Mamika, die Hühnergulasch mit Nockerln auftischt, Paniertes vom Schwein mit frittierten Kartoffeln und Kürbisgemüse, an der Sonne gesäuerte Gurken und Tomatensalat mit roten Zwiebeln, Mamika, die uns erlaubt hat, soviel Traubi wie wir wollen zu trinken, und für ein Mal dürfen wir während dem Essen aufstehen, um uns an Mamikas weicher Haut satt zu küssen, wir drücken uns von links und von rechts in die Wärme ihres Kleides, und nur Mamika nervt uns nicht, wenn sie sagt, dass wir beide bestimmt zwei Fingerbreit gewachsen seien, meine grossen Mädchen, sagt sie, und bald seid ihr junge Frauen! Nomi und ich, wir legen nacheinander unsere Hände auf Mamikas Haarknoten, weil das so weich und angenehm ist, das geflochtene Haar auf der Handinnenfläche, und ich, die sich in diesem Sommer schon so fühlt, als wären die Beine zu lang, die Hände zu gross, immer irgendetwas am eigenen Körper, das nicht mehr summt, bin also sicher mehr als zwei Fingerbreit gewachsen, und trotzdem bin ich noch weit entfernt von der Welt der Erwachsenen, das merke ich vor allem, wenn Mutter und Vater anfangen, von unserem Leben in der Schweiz zu erzählen, von der Arbeit in unserem Geschäft, Wäscherei, Glätterei, Büglerei, steht auf einem schwarz-weissen Schild, und Vater malt vor Mamikas Augen Buchstaben in die Luft und Zahlen, wieviel ein gebügeltes Hemd kostet, ein Tischtuch, ein Unterhemd, wieviel Rabatt es gibt, wenn jemand gleich zehn Hemden bringt, und Mutter beschreibt, was für komplizierte Stoffe die Reichen haben, das müssen die Finger erst mal lernen, wie man das Bügeleisen über diese Stoffe führen muss, bei so einem Preis darf kein Fältchen zu sehen sein, sagt sie, und ich, die mit einem Ohr meinen Eltern zuhört, unterhalte mich fast lautlos mit Nomi darüber, wie unsere Freundinnen auf unser Traubisoda reagieren würden, Betty sagt bestimmt, nicht schlecht, aber nichts Besonderes! und Claudia dreht das Fläschchen wahrscheinlich hin und her und sagt dann gar nichts oder zuckt bloss mit den Schultern, es ist ja nicht einfach, etwas zuzugeben, meint Nomi, ja stimmt! es ist nicht fair, wenn wir unsere Freundinnen zum Lügen zwingen, so unsere Überlegung, wir schwärmen lieber von Traubisoda und warten auf den Tag, wo es viel berühmter sein wird als alles andere, berühmter sogar als Coca-Cola, ja klar! und Nomi schenkt uns nochmals nach, Vater und Mutter, die inzwischen erzählen, dass wir auch ausliefern, die gebügelte Wäsche in grossen Körben, meistens abends, in die Häuser unserer Kunden bringen, natürlich kostet das extra, wenn wir da in die Hügel hinaufkurven, die wohnen ja lieber oben, die Reichen, sagt Vater und lacht, und während er noch von den Hunden erzählt, die ihn beim Ausliefern schon angefallen oder fast angefallen haben, denke ich daran, wie wir uns im Keller, da, wo zwei Waschmaschinen stehen, Weichspüler, Waschmittel und Spezialseifen, unzählige Plastikkörbe in allen Grössen und Farben, Stoffsäcke mit Wäscheklammern und ausserdem ein Büffet mit Geschirr, Gewürzen und einer Kochplatte, wie wir uns an den kleinen Holzüsch setzen, den Vater auf der Strasse gefunden hat, und wir da, wo es immer kalt ist und die frisch gewaschene Wäsche hängt, zu Mittag essen, schweigend, weil Vater es nicht mag, wenn wir während dem Essen reden. Nomi und ich, wir messen, wenn wir ungestört sind, die unförmigsten Unterhosen mit unseren Fingern aus, stellen uns vor, wie oft unsere Schenkel und Hintern da hinein passen, in diese Fallschirme! die Reichen müssen auch aufs Klo, und manchmal sind sie sogar richtig fett, sagen wir kichernd, aber ich schäme mich, wenn die betreffende Person ihr Wäschepaket abholt, ich ihr beim Einkassieren in die Augen schauen muss, und das weiss niemand, nicht einmal Nomi.
