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Ich weiss nicht mehr, wie lange es gedauert hat, bis wir wieder im Auto sassen und Onkel Móric mit schmutzigen Händen das Steuerrad umfasste, Mamika, beten Sie, dass die Karre uns unterwegs nicht im Stich lässt, und Onkel Móric musste gleich wieder aussteigen, um das Tor hinter uns zu schliessen, und Nomi und ich, wir wollten jetzt schon eine Salzstange, obwohl wir ja noch nicht einmal losgefahren waren, und mit einem Anflug von Ärger langten Sie in Ihre Handtasche, steckten sich dann auch eine Salzstange in den Mund, und der Moskwitsch wippte, als Onkel Móric sich hinsetzte und sagte, drei Mäuse knabbern an meinem Ohr, und er lachte, weil Nomi ihn am Ohrläppchen zupfte, wir fuhren los, sicher mit einer einstündigen Verspätung oder mehr, und als der Moskwitsch über die Hajduk Stankova holperte, streckten sich unsere Köpfe wie von selbst zur Ecke, die "Julis Ecke" hiess, weil Juli fast jeden Tag da stand, an der Ecke Hajduk Stankova — Beogradska, wahrscheinlich ist sie noch auf dem Markt, sagten Sie, als Nomi und ich Sie mit fragenden Blicken angeschaut haben, als wäre unsere Abfahrt von Juli abhängig gewesen, davon, dass wir uns von ihr verabschieden konnten, oder anders gesagt, wir konnten nicht losfahren, ohne uns von ihr verabschiedet zu haben, und Onkel Móric wurde immer ungeduldiger, weil Mamika ihm gesagt hatte, er solle zur Seite fahren, er könne ja den Motor laufen lassen, haben Sie zu ihm gesagt, weil er meinte, er könne ihn wahrscheinlich nicht wieder anstellen, wenn er ihn jetzt abstelle. Wir sassen also da, warteten auf Juli, was uns allen ganz logisch erschien, ausser Onkel Móric natürlich, und Juli kam auch, nach einer Weile, in der Onkel Móric fast zu fluchen angefangen hätte, nicht nur seine Ohren pulsierten rot, sondern auch seine Nase, als Juli von der hucia utca her um die Ecke bog, Nomi und ich, wir stiegen sofort aus, mein Mund hat auch gern Salzstangen, sagte sie, und wir steckten ihr ein paar Süssigkeiten und Salzstangen zu, der November rupft allen die Haare aus, und Juli trug ein kariertes Kopftuch, einen knielangen Mantel mit Flicken, wir fahren in die Schweiz, sagte Nomi, die Scheuß antwortete Juli, das ist doch hinter dem Fluss, und noch viel weiter, habe ich gesagt, ja, ihr habt mir erzählt, dass ihr in die Schaiz fahrt, kommt ihr morgen wieder? und Juli steckte sich drei, vier Salzstangen in den Mund, ich, die Nomi in den Arm stiess, komm, wir müssen los, und Sie haben das Fenster runtergekurbelt und auf Wiedersehen meine Julika gerufen, Panni neni, Ihre Mädchen haben mir nicht gesagt, wann sie wiederkommen, bald! und wir haben Juli die Arme gestreichelt, sind wieder ins Auto gestiegen, und Onkel Móric hat so abrupt Gas gegeben, dass es uns in den Sitz gedrückt hat, wenn der Zug jetzt ohne euch fährt, dann seid ihr schuld!

Keine Ahnung, was Onkel Móric alles geredet hat, ich jedenfalls habe ihn noch nie so viel reden gehört, und im Auto hat es nach Braunkohle gerochen, nach Benzin, jetzt mach mal eine Pause, haben Sie zu Onkel Móric gesagt, aber er hat Sie falsch verstanden und einfach weitergeredet, gesagt, er könne doch keine Pause machen, jede Minute sei kostbar. Ich versuche mich zu erinnern, was Onkel Móric alles gesagt hat, aber es gelingt mir nicht. Vielleicht habe ich mich auch verloren an dieses Fenster, wo die nackten Bäume an uns vorbeizogen, die farbigen Häuser, die im Winter so aussahen, als wollten sie in der Erde versinken, weil sie sich ihrer Farbigkeit schämten in diesem grauen November, wo es nur natürlich ist, dass man Lichter anzündet für die Toten, Blumen auf die kalte, möglicherweise schon gefrorene Erde legt.

Ich habe mich sicher an dieses Fenster verloren, an Tafeln, die durchgestrichene Ortstafel Zenta, Cehta, Senta, es hatte für mich damals keine Bedeutung, dass der Name unserer Kleinstadt drei Mal geschrieben stand, auf Serbokroatisch, in kyrillischen Buchstaben, auf Ungarisch.

