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Hört mal zu, so fing Mamika an, euer Grossvater wurde getötet und mit ihm viele andere. Ich erzähle euch, was ich darüber weiss, damit ihr in eurem Leben nicht vergesst, dass immer alles passieren kann, das Grausamste, und es gibt Anzeichen dafür, wenn die Menschen sich wieder auslöschen wollen — und die Zeichen stehen im Moment sehr schlecht, meine geliebten Mädchen (und erst später, als wir wieder in der Schweiz waren, fiel mir auf, dass Mamika in diesem Sommer die einzige war, die davon gesprochen hatte, dass es wahrscheinlich Krieg geben werde).

Ihr fragt euch, woher ich das wissen will? So ein altes, verhutzeltes Weib?

Ich weiss es nicht, aber ich habe eine düstere Vorahnung, und Mamika schaute uns mit ihren graublauen Augen an, machte eine Pause, in der sie mehr als nur ihre Gedanken zu sammeln schien.

Ich und euer Papuci haben immer mit den Viechern gelebt, was ja für Bauern ganz normal ist. Aber wisst ihr, was es heisst, wenn ich sage, "mit den Viechern leben"? Wir haben unsere Pferde, Kühe, Schweine, Gänse, Enten und was wir sonst noch alles hatten, immer auch als Teil unserer Seele angesehen. Wir haben also gelernt, auf die Viecher zu hören, auf jede erdenkliche Art.

Auf unserem Hof hatten wir vier Hunde, und wir wussten, wie sie bellen, wenn ein Fremder in der Nähe war, wir wussten, dass Vigec immer als Erster bellte, und erst nach einer kurzen Weile setzten die anderen ein, leiser und zurückhaltender. Als im Jahr 1942 erstmals die Faschisten auf unserem Hof auftauchten, dämmerte es bereits, und wir sassen alle am Tisch, Papuci, euer Vater, Onkel Móric und ich. Vigec fing an zu bellen, und wir hörten auf, an unseren Broten zu kauen, nicht deshalb, weil Vigec zu bellen angefangen hatte, sondern weil er nach ein paar kurzen Kläffern bereits wieder still war. Papuci erhob sich, schaute uns der Reihe nach an, sagte, wir sollten uns nicht von der Stelle rühren, wusch sich rasch die Hände, bevor er nach draussen ging.

Ich konnte natürlich nicht auf meinem Hintern sitzen bleiben. Über die Hintertür schlich ich mich in den Garten, beobachtete und hörte von da aus, was geschah. Drei uniformierte Männer, die ich noch nie gesehen hatte und die zu Fuss oder mit Fahrrädern gekommen sein müssten, hatten sich mit verschränkten Armen beim Ziehbrunnen aufgestellt. Vigec sass ganz nah und reglos bei ihnen, mit aufgerichteten Ohren, so, als würde er von ihnen irgendwelche Anweisungen erwarten, und das war schon sehr aussergewöhnlich. Als Papuci leise durch die Zähne pfiff, verzog er sich an seinen Stammplatz. Einer der Männer trat vor, sagte, ohne ein Grusswort, ohne sich vorzustellen: Kocsis, wir brauchen solche Männer wie dich. Wir haben gehört, dass du Instinkt hast und Verstand. Deine Pferde sind die besten hier in der Gegend, und der Sprecher lobte euren Grossvater, aber seine Stimme hatte nichts Weiches, sie zog sich vielmehr schneidend durch die Luft, seine Stimme war es gewohnt, Befehle ausführen und zu geben.

Ich sah nur Papucis Rücken, und ich habe nie vergessen, wie er seine Arme hängen liess. Dass er seine schweren Hände nirgendwo verstaute, weder in den Hosentaschen noch hinter dem Rücken, fand ich sehr bemerkenswert. Aber so wirkte sogar sein Rücken stolz und aufrichtig, gerade deshalb, weil er auf jeden Schutz verzichtete.

Ihr seid mir nicht vertraut, sagte Papuci, nach einer Pause, die mir unglaublich lange vorkam, so kann ich mit dem, was ihr sagt, nicht viel anfangen. Aber vielleicht könnt ihr mir, einem einfachen Bauern, verraten, woher ihr diese verführerischen, glänzenden Stiefel habt?

Ich erwartete, dass sie Papuci schlagen, ihn zumindest beleidigen würden, und ich faltete meine Hände, murmelte ein Gebet. Es geschah nichts. Der Angesprochene schwieg, und Papuci blieb in der gleichen Körperhaltung stehen, schwieg ebenfalls, und das Einzige, was die Männer nun eine ganze Weile taten, war, einander mit den Blicken zu messen. Dann gab der Anführer einen kurzen Befehl, und die drei zogen ab.

Was dann geschah, meine Lieben?

Wir bekamen fast wöchentlich Besuch. Immer waren es andere Männer, immer trugen sie dieselben Stiefel, und ihr Haar im Nacken war kurz geschoren, damit nicht einmal der Wind sich an ihm erfreuen kann, sagte Papuci. Jedes Mal fragten sie ihn, ob er sich's überlegt habe, und stets stachelte Papuci sie mit irgendeinem Spruch an, seht her, ich habe keinen Platz für die Ideen von anderen, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe, was ist daran auszusetzen? Wortlos führten die Männer ein Pferd ab, ein paar Schweine oder verluden einen Teil unserer Maisoder Weizenernte auf einem Wagen. Móric und Miklós waren enttäuscht und wütend, dass Papuci und ich den Raub unseres Besitzes, vor allem unserer geliebten Tiere, widerstandslos zuliessen. Eines Tages erwischte Papuci Móric, wie er mit seinen zwölf Jahren gerade die Schrotflinte gegen einen Uniformierten ansetzte. Papuci ohrfeigte ihn, und zwar so, dass er blutete: Du bist übrigens kein Held, wenn du das Leben von uns allen aufs Spiel setzt!

Onkel Lajos, einer von Papucis zahlreichen Onkeln, mischte bei den Faschisten ganz oben mit, das müsst ihr wissen. Er liess sich zwar nie bei uns blicken, aber wahrscheinlich war er es, der verhinderte, dass Papuci von den "Nacktnacken", wie wir sie nannten, getötet wurde. Euer Grossvater wurde zwar noch einberufen, er hätte also für die Faschisten irgendwo in Russland kämpfen müssen, aber dazu kam es nicht mehr, da sich die Verhältnisse nach Stalingrad schlagartig änderten.

Ich weiss nicht mehr genau, wann es war, 1945 oder 1946, da wurden der Lajos und etliche, die mit den Faschisten sympathisiert hatten, von den Kommunisten am Flussufer erschossen. Wochenlang färbte sich das Wasser rot, die Fische, auf die wir keinen Appetit mehr hatten, vermehrten sich und wurden dick. Meine Fischsuppe, die alle so liebten und die es bei uns immer freitags gegeben hatte, konnte ich deshalb jahrelang nicht mehr kochen. Auch den grössten Verbrechern müsste man den Prozess machen, sagte Papuci, nachdem wir erfolglos nach der Leiche von Lajos gesucht hatten.