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Schreib mir deine Telefonnummer auf, sage ich, im Moment brauchen wir niemanden, aber das könnte sich bald ändern, your phone number and jour name please! und bevor er schreibt, fragt er, ob es stimme, dass hier nur Jugoslawen arbeiteten, sein Cousin, der schon länger im Dorf wohne, habe ihm das erzählt, sein Cousin, der gern Geschichten erfinde, was ja unterhaltsam sei, aber zu unangenehmen Situationen führen könne. Und ich frage ihn, ob es irgendwas ändern würde, wenn er wüsste, dass es stimmt, dass wir alle Yugoslavians sind. Schon möglich, antwortet er, lächelt, nimmt dann den Schreiber, Dalibor Bastic, gefällt dir mein Name? Und ich möchte nicht, dass er meinen Kopf sieht, der sich schon wieder nicht beherrschen kann, unangenehm heiss ist, und ich drehe mich um, ziehe an meinem Kleid und habe das Bedürfnis, mich hinter der Theke zu verschanzen, aber ich bleibe stehen — Glorija, die sich nervös an mir vorbeidrückt, um die bestellten Kaffees selber einzuspannen, hörst du nichts mehr? murmelt sie im Vorbeigehen — ich, die nach hinten schaut, zu ihm, der sich sichtlich amüsiert, sage, dass ich mich noch nicht vorgestellt hätte, und ich, die doch beweisen muss, dass sie die Situation im Griff hat, dein Name ist etwas merkwürdig, strange, sage ich, aber er hat was, muss ich sagen. Dein Kleid hingegen passt nicht zu dir, antwortet er, man könnte meinen, du arbeitest in einer Zahnarztpraxis, ja, das tue ich auch, aber das erkennen nur ganz geschulte Augen, professional eyes; Glorija, die mich höflich darum bittet, meine Arbeit wieder aufzunehmen, sorry, sagt er, ich wollte dich nicht aufhalten!

Und als ich wieder hinter der Cimbali stehe, bläst er sich weiter auf, steckt sich eine Zigarette an, blickt, indem er den Rauch in meine Richtung wirbelt, unverhohlen zu mir, und natürlich muss ich mich ärgern, dass jede meiner Handbewegungen auf ihn bezogen ist, es nervt mich, dass die Cimbali, die doch nur meine Nasenspitze und meine Augen preisgibt, mich vor diesem Dalibor nicht ausreichend schützt. Dass er so dreist schaut wie es eigentlich nur Kinder tun, das beeindruckt mich und irritiert mich, und weil es mich irritiert, ärgere ich mich schon wieder; ich klopfe den Kaffeesatz in den Behälter, klopfe nochmals, um mich abzulenken, drehe dann am Schalter der Mahlmaschine, um dieses hektische, mahlende Geräusch zu hören, und als ich das nächste Mal den Kopf hebe, steht er vor mir, zwischen uns die Cimbali, streckt seinen Arm über die vorgeheizten Tassen, hält mir den Zettel hin, und da ich mich nicht beeile, ihn entgegenzunehmen, wartet er, und mein Kopf sucht, mit gesenktem Blick, den richtigen Satz, und die Situation ist nicht gerade romantisch, wenn man bedenkt, dass ein Zettelchen mit Namen und Telefonnummer über die beheizte Tassenabstellfläche einer Cimbali gereicht wird, Tassen, die zusätzlich, um die Wärme optimal zu speichern (damit der Kaffee wirklich schön heiss bleibt), mit zwei Küchentüchern abgedeckt sind. Dass eine junge Frau nichts anderes zu tun weiss, als unnötigen Lärm zu produzieren, das tut, was sie normalerweise vermeidet, ihn, der immer noch seelenruhig blickt, offenbar vertreiben möchte, indem sie alle Kolben ausspannt, die Sätze ausklopft, wieder einen Kaffee einspannt, obwohl Glorija nichts mehr bestellt hat, sich sogar bückt, um das Radio anzudrehen; thanks for your help, thanks for your time, sagt er, sie, die sich weiterhin betont beschäftigt gibt, die Edelstahlfront der Cimbali zu polieren beginnt, und als er schliesslich das eine Küchentuch zurückschlägt, den beschriebenen Zettel zwischen zwei umgedrehte Tassen schiebt, muss sie doch endlich seinen Blick erwidern, was ihn zu einem kurzen, betörenden Lächeln verleitet, und sie, die an seinen Lippen hängen bleibt, nicht wegen seinem Lächeln, sondern weil er fehlerhafte Zähne hat (so wie sie), und dann, dann ist er plötzlich weg.

Dein Freund, fragt Glorija und flattert mit den blauen Augendeckeln. Darauf muss ich dir doch nicht antworten, oder? ich, die den Zettel einsteckt, kann es kaum erwarten, ihn anzurufen, male mir aus, wie er sich am anderen Ende meldet, ich, die sich den ganzen Tag zu erinnern versucht, wie er aussieht, was für eine Augenfarbe er hat, dunkel? oder hell? ob er eine hohe Stirn hat, eine schmale oder breite Nase, aber ich kann mich an nichts mehr erinnern.

Bastic? sagt er, einmal, mehrere Male, weil ich nicht antworte, hallo, hallo, und ich überlege mir, wie viele Tage es dauern wird, bis ich antworten werde, aber es dauert keinen einzigen Tag, ich bin's, antworte ich nach ein paar Minuten, die von der Cafeteria, und meine Stimme klingt erstaunlich unbeteiligt, vielleicht weil mich der schlechte Geruch in der Telefonkabine ernüchtert. Möchtest du mich sehen, fragt er sofort.

