Schwarzarbeiter ziehen sich von Kopf bis Fuss schwarz an, ein Dieb muss sich ja tarnen, wenn er nicht erwischt werden will, nur seine Augen bewegen sich rasch und hell hin und her, in der Nacht. Die beliebtesten Schwarzarbeiter sind die Pfarrer, sie tragen, im Gegensatz zu den Dieben, keine Maske, sondern einen weissen Kragen, und ihr Gesicht sieht so unschuldig aus wie frisches Brot. Andere Schwarzarbeiter müssen mit schwarzen Sachen arbeiten, Kohlesäcke schleppen zum Beispiel. Oder sie müssen, ähnlich wie eine Waschmaschine, so lange arbeiten, bis die schwarze Sache wieder weiss ist…
Irgendwann einmal habe ich das Wort "Schwarzarbeit" aufgeschnappt, von meinen Fltern, ich konnte noch kaum Deutsch, und es gab Wörter, die vergass ich rasch wieder, andere gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, so auch Schwarzarbeit. Es gefiel mir, dass ich das Wort zwar nicht brauchen konnte — im Gegensatz zu schlafen, essen, trinken, der See, die Frau, der Mann, das Kind, ja, nein — mir aber trotzdem vieles darunter vorstellen konnte. Andere Wörter hingegen stapelten sich in meinem Kopf wie nutzloser Kram: Ausweis, Niederlassung, Wartefrist. Bis ich die Bedeutung dieser Wörter begriff, dauerte es lange, auch deshalb, weil meine Eltern sie auf ihre Art betonten oder unabsichtlich abänderten. Der Ausweis war der Eisweis, die Wartefrist die Wortfrisch und Niederlassung klang aus ihrem Mund wie Niidär-lasso.
Vater hatte fast ein halbes Jahr, ohne dass er es wusste, schwarzgearbeitet. Alles gut, sagte sein damaliger Arbeitgeber, der Metzgermeister Fluri, Papiere sind unterwegs. Ein Arbeitskollege, der meinen Vater mochte, hat ihm den Tipp gegeben, he, Mik, der Fluri verdient viel besser an dir, schwarz, verstehst du? Knappe neunhundert Franken hatte Vater am Monatsende in seinem Kuvert, Essen und Miete für das Zimmer oberhalb der Metzgerei wurden ihm vom Lohn abgezogen. Das sei wie eine Ohrfeige gewesen, der Tipp seines Kollegen, erzählte Vater, er habe eins und eins zusammengezählt, seinen ganzen Mut zusammengenommen und zu seinem Chef gesagt: Wenn kein Papier, Miklós gehen. Und Vater, der erstaunt war, dass sein kleiner Satz eine so grosse Wirkung hatte. Ein paar Wochen später habe er nämlich die Arbeitsbewilligung und eine kleine Lohnerhöhung bekommen, die er gar nicht gefordert hatte, damals habe er ja gar nicht gewusst, dass seine Kollegen mehr als das Doppelte verdienten: Warum nicht? Wir reden hier nicht über den Lohn! das sei einer der ersten Sätze gewesen, die er begriffen habe, so Vater.
Was Vater damals auch nicht wusste, dass nämlich Schwarzarbeit den so genannten Familiennachzug hinauszögerte, die Familie, die man nach drei Jahren nachziehen konnte, wenn man eine Aufenthalts- und eine Arbeitsbewilligung hatte ("Familiennachzug", und ich sehe ein glänzendes, frisch poliertes Auto eines Hochzeitspaares vor mir, das in die gemeinsame Zukunft fährt, und ich höre das scheppernde, billige Geräusch der Blechbüchsen, die, an Schnüren festgebunden, hinter dem Auto hergezogen werden).
Und dann hat der Fluri schöne Briefe geschrieben für uns, an die Fremdenpolizei — ich bin ihm dankbar dafür, sagte Vater —, er ist schuld, dass unsere Kinder noch ein halbes Jahr länger nicht kommen konnten, fluchte Mutter, meine Eltern, die sich heimlich stritten, ich, die sie manchmal belauschte, so auch in dieser Nacht; ich war noch nicht lange in der Schweiz, und ich erinnere mich an viele schlaflose Nächte, und oft, wenn ich meine Eltern belauscht hatte, wirbelten die Wörter in meinem Kopf wie Laub an einem regnerischen, stürmischen Herbsttag, Wörter auf Ungarisch wie Papiere, Polizei, Briefe, dankbar, deutsche Wörter wie Familiennachzug, Schwarzarbeit, und wahrscheinlich hatte meine Mutter damals getrunken, was sie sehr selten tat, ich höre heute noch ihre Stimme, schrill in ihrer Verletztheit, drei Jahre, zehn Monate, zwölf Tage, bis die Einreisebewilligung endlich da war, für die Kinder.
Mit welchem Wort seid ihr gekommen, frage ich, als die Champagnerflasche leer ist, Vater aufsteht, um eine zweite zu holen. "Arbeit".
Wir übernehmen alles von den Tanners: Büchsenbohnen, unzählige Beutel Bratensauce, gefrorenes Brät, Pommes Duchesse, egal, auch wenn wir wissen, dass wir das meiste gar nicht brauchen können: Ravioli aus der Büchse, Fleischkonserven mit Sulz, Ochsenschwanzsuppe (was ist das überhaupt, kann man Ochsenschwänze essen? ja klar, meinte Mutter, ihr kennt das, und sie übersetzte uns für ein Mal das Wort auf Ungarisch, ach so, sagten wir und fanden, dass "Ochsenschwanz" ungeniessbar klingt), wir übernehmen alles, weil wir mit diesem Geschäft ein Glückslos gezogen haben.
