Vater, der es tatsächlich tut, sein Glas erhebt, auf das Brautpaar! auf Nándor und Valeria! auf den 4. 8. 1980! darauf, dass Tito vor genau drei Monaten ins Gras gebissen hat! Und ich wünsche ihm, und ich hoffe, ihr tut es auch, dass er in einem hundertfachen Fegefeuer schmort!
Nándor und Valeria, die höflich und hilflos lächeln, kein hundertfaches Fegefeuer, sondern ein blutrotes, ruft einer, hebt sein Glas in Vaters Richtung, steht auf, aber sonst, sonst bleiben alle sitzen, und eine speckige Frau ruft, ihr Spinner, geht doch raus, wenn ihr politisieren wollt! und sie zeigt energisch zum Zeltausgang, und jemand klatscht in die Hände, Musik, Musik! Der Miklós hat schon recht, ruft einer, aber die Geiger und Sänger streichen und singen schon, schön sind, schön sind die, deren Augen blau sind… Hört mal zu, ruft jemand noch und formt mit seinen Händen einen Trichter, es war ein blöder Bubenstreich, das mit der Zeltplache, hört mal zu, das waren die beiden Buben da drüben! — aber das interessiert jetzt niemanden mehr.
Willst du uns alle im Grab sehen, sagt Onkel Móric, der sich, kaum haben die Musiker zu spielen angefangen, neben Vater an den Tisch gestellt hat, so nah, dass er ihn mit seiner geäderten Nase fast berührt, wünschst du uns den Krieg, zischt Onkel Móric, sag mal, oder ist dir einfach dein Mund ausgerutscht? Mutter sieht in ihrem grasgrünen Kleid immer noch schön aus, aber hilflos, und niemand hört ihr zu, als sie sagt, könnt ihr das nicht auf einen anderen Tag verschieben? Vater und Onkel Móric, die sich mit Worten bespucken, du wünschst uns den Krieg, sagt Onkel Móric immer wieder, Vater ruft, hör doch auf, ach, hör doch bloss auf, wirbelt seinen Rauch spöttisch gegen das Zeltdach, ist dir dein Humor in deiner Festtagsunterhose verloren gegangen? Und die Girlanden sind jetzt kleine, farbige Bojen, die in einem Meer von Rauch und Flüchen schaukeln. Dass dir Tito nicht gepasst hat, ist mir völlig wurscht, brüllt Onkel Móric, den wir zum ersten Mal fluchen hören, aber ich bin nicht der Einzige, der sagt, dass das Land jetzt aus dem Ruder läuft, und seine ausgestreckte Hand sieht aus wie ein eigenes Wesen. Wo ist dein Realitätssinn geblieben, fragt Vater und muss für "Realitätssinn" ein paar Mal Anlauf holen, du glaubst doch nicht im Ernst, dass ein gestorbener Tito einen Krieg auslöst?
Und es hat sich eine Traube gebildet um Vater und Onkel Móric, keine Ahnung, wer was gerufen hat, wer mit wem gestritten hat, sogar Juli stand plötzlich neben Grossmutter und rief, es schneit, es schneit, der Schnee ist da! ihr Mund, der mit Schlagsahne verschmiert war, Mamika, von der Nomi und ich erwartet haben, dass sie den Streit schlichtet, das sind zwei Brüder, die sich streiten, hat sie gesagt, nur das, und die Musiker haben weitergespielt, obwohl ihnen niemand mehr zugehört oder getanzt hat, es war so laut im Zelt, dass das übriggebliebene Essen auf den Tellern wieder warm geworden ist, und Tito hat seinen Kopf aus dem Fegefeuer und seine Zunge aus dem Mund gestreckt, in unser Hochzeitszelt hinein, so berühmt bin ich immer noch! und seine Nasenspitze glänzte vor Schadenfreude.
Am schwierigsten wäre es zu erzählen, dass Onkel Móric und Vater sich trotzdem nicht geprügelt haben, sie haben sich zwar fast nichts nicht an den Kopf geworfen, aber nach einer Weile tänzelten sie fröhlich aufeinander zu, die Geiger Hessen ihre Bögen springen, der Kontrabassist zupfte deftig auf seinen Saiten, und alle feuerten Onkel Móric und Vater an, als wäre nichts gewesen, und nur Nomi und ich, wir wunderten uns sehr.
