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Real big

Als die Sonne durch die Fenster des Mondial scheint, an einem Vormittag, an einem normalen Vormittag im Sommer, ich zwischen den Bestellungen immer wieder hinausschaue, ins Freie, zu den Blättern des Kastanienbaumes, die sich in ihrem satten Grün leicht, zärtlich in der Sonne bewegen, und es ist ungewöhnlich viel los, an diesem Morgen, so viel, dass ich eigentlich gar keine Zeit habe, irgendwohin zu schauen, Glorija, deren schön lackierte Fingernägel immer wieder auf der Theke klimpern, weil ihre Hände und Beine schneller sind als ich, wo bist du? hier! antworte ich; als die Sonne Lichtflecken auf den Teppich zeichnet, den braunen, beige gemusterten, muss ich Glorija immer wieder fragen, was sie gerade bestellt habe, ein Vormittag, an dem ich ständig den Faden verliere, nicht flüssig arbeite, abgelenkt bin, weil ich die Luft sehe, wie sie erfüllt ist mit kleinen Wesen, Stäublingen, Glorija, die sagt, dass sie ein Käsesandwich brauche und ein Vier-Minuten-Ei, aber sie werde die Bestellung selber aufgeben in der Küche, danke! und ich stelle mir vor, während ich die Mahlmaschine anstelle, wie sich die Stäublinge überallhin setzen, auf die Croissants, wie sie es sich in Frisuren gemütlich machen, und ich weiss, dass Dalibor dafür verantwortlich ist, für meine Langsamkeit, meine Lichtverliebtheit, ich sehe Dalibor, wie er mich anschaut, ich sehe, wie seine Lippen lachen, als seine Finger meine Hüfte berühren, als wir uns gegen den Kastanienbaum lehnen, du bist schön, sage ich zu ihm, zum Kastanienbaum, und der Mond dreht sich im nächsten Moment durch die Blätter, wir legen uns hin, wir liegen, als unsere Hände sich suchen, und ich höre seine Stimme in meinem Rücken, ich bin aufgeregt, sagt er, sage ich, und meine Haare suchen seinen Bauch, meine Haare auf seinem Bauch, und ich verliebe mich in die Art, wie sein Atem seinen Bauchnabel bewegt, die feine, aufgeregte Bewegung an meinen Lippen, und als ich gerade drei Espressi eingespannt habe, höre ich die Sprache, die eigentlich absolut verboten ist, Serbokroatisch (Mutter und Vater, die Glorija und Dragana schon vor Monaten untersagt haben, in ihrer Muttersprache miteinander zu sprechen), ich höre also plötzlich die verbotene Sprache, Glorijas Stimme, die ungewöhnlich laut ist, aber noch lauter sind Draganas Konsonanten und Vokale, einen Moment lang höre ich den beiden Stimmen zu, die sich ineinander verzahnen, es fällt mir auf, wie unangenehm es mir ist, dass ich zwei Stimmen höre, die heftig sind, und keine Ahnung habe, warum sie es sind, nur einzelne Worte, die herausblitzen, zena, Frau, dorn, Haus, rat, Krieg, ti, du, und über die Cimbali hinweg sehe ich, dass sich Köpfe in Richtung Küche strecken, ich, die überlegt, ob sie bedienen soll, einfach so tun, wie wenn nichts wäre, Tudman! höre ich, Milosevic! und ich wische meine Hände an der Schürze ab, gehe mit raschen Schritten in die Küche, um zu sehen, was los ist.

Vater, der mir mit den Händen bedeutet, die Tür zuzumachen, Dragana, die sich gerade an der Waschmaschine abstützt, versucht aufzustehen, Marlis, die ihr die Hand hinstreckt, aber Dragana ignoriert die dargebotene Hand, während sie laut weiterspricht, Glorija, die immer noch auf dem Boden liegt, mit zerrissenen Strümpfen, ihr Sprechen, das sich übergangslos an ein hohes Wimmern verliert, was ist los, frage ich, knie zu Glorija, versuche, sie zu beruhigen, Marlis, die sich gegen die Absteilfläche lehnt, wo wir das schmutzige Geschirr hinstellen, zu weinen anfängt, und Vater, der sich die Hand gegen die Stirn schlägt, in unserer Sprache flucht, jeder Hund habe Besseres zu tun als das, was er sich hier mitansehen müsse, mi törtent, was ist passiert, frage ich Vater, du verstehst ja, was sie reden, sage ich zu ihm, und ich helfe Glorija aufstehen, ein Flohfurz ist passiert, ruft Vater auf Ungarisch, gar nichts, die eine ist in die andere hineingerannt, zufällig, und jetzt gehen die beiden aufeinander los, als hätte die eine ein Attentat auf die andere geplant, bis jetzt waren sie ein Herz und eine Seele; Glorija, die immer noch wimmert, ein offenes Knie hat, und die Gäste, flucht Vater, wer bedient die Gäste? ich geh ja schon, sage ich, und Dragana, die jetzt verstummt ist, mit dem Rücken zu mir beim Abwaschtrog steht, zum Fenster hinausschaut (womöglich weiss Dragana in dem Moment schon, dass sie nicht mehr lange bei uns arbeiten wird, ihre Blusen, die wenige Wochen später in der Personalgarderobe an drahtigen Bügeln hängen, ein Paar Schuhe, deren Absätze an der Innenseite abgetreten sind, vergeblich auf die richtigen Füsse warten, Dragana, die nicht einmal mir sagen wird, dass sie nicht mehr wiederkommt), du könntest Glorija wenigstens ein Pflaster geben, sage ich beim Hinausgehen, und dann soll ich wohl noch alle trösten, ruft mir Vater verärgert nach, ich, die Mutter um Hilfe bitten muss, Mutter, die im Büro über Zahlen sitzt, und ich versuche ihr in wenigen Worten zu erklären, was passiert ist, Mutter, die keine Fragen stellt, sondern sofort aufsteht, sich hinters Buffet stellt, und ich bediene die Gäste, ein paar, die sich die Hälse aus den Köpfen schrauben, was ist denn los mit der Serviertochter? und dieses Geschrei, was war denn das? Nomi, die heute frei hat, mir einflüstert, was ich sagen soll, Freude, sage ich, nichts weiter, unsere Hilfsköchin und unsere Kellnerin haben gerade gemerkt, dass sie einen gemeinsamen Bekannten haben, ja, stimmt schon, überschwängliche Freude klingt manchmal wie Streit!

