Also hören wir nicht hin — ich möchte bloss wissen, warum diese Schweizer ihre Kinder so anziehen, als wären sie irgendwas, nur keine Kinder! — und bewegen uns mit den dreihundert Gästen lachend, singend, tänzelnd, rufend, klatschend zum Hochzeitszelt zurück, wo das eigentliche Hochzeitsessen beginnt, mit den luftigsten pogäcsa aller Zeiten, einem Salzgebäck aus Hefe, Schweinegrieben oder Quark, und dazu gibt's Schnaps, die Birne von Onkel Móric und den Aprikosenschnaps von Herrn Lajos, dem berühmtesten Schnapsbrenner der Gegend; für die Kinder gibt's Traubisoda, Apa Cola, Yupi und Tonic, für die Jugendlichen leichten Rotwein, gemischt mit Wasser, und zur Vorspeise wünscht sich der Bräutigam einen Ausflug, einen kleinen Spaziergang nach Amerika, das heute zum Glück um die Ecke liegt, ein paar Männer machen sich auf zum Chevrolet, Nomi, Mutter und ich brauchen diesmal also nicht dabei zu sein, wird schon schief gehen, sagt Mutter.
Und irgendwann sind wir so weit, dass wir gar nicht mehr wissen, ob wir das, was wir gerade essen, nicht vor zwei, drei Stunden schon einmal gegessen haben, wieder und wieder werden Gerichte aufgetragen, es nimmt kein Ende, sondern immer einen neuen Anfang, und Nomi und ich staunen, wie viel unsere zierliche Mamika essen kann, und Mutter hat schon längstens aufgehört, ihre Lippen nachzuziehen, und Tante Manci verwandelt sich in ein grosses Huhn, als sie erzählt, wie ihr bestes Legehuhn sie vor ein paar Tagen an der Nase herumgeführt hat, anfing, seine Eier an versteckten Orten zu legen, poooooopopopopo, und alle lachen Tränen, weil Tante Manci die Sprache der Hühner nicht nur versteht, sondern sie auch spricht, Tante Manci, die so lange gegackert hat, bis ihr Huhn sie zu den Eiern geführt hat; der Brautführer wird nicht müde, Sprüche auf die aufgetragenen Gerichte zu kreieren, mit einer Gulaschsuppe wollen wir uns kräftigen, den Leib und die Seele! eine Gulaschsuppe mit gezupften Nockerln, die wahrscheinlich zum Einstieg serviert wird und dann nochmals nach Mitternacht, wenn ein weiteres Mal Suppen aufgetragen werden, zur Gulaschsuppe noch eine Kraftbrühe mit Tokajer, magerem Rindfleisch, Pilzen und süssen Zwiebeln und ausserdem ein Süppchen mit geschlagenem Ei und viel Petersilie für all jene, deren Köpfe schon eingebunden sind, eine Redensart für die, die bereits sternhagelvoll sind, hört auf, so zu gähnen, dass euch der Kopf aus dem Mund fällt, die Nacht ist noch jung! ruft der Brautführer und wirft seine Hand in die Luft, gibt das Zeichen, dass man die dampfenden Töpfe bringen solle, aber die flinken, kurzbeinigen Frauen mit den roten Kopftüchern und Schürzen tragen zu zweit Platten herein, vor den Suppen noch eine kleine Überraschung! zarte Ferkelsülze, frische Gänseleber im Schmalz, gefüllte Saftgurken, Tomaten mit Fischfiletfüllung, Forelle mit Gänseleberfüllung, pochierte Zwiebeln und Pilzen, Palatschinken mit Kalbspörkölt und saurer Sahne; und die Musiker spielen einen Tusch auf die Überraschung, auf das Brautpaar, auf Nándor und Valeria! das Glück soll für euch und für uns alle musizieren! ruft der Brautführer, Nomi, die sich ständig darüber aufregt, dass er so geschwollen daherredet — Nomi und ich, wir schleichen uns beim Aaaaah und Oooooh zur Überraschungsplatte aus dem Zelt, wir kümmern uns nicht um die Männer, die neben dem Zelt, an der Hauswand lehnen, uns mit verrutschten Augen ein paar Sprüche nachschicken, wir eilen in Tante Mancis Sommerküche, ziehen uns rasch um, und wir verlieren kein Wort darüber, wie erleichtert wir sind, als wir wieder unsere Alltagskleider tragen, eine Sommerhose und ein T-Shirt.
He, Ildi, sieh mal, da vorn ist Gyula, sagt Nomi, als wir die Küchentür hinter uns schliessen, Gyula, einer unserer Cousins, der schönste, mit wilden Augen, so sagt man, und wenn er nicht unser Cousin wäre, ja dann, dann wären wir auch in Gyula verliebt, aber wo ist er jetzt hin, frage ich, und wir gehen über den dunklen Innenhof, am Schweinestall vorbei, und das vereinzelte Grunzen vermischt sich mit der Musik, es ist immer noch warm, sagt Nomi, ja! und wir bespritzen uns am Ziehbrunnen, ich will wissen, wo dieser Gyula ist, sage ich, und wir gehen auf das Hühnergatter zu, ein breites Gehege, das jetzt leer ist, pass auf die Hühnerkacke auf, ruft Nomi, sonst liegst du auf dem Boden, und wir trippeln vorsichtig über die rutschigen Pflastersteine, öffnen da, wo es am dunkelsten ist, die Gattertür, stehen inmitten eines kleinen Schrottplatzes, Pneus, Möbelteile, altes Spielzeug, sogar einen rostigen Auspuff gibt's da, ein Ort, den wir nur tagsüber gut kennen, pssst! flüstere ich, da ist er, und Nomi und ich, wir ducken uns hinter eine schiefe Kommode, wir halten den Atem an, weil wir wissen, dass das, was wir sehen, nicht für unsere Augen bestimmt ist.
