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Onkel Piri, der uns nicht glaubt, dass wir auf dem Markt gewesen sind, wie Tante Icu blumig erzählt, auch nicht, als wir Honigmelonen, gelbe Pfirsiche, türkischen Honig, ein Schälchen Himbeeren auf dem Tisch ausbreiten (die Männer ablenken, das ist ein Handwerk, das gelernt sein will, sagte Tante Icu), wenn ihr mir soviel Süsses auftischt, habt ihr etwas zu verbergen, sagt Onkel Piri, während Tante Icu ihm einen starken Kaffee braut (Vater, der immer noch "oben" schläft), ach, du bist mein Hellseher, sagt Tante Icu, ich wundere mich schon lange, dass du deine Begabung nicht zu Geld machst.

Onkel Piri legt sich ein zweites Kissen auf den Stuhl, setzt sich, bittet uns, Platz zu nehmen, und er legt die Hände übereinander, wartet schweigend, dass Tante Icu ihm einschenkt, und als der Kaffee vor ihm dampft, wir uns alle an den Tisch gesetzt haben, schiebt Onkel Piri sein Kinn nach vorn, fährt sich über die Bartstoppeln und sagt, im letzten Krieg, da hat man mir meine Schulter durchschossen, die Kugel ist rein und wieder raus; unser schöner, liebenswürdiger Onkel, der jetzt sein Sommerhemd aufknöpft, um uns die Stelle zu zeigen, die Wunde, seither ist mein linker Arm immer ein bisschen kälter als der rechte, sagt er und nippt an seinem Kaffee, seither spüre ich hier, genau an dieser Stelle, seht ihr? hier! was man vor mir verheimlichen will, und Onkel Piri langt nach seiner Mütze, knallt sie mit einem Schwung auf den Tisch wie einer, der einen Trumpf ausspielt, seine schwarzgrauen Borsten, die spitz von seinem Kopf wegstehen, jeden seiner Sätze bekräftigen, Onkel Piri, der sich vergisst, der uns vergisst — und die rohe Sprache, die wir von Onkel Piri kennen, hatte immer etwas Komisches, er habe keine Kopfschmerzen mehr, sagte Onkel Piri, wenn jemand gestorben war, Nomi und ich, wir haben gelacht, als unser Onkel über einen dummen Menschen sagte, er habe nur Schuppen im Kopf —, aber jetzt sitzen wir ganz still am Tisch, Nomi schaut schon lange niemanden mehr an, sondern fährt mit ihrem Zeigefinger das winzige Muster des Tischtuches nach, und ich, die auf die Plastikfrüchte starrt, die in einem Korb neben dem monströsen Radio aufgestellt sind, will diesen Tag jetzt schon aus meinem Gedächtnis streichen, wo Onkel Piri alle Derbheiten aufbietet, um seine Tochter zu verwünschen, die sich mit einem einlässt, der keinen Beruf, also kein Brot und kein Haus, nur einen Schwanz hat und der sei wahrscheinlich nicht grösser als derjenige eines Maulwurfs! Eines Maulwurfs? fragt Tante Icu, aber nicht so witzig, so leichtfertig, wie sie es sonst tut, ja, grüss Gott und verdammt noch mal, eines Maulwurfs oder eines Igels, wenn dir das lieber ist! Und es wird nicht mehr lange dauern, dann werden solche Männer wie Csillas Hundskopf von der Bildfläche verschwinden, alle reden ja davon, dass es bald Krieg geben wird, und das sind die ersten, die man einziehen wird in die jugoslawische Volksarmee, so einen Halb-Zigeuner heisst man willkommen, soll er doch kämpfen und krepieren für die Serben! Tante Icu, die nach der Fliegenklatsche schnappt, sie knapp neben Onkel Piris Hand niedersausen lässt, schade, ruft Tante Icu, hab sie nicht erwischt, da war gar keine Fliege, flucht Onkel Piri, aber deine schlechten Worte, siehst du sie nicht, da, auf meinem unschuldigen Tisch? Du-uuuu, ruft Onkel Piri so laut, dass der Holztisch vibriert, meinst du, du liebst deine Tochter, wenn du sie einem Nichtsnutz überlässt, ihn und sie durchfütterst?

