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Mark und Dave, die uns zum Bahnhof begleiteten, mit uns auf den ersten Zug warteten, und wir umarmten uns, Nomi Dave, ich Mark, wann sehen wir uns? Bald, und ich erinnere mich, dass mir der Morgen kalt vorkam, und ich sah mich am Gleis stehen, zerwühltes Haar, eine schlotternde Hose, verschwitztes T-Shirt, ich sah meine Schuhspitzen, die Marks Schuhspitzen berührten, kommst du nächste Woche an die Uni? Nein, antwortete ich, ich habe keine Zeit, und ich hörte meine Stimme, sah zum Kioskverkäufer, der mit offenem Mund zu uns schaute, ich sah ihn, mich, uns, die Tauben, die auf dem Bahnsteig mit ihren Köpfen ruckten, mit raschen Bewegungen auf den Asphalt pickten, der Tag, der schon heller wurde, am Himmel rote Verfärbungen zeichnete; und ich sah uns vom Kiosk aus, ich hinter Zeitungen, Zeitschriften, Kaugummis, Schokoriegeln stehend — ich sah uns, übergross, ich, eine aufgeregt flatternde Taube, von menschlichen Schritten aufgescheucht.

Im Sommer 1987 sassen unsere Eltern im Wohnzimmer, nach der Arbeit, sie beugten sich über das Buch, das ihnen irgendein Beamter mitgegeben hatte, Staatskunde, und Nomi und ich, wir haben unsere Eltern abgefragt, die Bundesräte, das Parlament, die direkte Demokratie, die Staatsgründung, Fragen zur Schweizer Geschichte, unsere mit Beinschinken belegten Brote haben Fettflecken hinterlassen im Buch, und es war ein fester Ablauf: Brote streichen, belegen, ein Tablett mit belegten Broten und Mineralwasser ins Wohnzimmer tragen, Nomi und ich, die die Einbürgerungsprüfung nicht machen mussten, weil wir noch nicht volljährig waren, Förderalismus, sagte Vater, und wir lachten mit butterverschmierten Mündern, was willst du fördern? Vater, der "Demokratie" so aussprach, als wäre sie eine schöne, elegante Dame, aber keine Staatsform, wenn einem etwas wichtig ist, dann muss es schön klingen, elegant, Fragen, die Nomi und ich nicht beantworten konnten, Halbkantone, was soll denn das sein, entweder gibt es Kantone oder nicht, und wir haben nicht nur gelacht, sondern uns auch die Köpfe zerbrochen, weil uns die Sprache immer wieder in die Quere kam, Namen wie General Guisan, wie soll ich mir das bloss merken? Rätoromanisch, nicht radromanisch! Nomi, die sagte, bin ich froh, dass ich die Prüfung nicht machen muss, und es war ein verregneter Tag, an dem wir unseren Eltern Glück wünschten, und wir waren nicht überrascht, dass sie schweigend nach Hause kamen, nicht geschafft, sagte Mutter, wir müssen noch mal hin, ein paar Fragen hätten sie gar nicht verstanden, wie soll man da antworten, wenn man die Frage nicht versteht? Mutter, die der Prüfungskommission ein besonders ausgefallenes Strudelrezept aufgetischt hatte, weil sie das Wort Sudel nicht gekannt hat, das schweizerische Wort für Fresszettel, die Beamten, die ihr angeboten haben, sie könne sich auf einem Sudel Notizen machen.

