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Ja, Slowenien hat mit dem Balkan eigentlich nichts zu tun, davon bin ich auch überzeugt, sagt Herrn Bergers Pfeife, Fräulein, meine Frau scheint doch noch nicht zu kommen, und ich nehme den hellen Milchkaffee mit Assugrin selbstverständlich wieder mit, und Herr Tognoni möchte statt der Semmel ein Milchbrötchen, ein helles oder ein dunkles? und Herr Tognoni ist ein Einwanderer, der es nicht nur beruflich geschafft hat, sondern auch im Gemeinderat politisiert, für die Schweizerische Volkspartei, und ausserdem hat er, wie er erzählt, letzte Woche mit seiner Frau eine japanische Algenkur gemacht, ein dunkles, sagt Herr Tognoni akzentfrei. Der Balkan macht auch vor uns nicht halt, sagt er (der bestimmt in den 70er Jahren gekommen ist, als die Schweizer über die vielen Tschinggen geflucht haben, die Italiener, die damals noch zum Feindbild Nummer eins gehört haben), bald haben wir auch einen Kebab-Stand mitten in unserer Gemeinde! und ich serviere Herrn Tognoni sein Drei-Minuten-Ei, und es ist ja nicht so, dass die Slowenen kommen (die Bauarbeiter, deren Einsilbigkeit ich samstags vermisse), und Herrn Tognonis Aftershave ist dezent, denke ich, als ich ihm den Orangensaft serviere, der zum grossen Frühstück gehört, ich hätte gern ein paar Slowenen in meinem Betrieb, und Herr Tognoni bedankt sich bei mir.

Woher kommen Sie eigentlich? Meine Eltern stammen aus Norditalien, aus dem Piemont, berichtet Herr Tognoni, und ich stelle ihm den doppelten Espresso auf den Tisch, den er zum grossen Frühstück bestellt hat, und Herr Berger deutet mit seiner Pfeife darauf hin, dass ich den hellen Milchkaffee mit Assugrin für seine Frau bringen könne, gern, sage ich, und: Fräulein, bringen Sie mir noch ein Croissant. Hell oder dunkel, frage ich. Spielt keine Rolle, antwortet Herr Berger, Fräulein, darf ich Sie noch was fragen, Sie sind doch Schwestern, und Herr Bergers Pfeife deutet auf Nomi (Nomi, die seine Frage wahrscheinlich mit einem kecken Spruch beantworten würde: ich finde es schön, dass Sie und Ihre Frau und Herr Tognoni am Samstag auf Bildungsreise sind), ja, wir sind Schwestern, antworte ich. Meine Frau und ich haben uns nämlich schon oft gefragt, ob sie Schwestern sind, schau dir den Mund an, habe ich zu meiner Frau gesagt, aber die Haare, sagte meine Frau! Dabei weiss doch jedes Kind, dass gerade die Haare von den Gemeinsamkeiten ablenken, eine Frisur macht viel aus, nicht?

(Und ich würde gern einen Kamm aus der Brusttasche meiner Bluse ziehen, um die Herren Berger und Tognoni zu frisieren, um ihre Härchen durchzulüften, nicht aus Bosheit, ich würde ihre Frisuren gern auf eine Berg-und-Tal-Fahrt schicken, ihre Gesichter sehen, wie die Freude über die Geschwindigkeit sekundenschnell das Helle, Jungenhafte in ihre Gesichter zurückzaubert, gern würde ich ihre aufgeregten Finger sehen, die an einer Zuckerwatte zupfen), die Gebrüder Schärer, die sich jetzt setzen, an Tisch sieben, neben den Berger und den Tognoni, Händeschütteln, wie geht's? sie kämen gerade vom Radfahren, sagt der schmale Schärer, hundertzwanzig Kilometer, jeden Samstag! der Berger, der Tognoni, die anerkennend nicken, Fräulein, so der dünne Schärer, zwei Kaffee nature! (der schmale und der dünne Schärer, weil man die beiden fast nicht voneinander unterscheiden kann).