Dalibor

Er steht vor der Theke, fragt, hast du Arbeit? Ich antworte mit ja, das siehst du doch. Er bleibt stehen, hat meinen unbeholfenen Scherz offenbar nicht verstanden, und ich sage, dass er sich an den Personaltisch setzen solle, deute auf Tisch Nummer eins, direkt neben dem Buffet, und er, er dreht sich von mir weg, schaut einen Moment lang auf den ihm zugewiesenen Platz und setzt sich dann so hin, dass er mich sehen kann. Willst du etwas trinken, frage ich ihn über die Theke hinweg, und er zuckt mit den Schultern, scheint nicht viel zu verstehen, denke ich und bringe ihm einen Kaffee. Thanks, sagt er, lächelt nicht, und ich versuche ihm mit Handzeichen klarzumachen, dass ich die Chefin holen werde. Do you speak English, fragt er, yes! (und mein Kopf schämt sich, weil Englisch nicht die Sprache ist, die ich ihm zugetraut hätte), wait a moment, sage ich, why not, gibt er zur Antwort (und mein Kopf schämt sich weiter, weil er nicht weiss, wohin er schauen soll, aber die Beine, die setzen sich in Bewegung, automatisch).

Ich klopfe an die Bürotür, sage meiner Mutter, dass jemand da sei, der Arbeit suche, meine Mutter, die gerade die senfgelben Tischtücher bügelt, ihre ganze Aufmerksamkeit dem Leinen schenkt (und wahrscheinlich werde ich nie vergessen, wie diese Mischung aus Dampf, Leinen und menschlicher Anstrengung riecht), Mutter, es ist jemand da, der sich bei dir vorstellen möchte, sage ich; die Chefin, die jetzt ihren Kopf langsam hebt, von einer langen Reise zurückzukehren scheint, wir brauchen niemanden, das weisst du doch, ja, das weiss ich, denke ich. Sag ihr, sie soll ihre Telefonnummer dalassen, wir würden uns melden, falls sich die Situation ändert. Ihm, sage ich, es ist ein er. Die Chefin, die einen Moment über mich staunen muss, der Dampf, der vor sich hinschnaubt, dann kannst du dir die Arbeit sparen, wo willst du denn hin mit einem Mann? und die Chefin zwinkert mir zu, wir wollen unseren Hahn im Korb nicht aufscheuchen, oder? Aber ein Rausschmeisser wäre doch praktisch, findest du nicht? und die Chefin ist so überrascht, dass sie lachen muss, und ich, ich will die Gelegenheit beim Schopf packen, wen würdest du denn rausschmeissen lassen, frage ich rasch, den Pfister? oder den Tognoni? die Schärers sicher, was meinst du? aber schon ist das Lachen wieder verstummt, das Gesicht der Chefin, das wieder müde wirkt, Ildi, wir können froh sein, wenn wir nicht rausgeschmissen werden, froh? froh! und die Chefin nimmt das Eisen in die Hand, füllt Wasser nach, die vielen Flüchtlinge, die kommen und noch kommen werden, helfen uns nicht dabei, beliebter zu werden. Du gibst es also zu, dass sie uns nicht mögen, dass sie uns weghaben wollen? (Meine Stimme, die triumphieren will.) Zugeben? du hast mich falsch verstanden, es kommen jetzt so viele Jugos, da sind die Schweizer abweisend, wir wären auch abweisend in ihrer Lage, verstehst du? (was für eine Lage, Schieflage? Schräglage? Ablage? Zulage? mein Kopf turnt), wenn eine Masse kommt, dann kannst du keine Anteilnahme erwarten an einem Einzelschicksal, und ich, die sprachlos ist, überlege mir, warum diese senfgelben Tischtücher, die wir von den Tanners übernommen haben, so gut ins Mondial passen — aber es will mir nicht einfallen. Weisst du, wie viele gekommen sind bis jetzt, frage ich. Viele, ein paar tausend sicher, auf jeden Fall so viele, dass die Schweizer darüber reden und Angst haben, die Chefin, die das Tischtuch drittelt, zusammenlegt. Und damals? als ihr gekommen seid? hattest du auch so viel Verständnis für die Angst der Schweizer? Nein, damals habe ich das noch nicht begriffen, sagt Mutter und legt das frisch gebügelte, zusammengelegte Tischtuch auf den Stapel, wir müssen uns unter Kontrolle haben, nichts weiter, damit müssen wir uns abfinden. Kann man so leben, frage ich Mutter. Ja natürlich. Und ich, die sich an der Türklinke festhält, Mutter in die Augen schaut, ich glaube dir nicht, sage ich leise, wahrscheinlich unhörbar für Mutter, die sich bereits wieder über das Bügelbrett beugt, nach einem neuen Tischtuch langt.