutter" lässt sie in den Stein eingravieren, ihr Vater zittert vor Wut, weil es viel Geld gekostet hat, der Stein, die Gravur, aber sie hat es selbst bezahlt, und das erzähle ich nur, sagt Mutter, weil die junge Frau spürt, wie sie mit dem Tod der Mutter auch einen umfassenden Schutz verliert. Wenige Tage nach der Beerdigung der Mutter weiss sie, dass sie schwanger ist. Sie erzählt ihrem Vater von Imre, nicht aber davon, dass sie in anderen Umständen ist, sie will prüfen, wie er reagiert, und ihm dann die ganze Wahrheit sagen. Du bist eine gewöhnliche Hure, das sagt ihr Vater. Ein paar Wochen später rennt er nach einem Streit mit einem Stössel aus Bronze auf sie los. Sie hat nach dem Tod ihrer Mutter für den Vater gewaschen, gekocht, das Vieh versorgt und hat ihn dann um Geld gebeten, um Holz zu kaufen, für den Herbst und Winter, und Mutter schlürfte ein bisschen Kaffee, bevor sie weiter erzählte, was? Geld willst du haben, flucht ihr Vater, versucht, sie mit dem Stössel zu schlagen, sie wehrt sich, weicht aus. Wenige Tage später verliert die junge Frau ihr Kind. Ihrem Vater kann sie sich in ihrem Schmerz nicht anvertrauen, er beschimpft sie seit jenem Streit fast täglich als Hure. Sie wartet auf den Tag, wo Imre aus dem Militär zurückkehrt. Imre kommt nicht. Erst viel später erfährt sie, dass ihr Vater Imre aufgesucht hat, ihm erzählt hat, seine Tochter habe mit einem anderen angebandelt, so leid es ihm selbst tue, er müsse ihm, von Mann zu Mann, die Wahrheit sagen. Und Imre? Die junge Frau will nicht glauben, dass er sie nicht selbst gefragt hat, er hat sie, von ihrem Vater beschmutzt, allein stehen lassen.
Wenn du etwas gegen den Willen deines Vaters tust, dann hast du die ganze Welt gegen dich, sagt Mutter, du musst dich mit ihm versöhnen, ihm wenigstens das Gefühl geben, dass du nichts über seinen Kopf hinweg entscheidest. Und: alles, was du tust, bleibt an dir hängen, verstehst du das? (aber Onkel Piri ist doch ganz anders, er ist nicht so, wie der Vater in deiner Geschichte; Mutter, die Nomis Einwand ignoriert), Csilla, die antwortet, sie respektiere Mutters Geschichte, sie danke ihr dafür, dass sie hierher gekommen sei, um ihr die Augen zu öffnen, aber ihr mache es nichts aus, hier zu leben, und neulich, im Schlaf, sei ihr ein Engel erschienen, der ihr gesagt habe, dass es ihre Bestimmung sei, mit ihrem Csaba in Armut zu leben, Armut, das sei nichts Schlimmes, und der Engel, er habe gesagt, er sei zwar ein Engel, aber er könne nicht fliegen, weil er einen gebrochenen Flügel habe, das sei doch ein Zeichen — Tante Icu, die mit einem Ruck aufsteht, so dass ihr mächtiger Bauch wackelt, mit ihren Fingern über ihr Kleid wischt, als hätte es jemand beschmutzt, Csilla, dass du mir mit den Engeln kommst! Sag deinem Engel, er soll dir den Unterschied zwischen Armut und Verwahrlosung erklären, behüte dich Gott vor solchen Eingebungen. Du weisst, dass meine Tür für dich offen steht, sagt Tante Icu, aber komm mir nicht mit den Engeln! und sie dreht sich grusslos weg; Mutter, die noch zwei Päckchen Zigaretten auf den Tisch legt, Nomi und ich, die Csilla flüchtig umarmen, als hätte sie eine ansteckende Krankheit, komm zurück, sagt Mutter, bitte!