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Sie haben Ihre Mutter sehr geliebt, nicht wahr, sagt Frau Köchli leise zu Mutter, als wir am Tisch sitzen, Mutter die Geschenke geöffnet und sich bei allen bedankt hat, die Kellner die Vorspeisen auftragen; Mutter, die Frau Köchlis Hand nimmt, ja, sagt sie, ich liebe sie immer noch, und hier, schauen Sie, das ist meine Schwester Icu, mein Mann hat dieses Foto von ihr vergrössert, damit sie heute bei uns ist, sie fehlt mir genauso wie meine Mutter; Mutter, die Frau Köchli erzählt, von Tante Icu, dass ihre Schwester siebzehn Jahre älter sei als sie, deswegen sei sie allein aufgewachsen, ohne die Schwestern, ja, sie habe noch eine Schwester, die ein Jahr jünger sei als Icu, aber mit ihr habe sie nichts mehr zu tun, ein böser Streit, sagt Mutter, und alle unterhalten sich angeregt um mich herum, löffeln Suppe, nippen an Weingläsern, prosten zwischendurch Mutter zu, Vater, der mit Zoltán am Politisieren ist; ich aber höre nur Mutters Stimme, weil sie Frau Köchli erzählt, was sie eigentlich mir erzählen müsste, ich höre ihr zu und überlege gleichzeitig, was der Grund sein könnte, dass es ihr offenbar leicht fällt, Frau Köchli Dinge zu erzählen, von denen ich nichts weiss, und ich überlege mir, ob Mutter hofft, dass ich ihr zuhöre, während sie erzählt, ich jedenfalls tue so, wie wenn ich ganz mit dem Essen beschäftigt wäre. (Und zwischendurch schaue ich zu Nomi, die rechts von mir sitzt, die sich mit Aranka unterhält, ihr irgendwas über die Häuserbesetzerszene erzählt, über Punks, Konzerte, dass sie es witzig finde, da reinzusehen, und ich nicke manchmal, sage vielleicht sogar etwas, aber ich bin ganz woanders, folge nur Mutters Stimme.)

Die Geschichte einer Frau, die über dreissig ist, als sie ihr drittes Kind bekommt, und weil die anderen beiden schon ausser Haus sind, verheiratet, als die spätgeborene Tochter noch klein ist, wächst sie wie ein Einzelkind auf, verwöhnt bis in den kleinsten Zeh, so der Vater, der als Kutscher arbeitet, viel unterwegs ist, und als das Kind heranwächst, schaut sein Vater es manchmal lange an, mit einem reglosen Blick, wie das Mädchen ihn nur von den Soldaten kennt, ein Blick, der etwas bedeutet, was, erfährt sie, als sie sieben Jahre alt ist und ihre Eltern sich eines Nachts streiten, ihr Vater ihre Mutter schlägt, ob ihr denn schon aufgefallen sei, dass das Kind nichts von ihm habe, so schreit der Vater, ihre Mutter, die ihren Mann schreien und reden lässt, nicht antwortet, das Mädchen sei nicht von ihm, er habe schon gehört, wo sie sich rumgetrieben habe, immer wieder, in all den Nächten, in denen er nicht da gewesen sei, sie habe sich einen fremden Samen geben lassen, er sehe das dem Mädchen an, der Nachbar stehe dem Mädchen im Gesicht geschrieben, sie mache ihn zum Gespött, er werde sie verstossen, vertreiben aus seinem guten Haus, und die Mutter des Mädchens wehrt sich immer noch nicht, der Vater schlägt weiter zu, und er habe es genau ausgerechnet, in der Zeit, wo das Kind hätte gezeugt werden müssen, hätten sie das Bett gar nicht miteinander geteilt, und sie habe immer etwas Flackerndes in den Augen gehabt, wenn der Jözsi da gewesen sei. Und der Vater schlägt so heftig zu, dass das Kind weinend die Tür öffnet und seine Mutter es in die Arme nimmt, es streichelt und jetzt endlich etwas sagt. Du behauptest, das Mädchen sei dem Jözsi wie aus dem Gesicht geschnitten, ach ja? Ich sage dir, unsere Tochter hat gar nichts vom Jözsi, deine Fifersucht macht dich nicht nur blind, sondern auch vergesslich: Weisst du nicht mehr, wie früh unser Kind auf die Welt gekommen ist, hast du daran gedacht, bei deinen merkwürdigen Berechnungen? Wenn du also wirklich von dem überzeugt bist, was du sagst, dann pack du meine Sachen und stell uns auf die Strasse, jetzt, sofort! Grossmutter, die offenbar in ihrem Leben noch nie so geredet hat, so bestimmt, fast kämpferisch, ihr Mann, der daraufhin ein paar Tage verschwindet, und als er wiederkommt, öffnet er die Tür, setzt sich an den Tisch, und während Grossmutter niederkniet, um ihm die Stiefel von den Beinen zu ziehen, sagt er, mach mir etwas zu essen, ich habe Hunger.