Und was ist das für eine Liebe, wenn du dem Liebhaber deiner Tochter den Tod wünschst?

Sie hätte einen Soliden haben können, sagt Onkel Piri, und sein Blick verliert sich irgendwo zwischen Abwaschtrog und Namenskalender, dann packt er seine Mütze, steht auf, jetzt hat sie einen, den man als Kanonenfutter brauchen wird, so ist das, und Onkel Piri vergisst, sein Hemd zuzuknöpfen, aber die Mütze, seine mid, setzt er sich auf, schiebt mit einer raschen Handbewegung den Vorhang zur Seite, der die Grenze zwischen Küche und überdachter Veranda markiert, öffnet die Tür zum Hof, aber Csilla, Csilla ist für mich jetzt schon tot, ruft er, zu den Hunden, zu uns, hört ihr, ihr sollt es alle wissen! zu den Nachbarn, ich hatte einmal eine Tochter… Tante Icu, die sich bekreuzigt, ihm nachschaut, und du, sagt sie, du warst genauso als Kanonenfutter gedacht im letzten Krieg, als Ungar bei den Partisanen, wo du in deinem Petöfi-Regiment nicht einmal eine Waffe bekommen hast, aber du und deine Schulter haben das längst vergessen, mein Piri, aber ich nicht.

Und nachts, als alle anderen schon längstens schlafen, sagt Nomi, sogar das Bett hat sich verändert — oder die Nacht, antworte ich, und wir schlafen beide so lange nicht, bis es dämmert.

Welten

Wir setzen uns ins Abteil, wo wir rauchen können, wir setzen uns hin und sind beide erschöpft, vom Samstag, an dem immer viel los ist, im Mondial (nicht mehr so viel wie früher, bei den Tanners, aber doch), und unser Zug fährt los, Richtung Stadt, ich bin gar nicht in Stimmung, sage ich, wollen wir nicht beim nächsten Halt aussteigen und zum See runter? Komm schon, sagt Nomi, du kennst das doch, wie das ist, wenn man sich erst mal hinsetzt, merkt man erst, wie müde man ist, aber das geht schnell vorbei, nach einer halben Stunde, höchstens. Ausserdem ist heute ein grosses Konzert, die ganze Nacht spielen Bands, Ildi, das sollten wir nicht verpassen, und Mark, der wird auch da sein, meinst du nicht? Schon möglich, und ich nehme mir eine Dose aus der Tasche, willst du auch?

Nomi und ich, wir trinken Bier, wir schauen uns an, wie wir uns spiegeln im Zugfenster, wir sind es doch, obwohl wir ganz anders aussehen als sonst, im Mondial, wir sehen aus wie Männer, wie schmuddelige Männer, findet Vater und ereifert sich, endlos lang seine Ausführungen über seine Töchter, die die falschen Freunde hätten, falsche Freunde mit falschen Ideen! und ich sag's euch, wenn ihr euch so im Mondial blicken lässt… und Mutter sagt gar nichts, wenn sie uns so sieht, höchstens schüttelt sie den Kopf, da, wo wir hingehen, spielen die Kleider keine Rolle, sagen wir, und manchmal glauben wir uns, und manchmal wissen wir, dass wir lügen, wenn wir vor dem Spiegel stehen, schauen, ob die Handwerkerhose, die dunkelblaue, so sitzt, dass man meinen könnte, man hätte ihr noch gar nie Beachtung geschenkt — wo geht ihr denn hin, fragt Vater. An einen Ort, wo es keine Gesetze gibt, da ist alles erlaubt, alles, was einem anderen nicht weh tut, sagt Nomi oder sage ich, unsere verwaschenen, überdimensionierten Sweat-Shirts, die uns geschlechtslos machen. Auf jeden Fall habt ihr da nichts verloren, das sagen wir nicht, aber fast, wenn Vater meint, er komme uns abholen mit dem Auto, er wolle sich das mal anschauen, er wolle wissen, was das für ein Ort sei, ohne Gesetze? da lach ich ja im Schlaf noch, so was gibt's nicht, gesetzlos ist nur der Krieg, und vom Krieg habt ihr keine Ahnung, nicht die geringste, und: Warum soll ich euch nicht abholen, schämt ihr euch denn für mich?