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Kann man von einem Tag auf den anderen, von einer Nacht auf die nächste in ein neues Leben hineinfahren? Das frage ich mich, damals war es eine unbestimmte Aufregung. Wir fahren in die Schweiz, sväjcba, haben Sie zu uns gesagt, nachdem sich Onkel Móric an einem Nachmittag in Ihre Küche gesetzt hat, die Papiere, a papirokat, auf den Tisch gelegt hat, die er auf der Botschaft in Belgrad abgeholt hat. Ist alles gut gegangen, haben Sie ihn gefragt, ja, hat er geantwortet, und ich sehe heute noch, wie der schmutzig weisse Umschlag auf Ihrem Küchentisch liegt, neben der Flasche, dem Schnapsgläschen, das Onkel Móric in einem Zug geleert hat. A papirok, die Papiere, das war immer etwas anderes gewesen als alles andere, der wacklige Küchentisch, die weiss-blaue Emailleschüssel, die Tassen aus Blech, der Haussegen mit seinen farbig glänzenden Buchstaben, die Kredenz, in der Sie alles Kostbare aufbewahrt haben, und jetzt lagen sie also auf dem Tisch, die Papiere, so leicht und ohne Anzeichen, dass sie etwas Besonderes bedeuteten. Und auch an diesem Abend, als der Umschlag auf dem Tisch liegen blieb, haben wir Brot gegessen, Käse, wir haben die Nachtvorhänge zugezogen, Nomi und ich haben uns nebeneinander ins Bett gelegt, und Gott hat uns zugezwinkert, während dem Beten, Sie haben uns mit Ihrer warmen Hand die Wangen gestreichelt, vielleicht lagen wir wach, alle drei, vielleicht haben wir geschlafen.

Sväjcba, hatten Sie manchmal gesagt, Vater und Mutter seien in der Schweiz, in einer besseren Welt. Und wissen Sie, wie ich mir diese bessere Welt vorgestellt habe? "Besser" bedeutete für mich einfach "mehr". Mehr von allen guten Dingen, die ich kannte. Vater und Mutter lebten in einem Land, in dem es mehr Schweine gab, mehr Hühner, mehr Gänse, da musste es Unmengen von Weizen geben, Mais, Sonnenblumen, der Klatschmohn wuchs überall. In den Speisekammern hingen unzählige Würste, grosse, wohlriechende Schinken, die Einmachgläser türmten sich auf den Regalen, in der Schweiz gab es sicher nicht nur freitags Palatschinken, sondern jeden Tag; trotzdem bedeutete es mir nichts, wenn Sie sagten, dass Mutter und Vater Nomi und mich bald abholen würden. Ich ging raus, in den Garten, um den Satz rasch zu vergessen.

Mutter und Vater haben uns nicht abgeholt, sondern Onkel Móric hat uns nach Belgrad gefahren, uns und unsere Taschen, und er hat viel geredet, während dieser Fahrt im November, und die Pappeln und die Linden, die Akazien, die graue Luft dazwischen, die leeren Felder, die rauchenden Häuser und ich, die Cicu mitnehmen wollte, die spindeldürre Katze, ich habe geweint, weil ich Cicu nicht mitnehmen durfte, was willst du mit so einer struppigen Katze in der Schweiz, hat Onkel Móric vermutlich gesagt und gelacht, und wir haben uns, bevor wir uns in den roten Moskwitsch unseres Onkels gesetzt haben, von allem verabschiedet. Nicht so, wie man sich das vorstellt, wir müssten dringend nochmals aufs Klo, obwohl wir erst gerade auf dem Klo gewesen waren, und auf dem Weg zum Klo lag der Schweinestall, unsere Zehen, die täglich mehrmals den Schweinchen in die Augen geschaut hatten, weil sie zwischen zwei Brettern des Holzverschlags steckten, die grunzenden, ständig sich bewegenden Nasen, die an unseren Zehen rochen, uns kitzelten, und weil die Schweinchen uns kannten, haben wir ihnen Namen gegeben, Schwarzfleckschweinchen, das Schweinchen mit den zerknitterten Ohren, das Hinkeschweinchen, und weil kein Schwein so war wie das andere, verzogen wir uns in die Küche, wenn Onkel Móric oder ein Metzger aus der Gegend kam, um sie aus dem Stall zu treiben, auf einen kleinen Laster, im Innenhof von Onkel Móric oder des Metzgers wurden sie geschlachtet, und Sie, Mamika, hatten an diesen Tagen immer viel zu tun, auch Sie waren aufgeregt, weil Sie die Schweinchen quietschen hörten, so hoch und schneidend und langgezogen, wie eben nur die Schweine quietschen können, die wissen schon, was jetzt kommt, haben Sie zu uns gesagt — und es war sicher eines jener grundsätzlichen Dinge, die wir bei Ihnen gelernt haben, dass man mit den Tieren mideiden kann, dass es unverstellte Gefühle gab zu den Tieren, dies, obwohl Sie in Ihrem Leben so viel menschliches Leid gesehen und erfahren haben.