Gyulas Hintern sieht aus wie der volle Mond, flüstert Nomi nach einer Weile, aber im Gegensatz zum Mond bewegt sich Gyulas Hintern vor und zurück, ziemlich schnell, und seine heruntergelassene Hose sieht peinlich aus, aber das finden ja nur Nomi und ich, die einzigen Zuschauerinnen, wir sollten besser wegsehen! aber wenn wir schon mal da sind, sage ich, und zum Glück ist es ziemlich dunkel, so dass man nicht viel sieht, nur wie Gyula seinen Mond vor und zurück bewegt und wie er mit seinen Händen Beine hält, die neben seiner Hüfte herunterhängen, und der wirkliche Mond, der über uns hängt, ist nicht voll, sondern eine Sichel. Weisst du, wer es ist, frage ich Nomi. Terez, antwortet sie, ziemlich sicher, die haben sich die ganze Zeit schon so angeguckt. Was, Terez? die ist doch verheiratet! Ja genau, Terez ist verheiratet und Gyula ist verlobt, und ab und zu hören Nomi und ich das vereinzelte Gegacker eines Huhnes, die Hühner träumen wahrscheinlich auch, flüstert Nomi, aber sicher von nichts anderem als von Maiskörnern, für etwas anderes sind sie zu doof. Und wir müssen uns andauernd irgendwelchen Blödsinn zuflüstern, um uns von dem, was wir sehen, abzulenken, von den Stöckelschuhen, die sich jetzt an Gyulas Schenkeln festklammern, von den merkwürdig angestrengten Tönen, die sich die beiden hin- und herschieben, und Nomi schmiegt sich eng an mich, sagt mir lachend ins Ohr, komm, wir wecken die Hühner auf, Ildi, ich hab Lust, dass etwas passiert!
Und danach, danach löst sich die hintere Zeltplache, da, wo das Brautpaar gesessen ist, sie rutscht so weit runter, dass man das Herz aus Nelken und die Heiligenbildchen nicht mehr sieht, sondern den dunklen Innenhof. Unglück! rufen die einen, das kann nichts Gutes bedeuten, an so einem Tag! Ach was! hört doch auf! Luft! Zuversicht! Freiheit! rufen die anderen, allen voran Tante Manci, sie klatscht in die Hände, jetzt feiern wir erst recht! Und es werden gefüllte Paprikaschoten, Kalbspaprikasch, Rinds-, Lamm-, Schweinepörkölt aufgetragen — und ich erinnere mich genau an die paar Suppenspritzer am Anfang des Abends, Brotkrümel, die zu Beginn des Festes noch unter den Tisch gewischt werden, ein paar wenige Gläser, die aus Unachtsamkeit umfallen oder weil man mit schwärmerischen Armen nochmals die Schönheit des Brautpaares beschreiben muss, die Zigaretten, die noch nicht von Schuhspitzen ausgedrückt werden; aber es ist logisch, dass Ferkelsülze glitschig ist, von einer etwas unsicher gehaltenen Gabel flutscht, und ist das nicht eine grossartige Leber, wenn sie auf dem Tischtuch eine so mächtige Spur hinterlässt? Ich erinnere mich genau, dass das Tischtuch bereits wild gefleckt ist, die Männer hängende Kiefer haben, nach Bier schnippen, obwohl noch ein halbvolles vor ihnen steht, als Vater sich auf dem Tisch abstützt — die Musiker haben gerade die letzten Takte von Ich habe meine schöne Heimat verlassen gespielt, Nomi, die mich in den Arm kneift, weil Gyula in diesem Moment wieder ins Zelt schlüpft und ein paar Minuten später, Terez, na, was hab ich dir gesagt? Vater, der vor dem Lied Grossonkel Pista die Lage der Welt erklärt hat, auf einer imaginären Karte, aber gut sichtbar für alle, die keine Maulwürfe sind, Grossonkel Pista, der in seinem jetzigen Zustand eigentlich nur noch nicken kann — ich beobachte also, wie Vater sich auf dem Tisch abstützt, langsam aufsteht, die Tischplatte loslässt, wackelt, sich dann, als er sich eingependelt hat, den Krawattenknopf und das hellgraue Jackett richtet, nach einem Löffel langt, was kommt jetzt, flüstert Mutter, weil sie so gut wie ich und Nomi weiss, was jetzt kommt, und Vater klopft mit dem Löffel gegen zwei Gläser, bittet um Ruhe, weil er jetzt etwas sagen möchte, er möchte jetzt etwas sagen und nicht viele Worte verlieren, und es wird still im Zelt, ich, die sich umsieht, sehe geknickte Köpfe, eingelegte Augen, Löcher in hoch getürmten Frisuren, Lidstriche, die sich verbreitert haben, Nomi, flüstere ich leise, lass uns wieder verschwinden — aber es ist zu spät.