Weil Onkel Móric' und Tante Mancis Haus von Klapperkisten, Trabbis, Skodas, Ladas, Yugos umzingelt ist, können wir nicht vorfahren, müssen wir, weil wir zu spät sind, in eine kleine Seitenstrasse einbiegen, wir müssen wieder einmal auf- und abschaukeln, unsere neuen Festtagskleider, die bei jeder kleinsten Bewegung knistern, und Vater brummelt, weil ihn alles nervös macht, das Knistern, diese blöde gyik utca, Eidechsenstrasse, in der womöglich unser Wagen geklaut wird, die Sonne, die durch die Scheibe blendet, das Brautpaar wird uns heute wegschmelzen, sagt er, und wir lachen, Mamika, Mutter, Nomi und ich, aber Vater nicht, er lockert seinen Krawattenknopf, als er den Motor abstellt und mit dem Taschentuch über seine Stirn und das Steuerrad fährt, und Vater schwitzt nicht nur, weil es heiss ist, sondern weil ihm gestern Abend aufgefallen ist, dass das Brautpaar, Nándor und Valeria, exakt drei Monate nach Titos Tod heiratet, am 4. 8. 1980! und Vater musste diesen Umstand reichlich begiessen. Zufall, sagt Mutter, und wir sitzen um Mamikas Küchentisch, Nomi und ich essen Palatschinken, während Mamika erzählt, wieviel Geflügel schon Tage im voraus geschlachtet worden sei, und ausserdem ein Schwein, ein Kalb, zwei Lämmer, die vielen Eimer, in denen das Blut aufgefangen worden sei, wie viele Kilo Paprika mit Hackfleisch gefüllt worden seien, dass Tante Manci ihren berühmt berüchtigten Geiz vergessen, für die Hochzeit ihres Sohnes die Vorratskammer gnadenlos geplündert habe, und Mamika sagt, dass zweihundertfünfzig Gäste erwartet würden, dann kommen bestimmt dreihundert, meint Mutter, und als sich die Erwachsenen darüber unterhalten, dass eine Hochzeit eben die Eltern des Brautpaares ruiniere, das gehöre dazu, zu einem richtigen Fest! als Mamika erzählt, es gebe mindestens fünf verschiedene Fleischgerichte, Eintöpfe, Gebratenes, und das Lamm werde direkt im Hof grilliert, da schlägt Vater sich gegen die Stirn, mein Gott, ruft er, warum ist mir das nicht früher aufgefallen? mein Neffe heiratet an einem historischen Datum, und Nomi hat noch ein Stück Palatschinke im Mund, als sie fragt, ein historisches Datum, was ist das? Vater holt endlos lange aus, merkt gar nicht, dass er sein Wasserglas mit Schnaps füllt, hör doch auf, unterbricht Mutter ihn irgendwann, purer Zufall, dass die Hochzeit an diesem Datum stattfindet, du solltest doch wissen, wie lange im Voraus man so ein Fest planen muss. Zufall, vielleicht, antwortet Vater, aber ein schöner Zufall, ich jedenfalls werde dem Brautpaar gratulieren, dass es an diesem historischen Datum heiratet, und Vater kippt den Schnaps mit einem heftigen Schwung in den Hals, stellt das Glas auf den Tisch zurück, füllt sofort wieder nach, schaut uns an, ärgert sich wahrscheinlich über unsere ratlosen Gesichter, sicher nervt ihn Mutter, die sagt, dass er das mit der Gratulation besser bleiben lassen solle, und Nomi und ich teilen uns die letzte Palatschinke, Zimt und Zucker, das sind die Besten, sagt Nomi und schaut mich fragend an, Schokolade mit Baumnüssen, antworte ich, Zimt! so Nomi, Zucker! antworte ich, lecker! Ohne uns abzusprechen, spielen Nomi und ich eines unserer Wortspiele, wir spielen uns Wörter zu, die sich entweder am Wortanfang oder am Wortende reimen, locker! wir spielen, weil wir ahnen, was jetzt kommt, Loch! und Mamika macht mit, Koch! frech! so Nomi, aber Vater ist schon im Bunker, in seinem Bunker, wie Nomi und ich es nennen, er schiebt seinen Unterkiefer hin und her, zeigt seine goldenen Vorderzähne, die in solchen Momenten immer einen frisch geschliffenen Glanz haben, ein paar Mal ist es uns gelungen, Vater abzulenken, frisch! aber diesmal nicht. Er ignoriert uns, streckt sein Schnapsglas so in die Luft, als trage er eine lodernde Fackel in der Hand, auf Nándors Hochzeit! ruft er, auf den 4. 8. 1980! und Vater kippt den Schnaps, stellt das Glas dann knallend auf die Tischplatte zurück, wollt ihr nicht mit mir anstossen, fragt er, ist die Hochzeit meines Neffen nicht Grund genug, um wenigstens ein Schnäpschen mit mir zu trinken?
