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Heute verteilte sie Ratschläge, wie sich unattraktive Verehrer abwimmeln ließen. »Die Methode ist narrensicher und funktioniert garantiert. Ehrenwort.«

»Was soll ich damit?«, sagte Giti. »Ich bin doch noch zu jung für Verehrer.«

»Ach was.«

»Jedenfalls hat noch niemand um meine Hand angehalten.«

»Das muss an deinem Bart liegen, meine Liebe.«

Giti deutete einen Boxhieb auf Hasinas Kinn an und blickte Hilfe suchend zu Laila, die ihr halb mitleidig, halb aufmunternd zulächelte — Giti war das humorloseste Mädchen, das sie kannte.

»Wie dem auch sei, wollt ihr’s wissen oder nicht?«

»Schieß los«, sagte Laila.

»Bohnen. Nicht weniger als vier Dosen, einzunehmen wenige Stunden bevor der zahnlose Lümmel kommt, um dir seine Liebe zu gestehen. Aber aufgepasst, meine Damen, das genaue Timing ist entscheidend. Ihr müsst das Feuerwerk zurückhalten, bis es Zeit ist, ihm seinen Tee einzuschenken.«

»Ich werd mich dran erinnern«, sagte Laila.

»Das wird auch er.«

Laila hätte erwidern können, dass sie den Rat nicht nötig habe, weil Babi sie so bald nicht freigeben würde. Babi arbeitete zwar für Silo, in der größten Brotfabrik Kabuls, wo er bei brütender Hitze und zwischen lärmenden Maschinen von morgens bis abends die riesigen Öfen und Mahlwerke beschickte, war aber ein Mann mit Universitätsabschluss. Die Kommunisten hatten ihn aus seinem Lehramt vertrieben — das war kurz nach dem Putsch von 1978 gewesen, anderthalb Jahre vor dem Einmarsch der Sowjets. Babi hatte Laila von klein auf klarzumachen versucht, dass das Allerwichtigste für ihn erstens ihre Sicherheit und zweitens ihre Schulausbildung sei.

»Du bist zwar noch jung, aber ich möchte, dass du jetzt schon eines lernst«, hatte er gesagt. »Heiratsabsichten kannst du aufschieben, nicht aber deine Ausbildung. Du bist ein sehr gescheites Mädchen. Ja, das bist du wahrhaftig. Dir stehen alle Türen offen, Laila. Davon bin ich überzeugt. Und ich weiß auch, dass, wenn dieser Krieg vorüber ist, Afghanistan dich genauso nötig haben wird wie seine Männer, vielleicht sogar nötiger. Denn eine Gesellschaft hat keine Aussicht auf Erfolg, wenn ihre Frauen nicht hinreichend ausgebildet sind.«

Hasina gegenüber sagte Laila nichts von den Worten ihres Vaters; sie erwähnte auch nicht, dass sie glücklich darüber war, einen solchen Vater zu haben, dass sie stolz war, von ihm so wertgeschätzt zu werden, und entschlossen, zu studieren, wie er es getan hatte. Am Ende der beiden letzten Schuljahre war ihr jeweils das awal numra zuerkannt worden, mit dem die Schule den besten Schüler einer Jahrgangsstufe auszeichnete. Von alldem sagte Laila Hasina gegenüber nichts, denn deren Vater war ein übellauniger Taxifahrer, der seine Tochter wahrscheinlich in zwei oder drei Jahren weggeben würde. In einem ihrer wenigen ernsten Momente hatte Hasina Laila anvertraut, dass ihre Familie bereits entschieden habe, sie mit einem Cousin ersten Grades zu verheiraten, der zwanzig Jahre älter war als sie und eine Autohandlung in Lahore besaß. »Bislang habe ich ihn zweimal gesehen«, hatte Hasina gesagt. »Und beide Male hat er beim Essen laut geschmatzt.«

»Bohnen«, betonte Hasina. »Merkt euch das. Es sei denn…« — an dieser Stelle grinste sie verschmitzt und stupste Laila mit dem Ellbogen an —, »es sei denn, dein hübscher einbeiniger junger Prinz klopft bei dir an. Dann…«

Laila stieß den Ellbogen von sich. Bei jedem anderen, der sich über Tarik lustig gemacht hätte, wäre Laila in Harnisch geraten. Aber sie wusste, dass Hasina es nicht böse meinte. Sie hatte einfach nur ein loses Mundwerk und verschonte niemanden, am wenigsten sich selbst.

»So redet man nicht über andere«, sagte Giti.

»Andere? Wen meinst du damit?«

»Zum Beispiel Kriegsversehrte«, antwortete Giti mit ernster Miene und ging damit der Klassenkameradin auf den Leim.

