Eine verschissene Klobrille, eine Männerunterhose, die neben der Kloschüssel liegt, die gemaserte Wand, die nicht mehr weiss, sondern mit Scheisse verschmiert ist (der Spiegel fügt alles zusammen) — ich schaue, ich warte, gleich wird etwas passieren, mein Herz wird rasen, so schnell, dass ich seinen pochenden Rhythmus an den Schläfen spüren werde, zwischen meinen Schulterblättern wird ein ganz bestimmter Punkt wüten, ein stechender Schmerz, der mir den Atem verschlagen wird, ich warte, und Rumpelstilzchens irrer Tanz fällt mir ein, wie plötzlich die Marmeladenfüllung herausquillt, wenn man in einen Pfannkuchen beisst, aber sonst passiert — nichts. Ich, die sich nach dem Eimer bückt, ihn ins Becken hebt, am Hahn dreht, und während das Wasser einläuft, ziehe ich die Handschuhe an, die Hände, die das einlaufende Wasser nur noch dumpf spüren, und als der Eimer halbvoll ist, drehen die gelb eingepackten Finger in die falsche Richtung, das Wasser, das mit einem scharfen Strahl in den Eimer schiesst, auf die Haut, in die Augen spritzt, und ich, die wieder einen langen Moment wartet, drehe den Hahn zu, schaue ihr zu, wie ihr die Wassertropfen über das Gesicht laufen, und jetzt der unausweichliche Gedanke: Wir sind ein Herz und eine Seele geworden, ich und das Fräulein; und ich, die den Eimer packt, den Schrubber, gehe zum Fenster, öffne es, nicht weil mir vom Geruch nach Scheisse übel wird, sondern weil ich mir von der frischen Luft, vom Blick nach draussen erhoffe, dass sich irgendwas in mir regt, irgendein Gefühl; ich, die den Eimer abstellt, den Fenstergriff nach oben drückt, und es sind meine Finger, die im gelben Plastik schwitzen, ein Tag mit einem nicht ernst gemeinten Nebel, das heisst die Sonne wird sich in Kürze durch die Nebeldecke drücken, und ich, deren Blick auf einen friedlich eingezäunten Obstgarten fällt, sehe meine Mutter, wie sie sich nach Eimer und Lappen bückt, wie sie den Schrubber aus dem Putzschrank holt, sich die Handschuhe überzieht, als gäbe es nichts Normaleres, das gehört dazu, sagt Mutter, in den allermeisten Fällen macht niemand absichtlich daneben, schlimm genug, wenn jemand sein Wasser nicht mehr halten kann; stimmt sicher, denke ich, schliesse das Fenster, drehe mich um, mit einem Ruck, mache die paar Schritte zur Kloschüssel, schaue mir alles ganz genau an — und wenn ich nichts fühle, werde ich wenigstens meinen Kopf einschalten, die Szene hier zu Ende denken —, ja, es ist vorstellbar, dass jemandem ein Missgeschick passiert ist, dass es nicht mehr gereicht hat, die Kacke in der Schüssel zu platzieren, weswegen die Klobrille angeschissen ist, und weil eben ein Teil schon in die Unterhose ging, musste dieser Jemand sie auch ausziehen; und eine verschissene Unterhose kann man nicht gut mitnehmen, deshalb liegt sie jetzt da, neben der Kloschüssel — vielleicht müsste es auch in Männerklos Hygienebeutel haben? Aber wie lässt sich eine verschmierte Wand, die eigentlich gar nicht so schlimm aussieht, entschuldigend erklären? ich, die sich die Wand anschaut, die braunen Spuren, Buchstaben? nein, eine Botschaft ist nicht zu entziffern (ich müsste mich beim schüchternen Lehrer bedanken, ihm sagen, dass ich seine Verklemmtheit nachvollziehen kann); es fällt mir nichts ein, was die verschmierte Wand zu einem Missgeschick werden lassen könnte, und weil mir nichts Beschwichtigendes einfällt, ziehe ich die Handschuhe aus, werfe sie auf den Boden; es ist also offensichtlich, dass jemand die Wand absichtlich verschmiert hat, deshalb will ich auch kein Plastik zwischen mir und der Scheisse haben; ich nehme mit blossen Händen den Lappen, nässe ihn, fahre mit der Handfläche über die Wand, und das Wasser erweckt die fast schon eingetrocknete Scheisse zu neuem Leben, wie gesagt hat sich meine Nase durch Fäkaliengeruch nie irritieren lassen, und die Scheisse verwandelt sich in braune Schmiere, ein Dorf, eigentlich eine Kleinstadt, mit circa 10.000 Einwohnern, mit einer goldenen Blume im Wappen, mit