Nomi und ich sind verstummt, wir rutschen auf unseren Stühlen hin und her, wir tun beide dasselbe, nämlich nach einem geeigneten Grund suchen, um aufzustehen, um nicht mitzuerleben, wie Vater in seinem Bunker hockt, niemanden mehr an sich ranlässt, ich muss mal, sagt Nomi, ich gehe mit, und Nomi und ich fassen uns rasch an unseren Fingern, Mutter, die uns mit einem dringenden Blick zum Bleiben bittet, aber wir wollen nicht, wir sind schon fast draussen, als wir Mamika noch mit ruhiger Stimme sagen hören, weisst du was, ich werde heute Abend für dich beten, dass du an Nándors Hochzeit nicht ersäufst! und als wir dann in Mamikas Garten durch die Spalten der Holzzäune in die Innenhöfe der benachbarten Häuser spähen, fragt mich Nomi, was meinst du, wie lange wird es dauern?
Nein, es wird keine Stunde dauern, dann wird die Schnapsflasche leer sein und Vaters Kopf auf der Tischplatte liegen, alle Beschwörungen und Flüche werden sich mit dem Obstgeist vermischt haben, und Vater wird im Tiefschlaf verschwunden und traumlos glücklich sein, Mutter jedenfalls glaubt, dass Vater sich mit seinen Schnapsexzessen von seinen Albträumen befreit, was für Albträume? so fragten Nomi und ich, nachdem Vater sich an einem Silvesterabend noch vor Mitternacht fast bis zur Bewusstlosigkeit betrunken hatte. Wegen früher, antwortete Mutter, wegen der Geschichte. Wie, was für eine Geschichte? und Mutter stockte, als hätten wir eine von jenen schwer zu beantwortenden Fragen gestellt, die Kinder stellen: Was ist hinter der Sonne? Warum haben wir keinen Fluss in unserem Garten? Die Kommunisten haben sein Leben zerstört, sagte Mutter in einem Tonfall, den wir noch nie bei ihr gehört hatten, aber das wird euch Vater irgendwann selbst erzählen, wenn ihr grösser seid. Grösser, wann ist das? Irgendwann, wenn der richtige Zeitpunkt da ist, in ein paar Jahren, wenn ihr das Ganze besser verstehen könnt.
Wir steigen aus unserem Wagen, Nomi und ich hängen uns bei Mamika ein, Mutter bei Vater, und unsere Absätze klappern auf den Pflastersteinen, unsere Kleider knistern nicht mehr, sondern rauschen in der heissen Luft, es ist so heiss, dass ich zu Nomi sage, schau mal, der Himmel ist weiss, aber irgendwie schmutzig weiss, antwortet Nomi, und wir passen uns Mamikas langsamen, gleichmässigen Schritten an, und als wir um die Ecke biegen, schaut Vater mit einem schrägen Blick zu uns, sagt, dass das Empfangskomitee uns bereits erwarte, Juli, die vor Onkel Móric' und Tante Mancis Haus steht, uns zuwinkt, ja, unsere Julika will auch etwas von der Hochzeit haben, sagt Mamika und winkt zurück. Ist sie auch eingeladen, fragen Nomi und ich, und Mamika lacht, Julika ist zu jedem Fest eingeladen oder anders gesagt, es wäre kein gutes Zeichen, wenn sie bei einer Hochzeit fehlen würde, trotzdem darf sie nicht rein, ins Zelt, und obwohl wir nicht verstehen, was Mamika genau meint, fragen wir nicht weiter, und Juli, die so lange mit beiden Armen winkt, bis wir nur noch wenige Schritte von ihr entfernt sind, panni neni, panni nenü, ruft Juli Mamika zu, ich habe eine Nelke bekommen, sehen Sie nur, eine rote Nelke! und Mamika begrüsst Juli zärtlich, fährt ihr über die speckige Wange, sagt, du siehst hübsch aus, meine Julika, Grossmutter sagt tatsächlich, richtig festlich siehst du aus! und Nomi und ich, wir schauen uns an, weil Mamika das wirklich ernst meint, wir haben ziemlich sicher auch ein schlechtes Gewissen, weil wir uns bereits in einer für alle anderen unhörbaren Sprache, die nur Geschwister miteinander teilen, darüber verständigt haben, wie lächerlich Juli aussieht mit ihrem schief hängenden Trägerkleid, ihren frisch abgeschnittenen Fransen, die trostlose rote Blume, die hinter ihrem Ohr steckt, aber als Juli plötzlich mit einem Satz ganz nah vor Nomi und mir steht, sie sich an keine Anstandsregel hält, als sie in unsere erschrockenen Gesichter hinein sagt, ich bin die heimliche Braut! mit einer Miene, die mich in ihrer Feierlichkeit und Ernsthaftigkeit an die Heiligenbildchen erinnert, die Mamika in ihrer Kredenz aufbewahrt, als Juli ihre Nelkenblüte hinter dem Ohr hervorzieht und flüstert, seht nur, das ist mein kleiner, verschlafener Trauzeuge, und wir beide müssen dringend bald etwas essen, da finde ich Juli nicht mehr lächerlich, sondern unbegreiflich komisch und beängstigend. Ihr bringt uns doch bald etwas zu essen, ja? von allem ein bisschen! ruft sie uns nach, als wir die Tür zu Onkel Móric' und Tante Mancis Haus hinter uns zuziehen.