Der kompensiert doch irgendwas mit seinem ernsten Übereifer, sagt Mark (warum widerspreche ich ihm nicht? Ich komme nur, wenn ihr Hundeverbot habt in eurer Mediengruppe, denke ich, stelle mir vor, wie eine Handvoll Freaks mit ihren Hunden im Kreis sitzen, über den Krieg diskutieren, die Hunde, die ihre Schwänze schwingen wie Fahnen), ciao, Benno, rufe ich, schaue wieder aus dem Fenster, und es sind nicht mehr die Züge, die fahren, sondern wir fahren, ziemlich schnell, jemand hat uns auf einen grossen Hubstapler geladen und fährt mit uns, immer schneller, Richtung Müllabfuhr, wer fährt, frage ich und sage: Mark, pass auf, deine Zähne fallen dir aus deinem Mund, oh, und Mark lacht, Nomi lacht, Dave lacht, ich lache, du wirst einen Mund haben, aber keine Zähne, und ich sehe, wie das Herz der Madonna blinkt, ihr Herz wächst uns entgegen, wir fahren, damit wir zum Herz kommen, sage ich, Mark prustet, Ildi, du machst mich krank, du bist so komisch, he, ihr alle, sagt Dave, lacht nicht grundlos und wischt sich die Tränen ab, ich bin, ich bin, ich bin, ich — du, komm schon, wir tauschen, du küsst Nomi und ich Ildi, der Hubstapler hat einen Propeller, er wirft uns kalte Luft ins Gesicht, Dave? Sein grosses Gesicht vor mir gleicht dem Gesicht eines traurigen Clowns, verschwinde, Dave, der Müllberg wächst, ich muss mich darauf vorbereiten, auf das, was kommt, Nomi, Nomi, wo bist du? und ich, die vermutlich in Tränen ausbricht, he, Ildi, alles klar, ich bin hier — bei dir, und ich, die sagt, warum habe ich so kalte Hände? weisst du, warum wir hier sind? was wir hier suchen? Wir amüsieren uns, das sagt nicht Nomi, wahrscheinlich Dave, Dave, warum stehst du immer noch vor mir, halt dich fest, Dave, die Geschwindigkeit, spürst du sie nicht, Dave sagt, Mark behauptet, du küsst göttlich, ich will das jetzt haben, mach die Augen zu — geh weg —, Nomi, wo bist du? los, ab in den Keller, das Konzert hat begonnen, Mark, der mich stützt, weil ich keine Beine mehr habe, keine Beine? du spinnst, sagt Mark, ja, ich bin beinlos; los, komm schon, vergiss deine Beine, ruft Mark — aber was machen die Polizisten da? Mark, warum sind wir umzingelt, hat das mit meinen Beinen zu tun? Ildi, da sind keine Bullen, Leute wie du und ich um uns, Ildi, pass auf, die Stufen! Nomi, wo ist sie? Unten, im Keller, antwortet Mark, los, mach schon! der Hubstapler, sage ich, und warum sagst du mir, da sind keine Polizisten, die Hunde sind überall, siehst du sie nicht? Mark, der mich packt, die Treppe runterträgt, habt ihr geheiratet? Augen, Münder, in denen Blut schwimmt, warum sind alle verletzt? und Benno fliegt über uns, Sarajevo, ruft er, versteht ihr? Sarajevo! Und ich drehe meinen Kopf in Marks Arm, ich will keine Hunde mehr sehen, keine blutenden Münder, und da, wo früher die Beine waren, schlägt das Herz, kann ein Herz da schlagen, wo sonst Beine sind? Mark, der mich in ein Loch hineinwerfen will, ich, die sich mit Händen und Füssen wehren muss, schreie ihn an, damit er es nicht tut; ein Sofa, sagt Mark, verdammt, Ildi, das ist ein Sofa, ich kann dich nicht mehr tragen! Und wenn du mich ins Loch wirfst, lande ich auf dem Müllberg, Mark, ich hab's gewusst, deine Augen haben mir's verraten! und ich befreie mich, werfe mich auf den Boden, Mark, warum trampelst du mich tot mit deinen Schreien? Ich bin's nicht, sagt Mark, die Band schreit — was? welche Band? warum kann ich nicht auf dem Boden liegen, warum rast der Boden in mich hinein? Du spürst die Vibration, sagt Mark, hör mal zu, ich hol dir eine Flasche Wasser, du musst trinken, du bist auf einem ziemlich schlechten Trip, der muss wieder raus aus dir.
Irgendwann waren wir dann auf dem Klo, Nomi, die mir den Kopf duscht, Nomi, die auf mich einredet, mir die Wangen streichelt, den Kopf, hallo, siehst du wieder klar? klar, Nomi, die sagt, Rum und Gras vertragen sich nicht, blutige Anfängerin, sage ich und hebe meinen Kopf, sehe mich im Spiegel, Nomi, die ihr Gesicht an meine Wange drückt, wir sehen uns ähnlich, sagt sie, die Lippen, die Augen, unsere Gesichtsfarbe, nur die Haare nicht; erinnerst du dich an Grossmutter, wie sie sagte, dass jeder Mensch mehr als zwei Gesichter hat? Wie könnte ich das vergessen, antwortet Nomi.
Ich möchte nur ein Gesicht haben, sage ich.
Nomi, die lange wartet, mich anschaut und dann sagt, jeder Mensch hat verschiedene Gesichter, es ist überlebensnotwendig, verschiedene Gesichter zu haben.
Ich kann nicht mehr arbeiten im Mondial, und ich kann nicht mehr hierher kommen, es ist —
Ildi, du bist heute schlecht drauf, komm schon, nichts Grundsätzliches jetzt, wir machen uns ein bisschen frisch, ein bisschen Schminke, und dann gehen wir tanzen, meine geliebte Schwester, mach dich nicht so schwer.
Und Nomi und ich, wir haben getanzt, mit Dave und Mark, wir haben uns verwickelt, uns am Hals geküsst, und ich habe mich fallen lassen, habe meinen Mund an Marks Schulter sich festsaugen lassen, meine Augen, die zufielen vor Müdigkeit und Erleichterung, deine Haut ist so weich wie Schnee, flüsterte Mark mir ins Ohr (und so kalt?), vielleicht kann man an einem Tag etwas beschliessen, dachte ich, man kann beschliessen, anders zu werden, und dann kommt der nächste Tag, und man merkt, wie spielend leicht es geht, und Mark hat meine Schulter nass geküsst, seine Finger haben meine Brüste im Takt berührt, Mark und ich, wir tanzten durch die Stuhlreihen des Mondial, die Bilder, aus denen Farbe tropfte, es sieht schön aus, sagte ich flüsternd in Marks Ohr, das Gelb, das Rot, das Blau, die Farbtropfen an den Wänden, auf den gepolsterten Stühlen, und das Tapetenmuster zitterte, durch alles ging ein leichtes Beben, die beiden Vasen, die im Zeitlupentempo umfielen, es sieht wirklich schön aus, die Scherben, sagte ich zu Mark, die verschmierten Landschaftsbilder, und wir drehten uns mit verschlungenen Armen und Beinen weiter, bis Nomi uns aus unserem Wachtraum weckte, der Keller, der schon fast leer war, die Musik, die nur noch ganz leise aus den Boxen spielte.