Erzählen Sie uns doch etwas über die Verhältnisse in Ihrem Land, sagt Herr Berger, als ich die beiden Kaffees für die Schärers hinstelle, Herr Berger, der nach seiner Pfeife langt, die gestopft werden will. Sie müssen wissen, dass das Fräulein aus dem ungarischen Teil des Balkans stammt, wissen Sie, da, wo es sicher auch bald chlöpfi, knallt, Vojvodina, so heisst die Region, und sie war bis vor kurzem eine autonome Provinz, nicht wahr? (die Bergers, die sich letzte Woche höflich erkundigt haben, von welchem Teil des Balkans wir herkämen. Aus dem Norden von Jugoslawien, südlich von Ungarn, antwortete ich, und Ungarn ist immer die Rettung, jeder kennt einen ungarischen Zahnarzt, und den Aufstand von 1956 hat man noch gut in Erinnerung, da man in der Folge die Sympathie mit den Aufständischen bekundete, indem man Tonnen von abgetragenen Kleidern endlich sinnvoll entsorgen konnte; man kennt die Puszta, Bela Bartök, ach, die feurige Musik, die uns doch allen so viel gibt! Ihre Muttersprache ist also Ungarisch und nicht Serbokroatisch, kombinierte Frau Berger, ja, antwortete ich. Dann sind Sie gar nicht vom Balkan? Nicht eigentlich, antwortete ich, aber doch irgendwie, dachte ich. Herr Berger, der seine Stirn abrupt in Falten legte, seine Frau Annelis belehrte, siehst du, ich hab's doch gesagt, die vom Balkan haben andere Hinterköpfe), und ich stelle jetzt den hellen Milchkaffee mit Assugrin wieder auf den Tisch, Frau Berger, die sich inzwischen gesetzt hat. Ja wirklich? und Herr Tognoni (den man noch viel länger auf die Berg-und-Tal-Fahrt schicken müsste als Herrn Berger) hat plötzlich ein Interesse an ihr, die ich bin, das wusste ich gar nicht, sagt Herr Tognoni mit einer kleinen Glut in den Augen, ich dachte, Sie seien aus Russland, wer hat mir das nur erzählt? Deine Phantasie, Mauro, die hat dich an der Nase herumgeführt, sagt Herr Berger lachend (und wahrscheinlich würde Herrn Tognoni, Herrn und Frau Berger und die Schärers das, was ich von meinem Land erzählen wollte, nicht interessieren, es wäre gut möglich, dass sie mich etwas verlegen und mitleidig anschauen würden: Fräulein, wir dachten da an etwas Anderes, wir wollten etwas über die Kultur, die Geschichte, die Sprache, die Probleme erfahren — und nicht über die Luft zwischen den majestätischen Pappeln und Akazien, die winzigen Blumen, die zwischen den Pflastersteinen wachsen, den Staub, den Dreck, über Bela…). Leider habe ich keine Zeit, um von meinem… schon gut, Fräulein, wir sehen ja, dass Sie beschäftigt sind, aber bringen Sie uns doch allen noch einen frisch gepressten Orangensaft, und ich lächle, drehe mich weg (vielleicht stelle ich Ihnen nächstes Mal eine Frage, denke ich, über die Glaubenskriege, die Schlacht bei Sempach, die Reisläufer oder die Teufelssage würde sie, die ich bin, Tisch sechs und sieben befragen, und Frau Berger würde vor Schreck vergessen, das Milchschäumchen unauffällig vom Mundwinkel abzulecken, da sie nicht erwartet hat, dass das Fräulein eine Frage zur Schweizer Geschichte, zur Schweizer Kultur stellen kann; ich komme vom Balkan und studiere Geschichte, werde ich sagen, Geschichte der Neuzeit und Schweizer Geschichte; wie billig von mir, dass ich mich beweisen will, bei Menschen, die mir eigentlich vollkommen gleichgültig wären, wären sie nicht Stammkunden des Mondial); und ich, deren Aufmerksamkeit sich plötzlich verschiebt, zu den Schärers hin, merke erst jetzt, dass die beiden Brüder gar nichts erzählen, sich nicht einmal am Gespräch beteiligen, nur hin und wieder ah ja, sagen, ah so.

Das wurmt mich jetzt aber, sagt Herr Tognoni, als ich die Säfte auf den Tisch stelle, ich hätte schwören können, dass mir jemand erzählt hat, Sie seien aus Russland, und Herr Tognoni macht sich Sorgen, weil sein Gedächtnis möglicherweise nicht mehr so funktioniert wie früher, ich war's bestimmt nicht, sagt Herr Pfister und setzt sich neben die Schärers, wenn ihr etwas über das Fräulein wissen wollt, müsst ihr nur mich fragen, ich weiss alles über sie, Herr Pfister, der mir charmant zuzwinkert; und als ich ihm seinen hellen Milchkaffee und seinen Orangensaft auf den Tisch stelle, diskutieren Herr Pfister, Herr Tognoni und die Bergers schon über die Vorteile von Tai Ginseng und Ginkgo-Tabletten.