Und es ist merkwürdig, dass wir ausgerechnet an diesem Abend Monopoly spielen, ich weiss gar nicht, ob dieses Spiel je irgendjemand von uns gemocht hat, ich glaube nicht, auf jeden Fall steht das Spielbrett auf dem Tisch, wir würfeln, kaufen, Vater wird ein paar Mal hintereinander ins Gefängnis geschickt, wenn wir etwas zusammen gespielt haben, dann Karten, meistens Romee, und Mutter hat beim Spielen sehr oft gewonnen, und Vater hat sich in allen Farben über ihr Spielglück geärgert, aber an diesem Abend geht es nicht ums Gewinnen oder Verlieren beim Spielen, sondern darum, dass in unseren eigenen vier Wänden die überreifen Früchte wieder einmal aufplatzen, Vaters witzig abschätzige Bemerkungen über die Käsigen, die Schweizer, die Herzspezialisten hinter den Alpen, diesen ausgehungerten Quark, den sie hier haben, der schmeckt doch gar nicht, sagt Vater, den schmiert sich höchstens so eine hihihihi Hausfrau ins Gesicht, sagt er, würfelt eine Sechs (und kauft sich ein Häuschen in Freiburg, das ist bestimmt fehlinvestiert, sagt Nomi), und wisst ihr, jetzt spreche ich als Metzger zu euch, warum die Schweizer alles bis zur Unkenntlichkeit verhacken müssen? Für den Schweizer gibt es nichts Schlimmeres als Fettaugen, wenn ihn so ein Fettauge anschaut, dann sieht er schon einen Zeigefinger, denk an dein Kolesteril, ja, und die Hausfrauen, die noch um elf Uhr in Cafes rumsitzen mit ihren frischen Frisuren, wenn sie zusammen höcklet, sitzen, besprechen, was sie als nächstes für einen Kurs besuchen oder wo sie im nächsten Winter in die Skiferien fahren (Mutter, die die Wasserwerke, die Elektrizitätswerke und Bergbahnen kauft und vielleicht auch gern einmal einen Kaffee getrunken hätte am Vormittag, in einer Cafeteria), sollen wir überhaupt noch weiterspielen, frage ich, warum nicht? wir haben ja erst gerade angefangen, und wisst ihr, was im Cervelat alles drin ist, in der Nationalwurst der Schweizer? viel viel Eis und Schwartenmagen, viel viel billiges Gewürz, dann wird das alles schön kleingehackt, vermantscht, weil die Schweizer nicht wissen wollen, dass sie Tiere essen, und am Schluss hat man so ein hellbraunes Wurschtli vor sich und sieht nichts mehr von der Wahrheit (Vater, der sich in Freiburg und in La Chaux de Fonds ein Hotel kauft, das lohnt sich nie, sagt Nomi, mal sehen, antwortet Vater), aber wer will das schon wissen, fragt uns Vater, und warum wird man hier nie eingeladen und wenn, dann zu Wienerli mit Kartoffelsalat? warum haben hier die Hunde Vortritt? (und Nomi und ich, wir lachen, weil Vater einem imaginären Hund einen Fusstritt verpasst), hier kannst du zugrunde gehen, und die organisieren dir noch ein korrektes Begräbnis (Vater, der in der Vojvodina nicht aufhört zu betonen, dass in der Schweiz alles seine richtige Ordnung hat, da weiss man, wo die Strasse anfangt, wo der Bürgersteig, und keine Bäume, die kreuz und quer wachsen), und Vater würfelt über den Tisch hinaus, wischt mit dem Arm über das Spielbrett, Vater, der doch keine Lust mehr hat, weiterzuspielen, weil er jetzt lieber schwärmen will von den Errungenschaften der eigenen Kultur, unser Quark ist doch ein Quark der Superlative, körnig, aromatisch, unsere Paprikawürste, die sind weltberühmt, hört mal! sogar amerikanische Filmstars essen unseren kolbäsz und wir Vojvodiner Ungarn sind ja noch viel gastfreundlicher als die Ungarn, die in Ungarn leben, unsere Sprache, die allen Studierten immer noch ein Rätsel ist; Mutter, die Vater plötzlich unterbricht, mit einer feinen Stimme sagt, es sei unangenehm, ständig zu schwitzen, wenn man Deutsch spricht, und wahrscheinlich schwitze man so, weil man wisse, dass man falsch spreche, auch wenn man sich noch so Mühe gäbe, und Mutter schaut uns alle der Reihe nach an, mit offenen Augen, als habe sie gerade etwas Schockierendes begriffen — und das Spielbrett liegt vor uns, das Papiergeld, die Figuren, die Würfel, Mutters Worte, die mitten ins Herz treffen und zeigen, was Vaters Überhebungen im Grunde sind, nämlich die Hilflosigkeit gegenüber erlittenem Schmerz, Enttäuschungen, die sich hinter diesen Sprüchen verschanzen (und es gäbe so viel zu sagen über den Kurzschluss, dass ein Mensch, der in einer Sprache Fehler macht, als dumm gilt, die Fehler meiner Eltern, die in meinen Ohren eine eigene Schönheit haben; es wäre die Gelegenheit zu sagen, dass Vater und Mutter, wenn sie Ungarisch sprechen, wie verwandelt aussehen), und als könnte Nomi meine Gedanken lesen, sagt sie, wir übersetzen euch simultan, das nächste Mal, wenn ihr zur Prüfung müsst, dann musst du nicht mehr schwitzen, Mami, dann schwitzen die Herren, weil ihnen so viele Wörter um die Ohren fliegen.