Das klingt nach harter Arbeit, sagt Mamika, schneidet Brot, eine fingerdicke Scheibe, die sie Vater hinhält. Aber wir verdienen, und keiner schreibt mir irgendetwas vor, antwortet er, zeigt seine Zähne und füllt sein Gläschen wieder auf, erzählen Sie doch, Mamika, müssen Sie sich immer noch anstellen für dieses lächerliche Brot, mitten in der Nacht, jetzt, wo der König aller Partisanen endlich tot ist? oder können Sie jetzt Brot kaufen, am Nachmittag oder irgendwann…?
Und Vater wird gleich von den Grundunterschieden zwischen Ost und West zu reden anfangen, von den grundsätzlichsten Unterschieden, die es im Universum überhaupt geben kann, und sich dabei ein Schnäpschen nach dem anderen in den Hals werfen, die selbst gebrannte Birne von Onkel Móric, jetzt, in diesem Jahr, wo der Genosse Josip Broz Tito gestorben ist und sich bewahrheiten wird, was alle, zumindest die Intelligenten, schon längstens wissen, dass es mehrere Generationen dauern wird, bis sich die sozialistische Misswirtschaft erholen wird, wenn überhaupt! (und das alles und noch viel mehr haben wir schon während unserer Reise erfahren), als Vater schon richtig in Fahrt kommen will, sagt Nomi ganz unerwartet, mit der unnachgiebig grellen Stimme, mit der sie sonst um Süssigkeiten bettelt, ich will, dass Mamika jetzt mit mir redet, ich will, dass Mamika jetzt erzählt. Und sie fragt Grossmutter, wie viele Junge die Schweine haben, fragt nach den Gänsen, Hühnern, ob wir später Eier holen können, sie will wissen, ob Mamika den Enten immer noch das Maul stopft, ob Juli immer noch für sie auf dem Markt einkauft, und der Garten von Herrn Szalma, wie sieht der aus? Und Nomi hängt sich an Mamikas Hals, redet und redet immer weiter, so dass Mutter über ihr hitziges Gesicht fährt und sagt, wir sind ja gerade erst angekommen, du hast noch ein paar Tage Zeit, um Mamika auszufragen.
Aber ich will jetzt alles wissen, sagt Nomi, ich will jetzt alles ganz genau wissen, sagt sie nochmals und drückt sich an Mamikas Wange, sie weint fast, ihre Stimme überschlägt sich, und Mutter schüttelt verständnislos den Kopf, und Vater sagt, nach so einer Fahrt habe ich keine Lust, mir dieses Geplärre anzuhören, und seine Hand saust auf die Tischplatte, und weil da keine Fliege ist, zucken wir alle zusammen, ausser Grossmutter, und sie sagt mit ruhiger Stimme: Herzlich willkommen in meinem Haus! Herzlich willkommen mit allem, was ihr mit euch bringt, mein lieber Miklós! also, ich mache mit Nomi und Ildikö einen kleinen Rundgang, und du, ruh dich in der Zwischenzeit aus, dann gibt's Nachtisch!
Der weiche Singsang meiner Grossmutter, das nächtliche Gequake der Frösche, die Schweine, wenn sie aus ihren Schweinchenaugen blinzeln, das aufgeregte Gegacker eines Huhnes, bevor es geschlachtet wird, die Nachtviolen und Aprikosenrosen, derbe Flüche, die unerbittliche Sommersonne und dazu der Geruch nach gedünsteten Zwiebeln, mein strenger Onkel Móric, der plötzlich aufsteht und tanzt. Die Atmosphäre meiner Kindheit.