Mein Land ist im Sterbebett, sagt er, und ich bin ein Flüchter, du bist ein Flüchtling, sage ich, und wenn ich ihn korrigiere, lacht er, zeigt seine schiefen Zähne.

Die Bänke hier sind nicht zerschossen, ausserdem haben sie Lehnen. Wollen wir uns setzen?

Wir sitzen also auf einer der Bänke am See, ein zerfleddertes Wörterbuch zwischen uns, das uns verbindet, und wir denken uns weg vom gegenüberliegenden Ufer, malen uns den Horizont aus, the sea, das Meer, das Dalibor so vermisst, dass er nachts aufwacht und die salzige Luft auf seiner Zunge schmeckt (das schöne Wort für Meer in seiner Sprache: more), er erzählt mir von seinem Meer bei Dubrovnik, und ich erzähle ihm von meinem Fluss, ich habe hier noch nie jemandem von meinem Fluss erzählt, sage ich, und er fährt mir mit seinen ausgesprochen schönen Fingern über die Stirn, und die kleinen Furchen auf deiner Stirn sind wie die winzigen Rinnsale eines Flusses, sagt er, seine Finger, die Zeit haben, so weiss sind, und trotzdem kann ich deine Adern nicht sehen, sage ich, und doch sollten wir baden, sagt er, auch wenn my fantastic body sich gegen Süsswasser sträubt (und ich werde Nomi von Dalibor erzählen, ich werde ihr haarklein alles beschreiben, dass er von my fantastic body spricht, dabei so kindlich lächelt, dass sich seine stolze Überheblichkeit sofort an eine einnehmende Naivität verliert, Dalibor, der so dichtes Haar hat wie Onkel Piri, dessen Augen so sehend sind, dass ich sie immer anschauen möchte, ein Blick, dem ich schon lange nicht mehr begegnet bin), er kann unmöglich Haare an den Beinen haben und am Rücken schon gar nicht, wenn er so weiss ist! und ich, ich erwarte, dass er sich auszieht, sich beiläufig sein Hemd aufknöpft, während er an seiner filterlosen Zigarette zieht, ich erwarte, dass er zu mir sagt, komm schon, nicht so schüchtern, zieh dich aus, ich glaube sogar, dass er mit seinem Blick fähig ist, die Schwäne zu beschwören, sie sollen an Ort und Stelle schwimmen, um uns beim gemeinsamen Bad zuzugucken, ich halte es auch für möglich, dass er den Himmel bittet, sich mit der Dämmerung zu beeilen, damit unsere Körper sich im schönsten Abendrot baden; und Dalibor steht auf, krempelt seine Hose hoch, macht ein paar Schritte Richtung Seeufer, und ich schaue ihm zu, dem Flüchter, wie er seinen Körper fallen lässt, in gebückter Stellung und mit hängendem Kopf nach flachen Steinen sucht, sich wieder aufrichtet, einen Moment lang wie ein Sportler vor dem Startschuss wartet, um dann die Steine fliegen zu lassen, im flachen Winkel, damit sie die Wasser-Oberfläche für einen Sekundenbruchteil berühren, die Kraft dieser Berührung so umsetzen, dass sie sofort wieder in die Luft schnellen, und ich überlege mir, wie man dieses Geräusch von übers Wasser hüpfenden Steinen beschreiben könnte (man hört die Luft, die Geschwindigkeit in der Luft, das spitze, feine Geräusch des Steins, der auf Wasser trifft, ein federndes Geräusch, könnte man sagen, die Energie zwischen den Elementen Wasser, Luft und Materie? aber ich hatte noch nie eine Ahnung von Physik), Dalibor, der sich wieder zu mir dreht, mit seiner hochgekrempelten Hose und einem Stein in der Hand, schau dir diesen Stein an, ist er wertvoll, precious? würde sich irgendwas ändern, wenn es diesen Stein nicht gäbe? was fragst du mich da, antworte ich. Vergiss es, sagt er und wirft den Stein hoch in die Luft, erzähl mir etwas von dir, von deiner Familie in der Vojvodina, weisst du, ich habe einmal einen Freund in Novi Sad besucht, ich habe mich sofort verliebt in diese Stadt, der Stein, der mit einem hellen Geräusch auf die anderen Steine zurück fällt. Ich kenne Novi Sad nicht, antworte ich, meine Familie lebt in einer Kleinstadt, etwa eine Stunde von Novi Sad entfernt, aber meine Schwester lebt da, sie arbeitet beim Radio, mehr weiss ich nicht, ich kenne sie kaum, sie ist meine Halbschwester, sage ich, half-sister. Half? und Dalibor setzt sich neben mich, ganz nah, ich, die riechen kann, dass er schwitzt, sage, ja, sie ist die Tochter meines Vaters aus erster Ehe. Na und, sagt Dalibor, entweder sie ist deine Schwester oder sie ist es nicht, das entscheidest du. Ich komme mir naiv vor neben dir, sage ich. Das ist nicht mein Problem, antwortet Dalibor, und wir drehen uns gleichzeitig zueinander, er fährt mit seiner Hand über meine Wange, murmelt etwas in seiner Sprache.