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Frauen schwirrten umher, holten Schalen mit qurma, Teller voll mastawa und Brot aus der Küche ab, die sie dann auf der am Boden des Wohnzimmers ausgebreiteten sofrah verteilten.

Ab und zu zeigte sich auch Tarik, um von den Speisen zu naschen.

»Hier werden keine Männer geduldet«, sagte Giti.

»Raus, raus!«, rief Wajma.

Tarik schmunzelte. Es schien ihm zu gefallen, nicht willkommen zu sein und die Frauenwirtschaft mit seinem männlich respektlosen Grinsen zu verärgern.

Laila tat ihr Bestes, ihn zu ignorieren, um den Frauen nicht noch mehr Stoff für Klatsch und Tratsch zu bieten. Also hielt sie den Blick gesenkt und sagte nichts, erinnerte sich aber an das, was sie vor einigen Nächten geträumt hatte: sein und ihr Gesicht im Spiegel hinter einem zarten grünen Schleier. Und Reiskörner, die, aus ihrem Haar fallend, mit einem kleinen Pling vom Glas abprallten.

Tarik langte mit einem Löffel in den Eintopf aus Kalbfleisch und Kartoffeln.

»Ho bacha!« Wajma klatschte ihm auf die Hand. Tarik stahl den Happen dennoch und lachte.

Er war inzwischen fast einen Kopf größer als Laila und musste sich rasieren. Die Gesichtszüge waren markanter geworden, die Schultern breiter. Er trug jetzt meist Bundfaltenhosen, schwarze, blank polierte Slipper und Hemden mit kurzen Ärmeln, um mit seinen Muskeln angeben zu können, die er tagtäglich mit zwei alten rostigen Hanteln im Hof trainierte. In letzter Zeit setzte er gern eine streitlustige Miene auf, neigte, wenn er sprach, den Kopf ein bisschen zur Seite und lupfte eine Braue, wenn er lachte. Auch das spöttische Grinsen war neu an ihm.

Tarik war kurz zuvor schon einmal aus der Küche verscheucht worden, und seine Mutter hatte Laila dabei ertappt, dass sie ihm einen heimlichen Blick zuwarf. Laila war zusammengezuckt und hatte sich schnell wieder darangemacht, die Gurkenstücke unter den gesalzenen Joghurt zu rühren. Sie spürte die Augen von Tariks Mutter auf sich gerichtet, ihr wissendes, wohlmeinendes Schmunzeln.

Die Männer gingen mit gefüllten Tellern und Gläsern zurück in den Hof. Nachdem sie versorgt waren, nahmen die Frauen und Kinder rund um die sofrah auf dem Fußboden Platz und fingen zu essen an.

Als später die sofrah wieder fortgeräumt und das Geschirr in die Küche gebracht worden war, als es nun galt, Tee zuzubereiten und sich daran zu erinnern, wer grünen beziehungsweise schwarzen Tee bevorzugte, nickte Tarik Laila mit dem Kopf zu und schlüpfte durch die Tür nach draußen.

Laila wartete fünf Minuten und folgte dann.

Sie fand ihn weiter unten auf der Straße, wo er neben der Mündung einer engen Gasse an der Mauer lehnte. Er summte ein altes paschtunisches Lied von Ustad Awal Mir:

Da ze ma ziba watan, da ze ma dada watan. Dies ist unser schönes Land, dies ist unser geliebtes Land.

Und er rauchte — auch das eine neue Angewohnheit, die er von den Jungs übernommen hatte, mit denen er in letzter Zeit häufig zusammen war. Laila konnte sie nicht leiden, seine neuen Freunde. Sie alle trugen Bundfaltenhosen und enge Hemden, die ihre Schultern und Arme betonten. Außerdem rochen alle nach Eau de Cologne. Und sie rauchten, ausnahmslos. In Gruppen stolzierten sie durch die Nachbarschaft, alberten herum, lachten laut und riefen den Mädchen nach, wobei sie samt und sonders das gleiche dümmliche, selbstgefällige Grinsen im Gesicht trugen. Einer von ihnen hielt sich anscheinend für ein Double von Sylvester Stallone und bestand darauf, Rambo genannt zu werden.

»Deine Mutter würde dir die Hölle heiß machen, wenn sie dich rauchen sähe«, sagte Laila. Sie schaute sich nach allen Seiten um und trat in die Gasse.

»Davon erfährt sie nichts«, entgegnete er und rückte zur Seite, um ihr Platz zu machen.