»Mir scheint, Mullah Giti hat sich in Tarik verguckt. Hab ich’s doch geahnt. Ha! Aber er ist schon vergeben. Hab ich nicht recht, Laila?«

»Ich hab mich nicht verguckt«, entgegnete Giti. »In niemanden.« Die beiden entfernten sich von Laila und gingen streitend weiter.

Laila legte den Rest des Weges allein zurück. Als sie in ihre Straße einbog, bemerkte sie, dass der blaue Benz immer noch vor dem Haus von Raschid und Mariam parkte. Der ältere Mann im braunen Anzug stand jetzt, auf einen Stock gestützt, neben der Motorhaube und schaute auf das Haus.

Plötzlich hörte Laila eine Stimme hinter sich rufen: »He, Gelbhaar. Sieh mal her.«

Laila drehte sich um und blickte in die Mündung einer Pistole.

17

Die Pistole war rot und hatte einen grünen Abzugbügel. Der Finger am Abzug gehörte Khadim, einem dicken elfjährigen Jungen mit vorstehendem Unterkiefer. Er, der Sohn eines Metzgers, war in Deh-Mazang berüchtigt dafür, Passanten mit den Innereien von Kälbern zu bewerfen. Wenn Tarik nicht in der Nähe war, stellte Khadim Laila in den Pausen auf dem Schulhof nach, belästigte sie mit Anzüglichkeiten und gab wiehernde Geräusche von sich. Einmal hatte er ihr auf die Schulter getippt und gesagt: »Du bist so hübsch, Gelbhaar. Ich will dich heiraten.«

Jetzt winkte er mit der Pistole. »Keine Bange«, sagte er. »Was da rauskommt, sieht man nicht. Nicht auf deinen Haaren.«

»Untersteh dich! Ich warne dich.«

»Womit willst du mir drohen?«, fragte er. »Wirst du mir deinen Krüppel auf den Hals hetzen? ›Oh, Tarik jan, komm bitte nach Hause und erlöse mich von diesem badmash.‹«

Laila wich zurück, doch Khadim pumpte schon am Abzug der Pistole. Dünne Strahlen warmen Wassers trafen Lailas Haar und dann die Hände, als sie damit ihr Gesicht zu schützen versuchte.

Andere Jungen, die sich bislang versteckt gehalten hatten, kamen jetzt herbeigerannt und feixten.

Irgendwann war Laila einmal auf der Straße eine Beleidigung zu Ohren gekommen, die sie nicht so recht verstand, aber offenbar eine derart drastische Wucht hatte, dass sie ihr nun durchaus angemessen zu sein schien.

»Deine Mutter ist eine Schwanzlutscherin.«

»Immerhin ist sie nicht so bekloppt wie deine«, entgegnete Khadim ungerührt. »Und immerhin ist mein Vater keine Memme. Übrigens, willst du nicht mal an deinen Händen riechen?«

Die anderen Jungen johlten: »Riech mal, riech mal!«

Unwillkürlich führte Laila ihre Hände an die Nase, doch bevor sie daran roch, wurde ihr schlagartig klar, was Khadim damit gemeint hatte, dass man das Wasser nicht auf ihren Haaren sah. Sie stieß einen schrillen Schrei aus, was die Jungen zu noch lauterem Gejohle anstachelte.

Laila drehte sich um und rannte kreischend nach Hause.

In hektischer Eile schöpfte sie Wasser aus dem Brunnen, füllte damit eine Schüssel und zerrte sich das Hemd über den Kopf. Sie seifte sich die Haare ein und scheuerte, vor Abscheu wimmernd, die Kopfhaut mit den Fingerspitzen. Mehrmals hintereinander spülte sie die Haare und seifte sie wieder ein. Immer wieder drohte sich ihr der Magen umzustülpen. Heulend und zitternd schrubbte sie mit einem Waschlappen Gesicht und Hals, bis sich die Haut rötete.

Das wäre ihr nie passiert, wenn sie Tarik bei sich gehabt hätte, dachte sie, als sie sich frische Sachen anzog. Khadim hätte es nie gewagt. Natürlich wäre es auch nicht dazu gekommen, wenn Mami sie, wie versprochen, abgeholt hätte. Manchmal fragte sich Laila, warum ihre Mutter überhaupt zugelassen hatte, mit ihr noch einmal schwanger zu werden. Eltern, so fand sie, sollte kein weiteres Kind erlaubt sein, wenn alle Liebe, die sie geben konnten, bereits aufgebraucht war. Voller Wut stürmte Laila in ihr Zimmer und ließ sich aufs Bett fallen.