The real big men ziehen heute ein, ins Mondial, denke ich, als ich wieder hinter dem Buffet arbeite und Glorija im Service, nachdem sie von Mutter neue Strümpfe bekommen und sich frisch gemacht hat, ich bin doch nicht Tudman! Glorija, die mit gepresster Stimme zwischen den Bestellungen zu mir spricht, also hör mal, wenn eine zu dir sagt, du bist genauso bösartig wie Tudman, was würdest du sagen? (ich, die an little big men denke, daran, dass ich Dustin Hoffman nie habe besser spielen sehen), Ildi, sag doch was, Milosevic ist doch der grösste Verbrecher aller Zeiten, ich würde mich umbringen, wenn der der Chef wäre von meinem Land, das habe ich dann zu Dragana gesagt, so Glorija, Ildi, du musst mir doch Recht geben, Milosevic und Tudman, das ist wie Schwarz und Weiss (ich erinnere mich an fast nichts, nur an Dustin Hoffmans Gesicht, das mich so beeindruckte in seiner Ernsthaftigkeit), kennst du Tudman, frage ich und bemühe mich, ein ernstes Gesicht zu machen, nicht zu lachen. Ja aber sicher kenne ich ihn, ist dir auch schon aufgefallen, dass Tudman schöne, grosse Augen hat? und ich schüttle den Kopf, klopfe den Kaffeesatz in den Behälter, Milosevic ist ja nicht der Staatschef von Bosnien, sage ich, aber er steuert alle Serben, antwortet Glorija rasch, das weiss doch jeder, und sie stellt die Tassen auf die Untertassen. Sie sei eine Bosnierin, sagt Dragana, so ich, und du hast mir einen Kaffee zu wenig getippt. Ildi, bosnisch, das ist eine Erinnerung, die Erinnerung an etwas Falsches, und Glorija schaut mir in die Augen, wenn wir Kroaten nicht daran geglaubt hätten, dass wir Kroaten sind, wären wir immer noch Jugoslawen. Verlierer, meinst du, und Glorija legt die Kaffeelöffel zu den Tassen, Dragana ist Serbin, ob sie will oder nicht, und bis heute hatte ich nichts gegen sie, aber wenn sie mein Land beleidigt, dann, und Glorija schiebt das Tablett auf ihre rechte Handfläche, dann ist es vorbei zwischen uns, Glorija, die sich in Bewegung setzt, ihre Locken zum Wippen bringt.

Franjo Tudman trägt heute eine weisse Bluse mit Puffärmeln, denke ich, er hat seine Nägel rot lackiert und das für sein Alter immer noch dichte Haar frisch blondiert, und normalerweise ist der kroatische Staatspräsident in aufgeräumter Stimmung, summt leise englische Pop Songs vor sich hin und wiegt sich fast unmerklich in den Hüften, was zu seinem unauffälligen Make-up passt, zu seinen dezent gezupften Augenbrauen, und um seine schönen Wangenknochen besser zur Geltung kommen zu lassen, trägt er heute keine Brille, sondern Linsen, vielleicht farbige, denke ich, Franjo Tudman, dessen Spezialität es ist, geschäftig und elegant durchs Mondial zu düsen, schwungvoll auf die mechanische Kasse zu tippen, lag soeben noch mit einem blutenden Knie auf dem Linoleumboden, in der Küche, neben dem Tiefkühler, in dem Brote liegen, Croissants, Zehn-Liter-Eiskübel; Tudman ist gegen eine Frau geknallt, eine, die behauptet, Bosnierin zu sein, eine, die alle Staatschefs des ehemaligen Jugoslawiens für besessen hält (und plötzlich ist jeder Politiker religiös, ausgerechnet! sagte Dragana zu mir, die waren bis vor kurzem alle noch Kommunisten, Ildi, die kannten nur ihren roten Himmel, und jetzt? Jetzt hat jeder eine andere Idee vom Himmel, jeder isch Gröschte, was meinsch, was isch, wenn alle Paare scheided, wil sie nicht de gliiche Religion sind? sie jedenfalls sei mit einem Muslim verheiratet, der esse sogar Schweinefleisch, ab und zu, wenn sie es gut zubereite).