Die Hauptspeise wurde aufgetragen, verschiedene Süsswasserfische, auf dem Rost gebraten, Petersilienkartoffeln und Spinat, und dazu haben wir einen leichten, trockenen Weisswein getrunken, wie ihn Mutter mag; ich habe das Saallicht gelöscht, und Nomi hat den mehrstöckigen Geburtstagskuchen hereingetragen, Mutter hat unter Beifall die Kerzen ausgeblasen, die schmalen Kerzchen aus dem Guss gezogen, den Kuchen angeschnitten, die Stücke verteilt, und nach dem Dessert haben sich Frau Köchli und Frau Freuler verabschiedet, die Band hat nochmals aufgespielt, alle haben wieder getanzt, wie wenn wir in unserer Heimat wären! rief Vater übermütig, und die Männer fingen an, Bier mit Zusatz zu trinken, und die Frauen beschlossen, hart zu bleiben, heute fahren wir nach Hause, sagte Iren, sagte Birgit, sagte Mutter, und nachdem die Band ihre Instrumente in die Koffer gepackt hatte, rauchten die Köpfe der Männer, weil die Politik noch besprochen werden musste, die Mütter, die sich am anderen Ende des Tisches zusammensetzten, unhörbar miteinander sprachen; Nomi, Aranka und ich, wir standen am Fenster, schauten zum See hinaus, in die Lichter, die am gegenüberliegenden Ufer glänzten, und als ich mich wieder dem Saal zudrehte, war Zoltáns Kopf angeschwollen, erinnerte mich an eine pralle Pfingstrose, und es hörte sich so an, als würden er und Vater sich wie verrückt streiten, dabei versuchten sie nur, einander in ihrer Lautstärke zu übertrumpfen, diese Scheisskommunisten müssen endlich überall entmachtet werden (der Kellner, der die Schnäpse um die gestikulierenden Hände der Männer jonglieren musste), die sind für den Krieg verantwortlich! ja genau, die Roten hatten schon immer mit Blut zu tun… ich hörte die Sätze, die die Männer in die Luft schleuderten, vor allem Vater und Zoltán, und es waren lauter Behauptungen, die dann bloss da hingen in der Luft, eigenartig fremd und verloren, und es erstaunte mich weniger als sonst, dass die Männer auf dem rechten Auge blind waren, keiner von den Nationalisten sprach, schon gar nicht von diesen umheimlichen Legierungen zwischen Kommunisten und Nationalisten, die im ehemaligen Jugoslawien jetzt den Hass schürten; und als Nomi zu mir sagte, ich wirke so abwesend, antwortete ich, es komme mir so vor, wie wenn wir alle Stellung bezogen hätten: die Männer betrunken, politisierend am Tisch, die Mütter flüsternd geheimnisvoll am Tischrand, und wir, die Töchter, stünden hier, am Fenster, könnten das Ganze beobachten, seien beteiligt und unbeteiligt. Ja, wir sind weder Fisch noch Vogel, sagte Aranka, oder eben beides, meinte Nomi; und wir winkten unseren Eltern zu, gingen nach draussen, um frische Luft zu schnappen, am See, das dunkle Wasser erzählte mir nochmals Mutters Geschichte, die Geschichte meiner Grossmutter, die ich nie kennengelernt habe, und die ruhigen Wellen stellten mir eine Frage: warum sind Mutter und Vater in die Schweiz gekommen, was war der eigentliche Grund?

Vielleicht hat uns gar nicht Onkel Móric gefahren, sondern Nándor, wahrscheinlich war das so, weil Nándor, im Gegensatz zu Onkel Móric, sehr gern redete und beim Reden immer rote Ohren bekam, seine Ohren, die gleich gross waren wie die Ohren seines Vaters, ziemlich sicher hat uns Nándor gefahren, weil mir kein plausibler Grund einfällt, warum Onkel Móric ausgerechnet an diesem Tag so viel hätte reden sollen, Onkel Móric konnte ganz plötzlich schnell und laut und bestimmt reden, so dass man meinte, er werde lange nicht damit aufhören, aber so plötzlich, wie er anfing, hörte er auch wieder auf damit, und wenn ich genauer darüber nachdenke, hat meistens Nándor den Moskwitsch gefahren und nicht Onkel Móric, dem das Auto zwar gehörte, der aber immer wieder betonte, dass er lieber und am liebsten Traktor fahre, Onkel Móric, der Nomi und mich manchmal mitgenommen hatte auf seinem Traktor, mit uns auf die Felder hinausgefahren war, und ich höre, wie Onkel Móric sagt, hier, dieses Land, das hat uns früher einmal gehört, und die Frage, warum einem Land gehören kann und dann nicht mehr, war eine jener ungestellten Fragen, denke ich heute, Onkel Móric, der, wie gesagt, nie viel geredet hat, oft dieselben Sätze sagte, vielleicht werde ich es noch erleben, dass wir unser Land zurückbekommen, und die kleinen blauen Rinnsale auf der Nase von Onkel Móric, die irgendeine unbekannte Geschichte erzählten.