Die Gänse, die Nomi ganz besonders liebte, weil sie so einen schönen Hals und funkelnde Augen haben, weil sie in ihrem Hintern so gemütlich sind, was? warum? Sie sind wütend geworden, weil Nomi sich geweigert hat, Gänsefleisch zu essen, und Nomi hat nicht geantwortet, warum sie ausgerechnet das Gänsefleisch nicht essen wolle, und als es das nächste Mal an einem Sonntag Gänsebraten gab, haben Sie Nomi angeschaut, und? und als Nomi ganz bestimmt den Kopf geschüttelt hat, obwohl sie noch nicht einmal vier Jahre alt war, haben Sie gesagt, es sei wahrscheinlich, dass Nomi sich zu den Gänsen so hingezogen fühle wie Sie sich zu den Pferden und dass Sie deswegen ja auch nie Pferdefleisch essen würden, und obwohl es uns beeindruckt hat, dass Sie nicht wieder wütend geworden sind, fanden wir es merkwürdig, fast beunruhigend, dass Sie von bestimmten Seelenverwandtschaften sprachen, zwischen Mensch und Tier, erst viel später, als Sie uns von unserem Grossvater erzählt haben, haben wir Sie verstanden.

Als wir alle im Auto sassen, Sie in unserer Mitte, eine Tasche neben Onkel Móric auf dem Beifahrersitz, als wir uns aneinanderschmiegten, weil es so kalt war, da versuchte Onkel Móric vergeblich, den Moskwitsch anzulassen, und ich erinnere mich, dass sich seine grossen, abstehenden Ohren verfärbten, Onkel Móric, der nie fluchte, aber immer rote Ohren hatte, wenn er wütend war, aussteigen! rief er, nein, nein, den Zug werden wir nicht verpassen, als Sie auf seine Uhr schauten, das habe ich schon eingerechnet, und Onkel Móric steuerte das Auto mit offener Tür an eine Stelle im Innenhof, wo er besser unter das Auto kriechen konnte, und Sie, Mamika, setzten in der Küche noch einen Kaffee auf, damit der Móric sich nachher nochmals stärken kann, und wir sagten, wir würden nochmals aufs Klo gehen, schon wieder? und während Onkel Móric unter dem Moskwitsch lag, haben Nomi und ich uns auch auf den Boden gelegt, um unter das Drahtgitter-Silo zu sehen, wir haben uns auf den kalten Novemberboden hingelegt, weil wir irgendwann einmal da, unter dem Maislager, angefangen hatten, eine eigene Welt aufzubauen, leere Dosen, kaputte Spielsachen, Papierfetzchen, Federn, Maiskörner, die wir nach bestimmten Mustern gruppierten, und jedes Mal, wenn wir uns wieder hinlegten, waren wir aufgeregt, ob alles noch so sein würde, wie wir es hingestellt hatten, und wenn nicht, malten wir uns aus, was in der Zwischenzeit geschehen war, eine Maus, eine Katze, irgendein Wesen, das sich in die Ordnung unserer Dinge eingemischt hatte.