»Vielleicht doch.«

»Von wem? Von dir vielleicht?«

Laila scharrte mit dem Fuß. »Sprich deine Geheimnisse in den Wind, aber mach ihm keinen Vorwurf, wenn er sie den Bäumen weitererzählt.«

Tarik lächelte und hob die linke Braue. »Wer hat das gesagt?«

»Khalil Gibran.«

»Angeberin.«

»Gib mir auch eine.«

Er schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch das gehörte zum Repertoire seiner neuen Posen: mit dem Rücken an eine Wand gelehnt, die Arme verschränkt, eine Zigarette im Mundwinkel und das gesunde Bein lässig angewinkelt.

»Warum nicht?«

»Ist schlecht für dich«, antwortete er.

»Für dich nicht?«

»Ich tu’s, um den Mädchen zu gefallen.«

»Welchen Mädchen?«

Er grinste. »Sie finden es sexy.«

»Von wegen.«

»Nein?«

»Glaub mir.«

»Nicht sexy?«

»Du siehst aus wie ein khila, ein Schwachkopf.«

»Das tut weh«, sagte er.

»Von welchen Mädchen sprichst du?«

»Eifersüchtig?«

»Nur neugierig.«

Er paffte und blinzelte durch den Rauch. »Ich wette, man zerreißt sich gerade über uns das Maul.«

Laila dachte an die Mahnung ihrer Mutter. Wie ein Beo in geschlossener Hand. Wenn du sie auch nur ein klein wenig öffnest, fliegt er davon. Sie beschlich ein ungutes Gefühl. Laila blendete Mamis Stimme aus. Stattdessen weidete sie sich an Tariks Formulierung des Wörtchens uns. Er hatte es ganz beiläufig und wie selbstverständlich verwendet und damit ihre Verbundenheit bestätigt.

»Und was werden sie über uns sagen?«

»Dass wir auf dem Fluss der Sünde paddeln«, antwortete er. »Vom Kuchen der Untugend naschen.«

»Mit der Rikscha des Verderbens fahren?«, stimmte Laila mit ein.

»Ein Frevel-qurma kochen.«

Beide lachten. Dann bemerkte Tarik, dass ihr Haar länger geworden sei. »Ist hübsch so«, sagte er.

Laila hoffte, nicht rot zu werden. »Du lenkst ab.«

»Wovon?«

»Von den hirnlosen Mädchen, die dich sexy finden.«

»Du weißt es doch.«

»Was weiß ich?«

»Dass ich nur Augen für dich habe.«

Ihr wurde schwummrig. Sie versuchte, seine Miene zu lesen, sah aber nur ein albernes Grinsen, das so gar nicht zum Ausdruck seiner Augen zu passen schien. Ein cleverer Blick, genau abgezirkelt zwischen Spott und Ernsthaftigkeit.

Tarik drückte den Stummel unter dem Absatz des gesunden Fußes aus. »Was hältst du von alledem?«

»Von der Party?«

»Wer ist jetzt der Schwachkopf von uns beiden? Ich meine die Mudschaheddin. Ihren Einzug in Kabul.«

»Oh.«

Sie wollte gerade berichten, was Babi über die gefährliche Ehe zwischen Gewehren und Eigensinn gesagt hatte, als plötzlich Schreie laut wurden, die vom Haus ihrer Eltern kamen.

Laila rannte los. Tarik hinkte hinterher.

Im Hof herrschte helle Aufregung. Zwei Männer wälzten sich ringend am Boden. In dem einen erkannte Laila einen der Männer wieder, die zuvor miteinander über Politik diskutiert hatten. Der andere war derjenige, der die Kebabspieße gewendet hatte. Einer von ihnen hielt ein Messer in der Hand. Mehrere Männer versuchten, die beiden auseinanderzubringen. Babi war nicht dabei. Er hielt sich in sicherer Entfernung vor der Hofmauer auf. Tariks Vater, der neben ihm stand, hatte Tränen im Gesicht.

Aus den aufgebrachten Kommentaren ringsum machte sich Laila ihren Reim: Der eine, ein Paschtune, hatte Ahmad Schah Massoud einen Verräter genannt und ihm vorgeworfen, in den achtziger Jahren mit den Sowjets »krumme Geschäfte« getrieben zu haben. Der andere, ein Tadschike, hatte Anstoß daran genommen und die Zurücknahme der Behauptung verlangt. Der Paschtune weigerte sich, worauf der Tadschike sagte, dass, wenn Massoud nicht gewesen wäre, seine Schwester — die des anderen — immer noch den sowjetischen Soldaten »zu Gefallen« sein musste. Und dann war es rundgegangen. Einer von ihnen hatte ein Messer gezogen; wer von beiden, war nicht klar.