So habe ich nach langem Überlegen geantwortet, als mich Jahre später ein Freund gefragt hat, was denn Heimat für mich bedeute, und wesentliche Dinge sind mir in dem Moment gar nicht eingefallen. Erstens das relativ unbekannte, aber eigentlich weltbeste Getränk namens Traubisoda, das bestimmt auch von Papst Johannes Paul II. gesegnet worden ist und ich so fraglos mit Heimat verbinde, dass ich es zu nennen vergessen habe. Und zweitens etwas, das sich nicht so leicht auf einen Begriff bringen lässt, die Erinnerung nämlich an Nomi, wie sie mit ihrer Quengelei Vater und Mutter nervte, damals, im Sommer 1980, als sie, kurz nachdem wir angekommen waren, alles von Mamika wissen wollte, nicht nur alles, sondern sofort alles; die Quengelei meiner Schwester, so verstand ich plötzlich, war vergleichbar mit meinen geheimen, rasend schnell durchgeführten Inspektionen: weil wir beide die Angst hatten, nichts mehr mit unserer Heimat zu tun zu haben, wollten wir die Zeit einholen, in der wir nicht da gewesen waren, und in diesem Wettrennen waren wir unsäglich erleichtert, wenn wir uns an ganz banalen, alltäglichen Dingen orientieren konnten, dem Spaltblock, der glücklicherweise immer noch an derselben Stelle steht, nämlich beim Schweinestall, in der Nähe des Plumpsklos, Mamika, die sich in der Zwischenzeit keine Kühe angeschafft hat oder Fasane, sondern immer noch mit ihren Schweinen, Hühnern, Gänsen und Enten lebt, dem winzigen Taubenschlag, den wir unverändert auf dem Dachboden vorfinden — und von Mamika wissen wir, dass sie die Tauben nur unserer Mutter zuliebe hält, weil sie Grossmutters Taubensuppe über alles liebt und sich jedes Jahr wie ein Kind, wie sie selbst sagt, auf sie freut — wir sind froh, als wir auf unserem Rundgang mit Mamika sehen, dass sie ihren Gemüsegarten nicht in einen Blumengarten verwandelt hat und dass der Pflaumenbaum da steht, wo er all die Jahre zuvor auch schon gestanden hat, neben dem Maislager, und ein Teil der Früchte fällt in den Garten und der andere auf die Pflastersteine, wo sie innerhalb kürzester Zeit den Ameisen, Käfern, Wespen, den immer blöd rumpickenden Hühnern zum Opfer fallen. Als Mamika uns ihre Welt zeigt, beim Holzzaun, der an den Hühnerstall grenzt, stehen bleibt und sagt, ja, der Innenhof von Herrn Szalma ist immer noch genauso vergammelt, seht es euch selbst an! als wir durch den fingerbreiten Spalt des Zaunes spähen, die riesigen Kürbisköpfe sehen, die an etlichen Stellen schon aufgeplatzt sind, das Unkraut, das die schönen Rosen verdrängt, als wir Mamika sagen hören, sie könne diesen liebenswürdigen Herrn Szalma nicht verstehen, dass er jedes Jahr sein Haus mit neuer Farbe weisse, aber seinen Garten so verkommen lasse, schaut nur, wie sich das Efeu über die Beerenhecken frisst! da sind Nomi und ich beruhigt, weil sich unsere Heimat nie verändern darf und wenn, dann nur ganz geringfügig (und mit achtzehn, wenn wir volljährig sind, würden wir zurückkommen, unter Mamikas warme, dicke Bettdecke kriechen, und wir würden davon träumen, dass wir ein paar Jahre weg gewesen sind, in der Schweiz).