Am dritten Januar 1993 eröffnen wir das Mondial, und während der Weihnachtszeit haben wir geputzt, gebügelt, Mutter hat zweitausend Mal in einen Mürbeteig gestochen und die Plätzchen mit selbstgemachter Aprikosenkonfitüre in Spitzbuben verwandelt, Nomi und ich, wir haben Halbmöndchen geformt, Vanillekipferl, wir haben uns tagelang heiss gearbeitet, weil wir unsere Kunden eine Woche lang mit selbst Gebackenem überraschen wollen, wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, uns von unserer besten Seite kennenzulernen, ihnen zeigen, dass wir Handarbeit von Grund auf kennen — wir, die von einer guten Fee geküsst worden sind, und es ist doch so, wie wenn wir jahrelang auf diese eine Gelegenheit gewartet hätten, sagt Mutter, es gab jede Menge Interessenten, die sind richtig Reihe gestanden, als sie gehört haben, dass die Tanners das Geschäft Ende des Jahres aufgeben, das hab ich ja mitbekommen, als Buffettochter! Und Mutter erzählte es wieder und wieder, immer wieder spekulierten Vater und sie darüber, was wohl bei der Entscheidung der Tanners den Ausschlag gegeben habe, und sie geniere sich fast ein bisschen, wenn sie jetzt hinter dem Buffet arbeite, die Blicke der Gäste auf sich ziehe, ja, und die Schärers, die ein gut laufendes Sanitärgeschäft führten, die hätten jeden Tag angeklopft, an Frau Tanners Bürotür, weil sie es nicht glauben konnten, dass sie das Mondial nicht bekommen — und ich, die sich insgeheim vorstellt, dass Mutter durchs Dorf spaziert, es allen erzählt, wissen Sie es schon, ich bekomme die Cafeteria Mondial! und wenn Mutter diesen Satz sagt, nimmt sie mit beiden Händen die Hand der Angesprochenen, einen Moment lang hält sie die fremde Hand; Mutter, die ich mir frei und unangreifbar vorstelle in ihrem stolzen Glück.
Wir stehen alle sehr früh auf, um uns zu frisieren, zu dekorieren, es ist noch dunkel, wir haben Ringe unter den Augen, weil wir uns durch die Wände hindurch mit unserer Schlaflosigkeit angesteckt haben, aber wir reden nicht darüber, dass wir schwitzen, vor Müdigkeit und Aufregung, wir haben uns nicht abgesprochen, was wir anziehen sollen, ob es angebracht wäre, sich mit den Farben aufeinander abzustimmen, und meistens, wenn ich so aufgeregt bin, denke ich, dass dieser Tag gar nie kommt, dieser Tag, der diese ganze Aufregung verursacht, wahrscheinlich, weil die Zeit davor lang und länger wird, bis sie sich zu einer schlaflosen Nacht ausdehnt, und eigentlich kann ich gar nicht sagen, was sich in meinem Kopf abspielt, sicher denke ich darüber nach, ob wir ausreichend vorbereitet sind, aber ich denke auch darüber nach, dass so ein Tag, der mit einer solchen Aufregung erwartet wird, im schwarzen Loch der mit übertriebener Nervosität erwarteten Tage verschwindet, ich meine, so ein Tag wiegt schon schwer, obwohl er noch nicht einmal die Gelegenheit gehabt hat anzufangen — kann das gut gehen, frage ich mich, wir, unsere Familie, mit unserem Geschäft, in dieser prominenten Lage, in dieser Gemeinde, einer der reichsten Gemeinden am rechten Zürichseeufer, Nomi und ich, die nicht eigentlich ins Mondial passen, ich, die sicher auch daran denkt, was alles schon schiefgelaufen ist, eine ganze Menge! oder doch nicht? Grundsätzliches? Kleinigkeiten? Hier wird nicht gepfiffen wie in Italien oder in der Mongolei, rief ein Nachbar, jedes Mal, wenn Nomi und ich durch die Zähne gepfiffen haben, Italien kann ich ja noch verstehen, sagte Nomi, aber Mongolei? Seit ihr hier seid, ist alles verludert! und "verludert" fand ich gar nicht schlimm, aber "seit ihr hier seid" ging mir nicht mehr aus dem Kopf, ich, die in Tränen ausbrach, ich, die stolz darauf war, dass wir, Nomi und ich, offenbar etwas bewirken konnten; und andere, vor allem Kunden unserer Wäscherei, die immer wieder fragten, ob wir etwas brauchten, die uns dann Säcke brachten mit ausgetragenen Kleidern, so lernten wir die Namen von teuren Kleidermarken kennen, Gucci, Yves Saint Laurent, Feinkeller, Versace, danke schön! und wir haben das meiste davon entsorgt, in Jugoslawien oder bei der Caritas — ich, die gelernt hat, dass es Schweizer gibt, die sich ganz grundsätzlich fürs Gute zuständig fühlen, schwitze, weil ich schlafen sollte, weil ich schon lange weiss, dass man nicht zuviel denken sollte, wenn man nicht schlafen kann.