Villen am Ufer, die fast in den See kippen, mit Arztpraxen da und dort, mit Anwaltskanzleien da und dort, mit einem Naturschutzgebiet, das Flusskrebse, rote, überfallen, selbstverständlich mit Genossenschaftshäusern, deren Baujahr ich vergessen habe, mit Geschäften für jedes kleine Bedürfnis, mit Schwimmbad, Sportplatz und Kunsteisbahn — dem Kredit zu deren Überdachung wird stattgegeben —, mit Schiessplatz, Burgruine und einem Findling namens Alexanderstein, eine Kleinstadt, die sich von hunderten andern nur dadurch unterscheidet, dass sie noch reicher und steuergünstiger ist als andere, wir, die nie tätlich angegriffen worden sind, verbal beleidigt, das schon, Schissusländer! Scheissausländer! die am häufigsten gehörte verbale Attacke — und ich zwinge mich, die Szene zu Ende zu denken — im Mondial hat uns noch nie jemand "Schissusländer" genannt, unsere Gäste sind im Allgemeinen gepflegt gekleidet, tragen gute, saubere Schuhe und Accessoires, Schmuck, Taschen, Hunde, die zu ihrer Kleidung passen; und ich habe noch nie genauer darüber nachgedacht, was an dieser Anständigkeit, die mit aufrechter Haltung und gedämpfter Stimme einen Kaffee bestellt (samstags vielleicht noch einen zweiten), wirklich bedrohlich ist, aber jetzt, wo ich nichts fühle, aber putzend denke, verstehe ich mich, dass das Nette, Wohlanständige, Kontrollierte, Höfliche eine Maske ist, und zwar eine undurchdringliche: sie hat den nicht einzuholenden Vorteil, dass man jemandem die Maskenhaftigkeit nicht vorwerfen kann (würde ich das tun und ausfällig werden, fluchen, ich nehme Ihnen Ihre nette Art verdammt noch mal nicht ab! würde man mich gelassen auflaufen lassen: Fräulein, ich verstehe Sie nicht… ist Ihnen etwas über die Leber gelaufen?), kein Durchgedrehter, Abnormaler, unberechenbarer Freak hat seine eigene Scheisse in die Hand genommen und sie an unsere Klowand geschmiert, sondern ein kultivierter Mensch (ich, die "Scheisse" schreibt, kann mir nicht vorstellen, wie die hiesigen Bürgerinnen und Bürger das Wort in den Mund nehmen, aber vielleicht tun sie es, flüstern sich "Scheisse" zu, Jugo und Scheisse, das passt zusammen, die Bürgerinnen und Bürger, die in ihrem kultivierten Leben Wasser lassen, Stuhlgang haben, die Tatsache, dass die Scheisse an der Wand klebt, beweist doch, dass wir, sie, schmutzig sind), wer vermisst eine verschissene Unterhose? die Dorfpost, die mein Kleininserat vermutlich nicht abdrucken würde, die Dorfpost, die unsere Familie vor sechs Jahren porträtierte, die Gemeinde, die demokratisch für uns oder gegen uns abstimmen durfte, saubere Finger, die ihr Stimmrecht wahrnehmen, ich, die vor versammelter Gemeinde meine Hand erhebe, in die Gemeindegesichter blicke, frage, wer hat unser Klo mit Scheisse verschmiert? der Dorfbach, der in die plötzlich entstandene Stille hineinplätschert —.
Aus heiterem Himmel beginnt es zu regnen, so dass etliche Bürgerinnen und Bürger, die sich schon auf den Weg gemacht haben ins Gemeindehaus, nochmals umkehren, um zu Hause den Schirm zu holen oder sich einen Regenschutz anzuziehen, nicht wenige treffen also verspätet ein, stellen die Schirme in die Schirmständer, kleine und grössere Wasserlachen, die sich bilden, wachsen, sich zu Wasserlandschaften ausweiten. Ich sehe, wie die Frauen und Männer ihre Jacken und Mäntel aufhängen, an nüchtern silbern glänzenden Kleiderhaken, die auf Ämtern üblich sind, bringen sie sie zum Hängen, ein paar Hände, die sich über die verregneten Gesichter wischen, es riecht nass und schwer, Seufzer sind zu hören, ach, dieser Regen! und ein paar Männer ziehen sich die Pullover über die Bäuche, so wie sie es immer tun, wenn sie ihre Jacken ausgezogen haben, ein paar Frauen richten ihren Männern rasch noch die Hemdkragen, sie schimpfen verständnisvoll mit Hemdkragenspitzen, die sich tagsüber, während der Arbeit, in Pulloverinnenseiten versteckt haben. Man begrüsst sich, plaudert ein wenig, es kommt allmählich Stimmung auf, und die Plätze im Saal füllen sich.