Die Familie Kocsis
Letztes Jahr ist Mutter spät nach Hause gekommen, mit einem offenen Gesicht, das gar nicht zum kalten Herbsttag passte, und sie hat nicht geatmet, als sie sagte, ich habe eine Überraschung für euch, wir bekommen die Cafeteria Mondial, die Tanners haben die Hausvermieter überzeugt, die wollten eigentlich jemand anderen, aber wir haben gewonnen, und ich glaube, dass Mutter dann lachen musste, weil sie "gewonnen" gesagt hatte.
Und an diesem Abend sitzen wir ungewöhnlich lange am Tisch, Vater küsst Mutter sogar vor unseren Augen, er hält ihre Hände, als wir besprechen, was das bedeutet, dass wir in dem Dorf, wo wir seit dreizehn Jahren wohnen, ein Geschäft in bester Lage bekommen, direkt beim Bahnhof mit perfekter Inneneinrichtung, zahlbarem Mietzins und Gartensitzplätzen. Nomi, Mutter, Vater und ich feiern, es ist eigentlich gar nicht möglich, sagt Mutter, es kommt mir immer noch unwirklich vor, so unwirklich wie Fische, die fliegen; ich, die Mutter sagt, dass es Flugfische gibt, ziehe eine Zigarette aus der Packung, Vater, der an diesem Abend wortlos zur Kenntnis nimmt, dass nicht nur ich, sondern auch Nomi raucht.
Eine neue Tapete muss her, sagt Mutter, das ist ganz wichtig, und vielleicht eine schöne Wanduhr, meint Vater, und logischerweise werden wir die Kaffeemarke nicht wechseln, alles, nur das nicht! und den Bäcker, den werden wir auch beibehalten — Vater, der kochen wird, Mutter, die backen und den ganzen Bürokram erledigen wird, Nomi, die je nachdem im Buffet oder im Service arbeiten wird, und ich, die an meinen studienfreien Tagen aushelfen wird — wir sitzen an unserem Esstisch, aber nur vordergründig, denn wir schweben an Jahren vorbei, mit einem Mal sind wir nicht einen Schritt weiter, sondern einen riesigen Sprung, sagt Mutter, und in ihren schönen Augen zeigen sich Bilder einer vergangenen Zeit, Mami als Putzfrau, Kassiererin, Mädchen für alles, Wäscherin, Büglerin, Kellnerin, Buffettochter, es war nicht immer einfach, sagen ihre Augen, aber es hat sich gelohnt! Und weil Mutter vor fünf Jahren die Wirtefachschule geschafft hat, konnten wir schon einmal eine Cafeteria übernehmen, aber was für eine! in der Stadt, in einer Seitengasse mit horrendem Mietzins, schlechter Lüftung, mit der Küche im zweiten Stock, damals, als Nomi und ich nach der Schule immer ausgeholfen haben, auch sonntags, unsere härteste Zeit, sagt Vater, zwei Jahre lang kein einziger freier Tag, dieser Arschkopf von Besitzer hat gut an uns verdient! — aber auch dieser Satz wiegt jetzt nicht mehr schwer, weil das Glück, die Zukunft jetzt eine logische und gerechte Fortsetzung der Vergangenheit sind — Mutter, die nach diesem Reinfall bei den Tanners anfing zu arbeiten, als Buffettochter, im Mondial, vordergründig ein Abstieg, schmunzelt Mutter, das hätte ich damals doch nie gedacht, dass sie mir einmal ihr Geschäft überlassen!
Die Tanners haben eben gemerkt, dass du nicht für dich denkst, sondern für sie, sagt Vater.
Ach was, antwortet Mutter, die Tanners wollten eine von ihren Töchtern als Nachfolge, aber die wollten eben nicht, und vielleicht war noch ein bisschen Sympathie dabei, für mich, für unsere Familie. Klingt das ungarische Wort für "Familie" für dich nicht wie ein warmes, schönes Essen, will ich Mutter fragen. Vater, der sagt, dass es garantiert auch nicht geklappt hätte, wenn wir keine Schweizer wären! und unser Leumund nicht topp tipp wäre, meint Mutter. Umgekehrt, sagt Nomi, wieso kannst du dir das nicht merken, Mami, man sagt tipp topp! Ab heute merke ich es mir, antwortet Mutter lachend, tipp topp, tipp topp, tipp topp, tipp topp, gut so? Und Vater lässt den Korken der Champagnerflasche knallen, mit einem Koffer und einem Wort sind wir in die Schweiz gekommen, und jetzt haben wir einen roten Pass mit einem Kreuz und eine Goldgrube, hten lsten! Gott Gott! ruft Vater, und wir stossen an, klirrend, herzlich.