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»Sei’s drum«, sagte er schließlich und trommelte sich mit den Fingern auf den Bauch. »Mir kann man keinen Vorwurf machen. Ich bin ein verheirateter Mann, und als solcher mache ich mir meine eigenen Gedanken. Nur gut, dass er tot ist. Denn wenn er jetzt hier wäre, wenn ich ihn zu fassen bekäme…« Er saugte an seinen Zähnen und schüttelte den Kopf.

»Ich dachte, man sollte nicht schlecht über Tote reden.«

»Manche können gar nicht tot genug sein«, entgegnete er.

Zwei Tage später fand Laila, als sie aus dem Bett gestiegen war, einen Stapel sorgfältig gefalteter Kinderkleider vor der Schlafzimmertür: ein glockenförmiges Röckchen mit kleinen aufgenähten rosafarbenen Fischen, ein blaues, blumig gemustertes Wollkleid, dazu passende Socken und Handschuhe, ein gelbes Nachthemd mit orangefarbenen Punkten und eine grüne Baumwollhose mit gepunkteten Aufschlägen.

»Es heißt, dass sich Dostum auf die Seite Hekmatyars schlagen will«, sagte Raschid eines Abends bei Tisch. Von Aziza und ihrem neuen Nachthemd nahm er keinerlei Notiz. »Massoud wird alle Hände voll zu tun haben, wenn die beiden geschlossen gegen ihn antreten. Und dann dürfen wir die Hazaras nicht vergessen.« Er nahm einen Löffel von dem Pfirsichkompott, das Mariam im Sommer eingemacht hatte.

»Hoffen wir, dass es sich nur um ein Gerücht handelt. Denn wenn es wirklich dazu kommen sollte, wird das, was wir bislang erlebt haben, nur ein harmloses Vorgeplänkel gewesen sein«, sagte er und winkte bedeutungsvoll mit der Hand.

Später bestieg er Laila und erleichterte sich in stummer Hast, voll angezogen bis auf seinen tumban, den er bis auf die Fußgelenke heruntergezogen hatte. Als er fertig war, wälzte er sich zur Seite und war Minuten später eingeschlafen.

Laila schlich aus dem Schlafzimmer und fand Mariam in der Küche vor, wo sie am Boden hockte und zwei Forellen ausnahm. In einem Topf, der hinter ihr stand, wässerte Reis. Es roch nach Kreuzkümmel und Rauch, gerösteten Zwiebeln und Fisch.

Laila setzte sich in einer Ecke auf den Boden und streifte den Saum des Kleides über die Knie.

»Danke«, sagte sie.

Mariam beachtete sie nicht. Sie hatte gerade die erste Forelle ausgenommen und griff zur zweiten. Mit einem Sägemesser trennte sie die Flossen ab und schlitzte dann den Bauch vom Schwanz bis zum Kopf auf. Laila sah zu, wie sie den Daumen in das aufgeschnittene Maul steckte und mit einer geschickten Handbewegung die Kiemen und sämtliche Innereien entfernte.

»Die Sachen sind wunderschön.«

»Ich hatte keine Verwendung dafür«, murmelte Mariam. Sie legte den Fisch auf ein mit grauem klebrigem Saft verschmiertes Zeitungsblatt und trennte den Kopf ab. »Entweder sie kommen deiner Tochter oder den Motten zugute.«

»Wo hast du gelernt, Fische auszunehmen?«

»Ich habe als Kind am Ufer eines Flusses gelebt und schon früh damit angefangen, Fische zu fangen.«

»Das habe ich noch nie getan.«

»Ist nicht schwierig. Man muss nur Geduld haben.«

Mariam zerteilte den Fisch in drei Teile.

»Wann hast du die Kleider genäht?«, wollte Laila wissen.

Mariam wusch die Fischteile in einer Schale mit Wasser. »Als ich das erste Mal schwanger war. Vor achtzehn, neunzehn Jahren. Ich weiß es nicht mehr genau. Wie gesagt, ich hatte keine Verwendung dafür.«

»Du bist eine gute khayat. Vielleicht könntest du mir was beibringen.«

Mariam legte die gesäuberten Stücke in eine saubere Schüssel. Wasser tropfte von ihren Fingerspitzen, als sie den Kopf hob und Laila anschaute. Es war, als sähe sie sie zum ersten Mal.

»Damals, in der Nacht, als er… Mich hat noch nie jemand in Schutz genommen«, sagte sie.

Laila betrachtete die schlaffen Wangen, die in müde Falten eingebetteten Augenlider, die tiefen Linien unter den Mundwinkeln. Sie schien all dies erst jetzt zur Kenntnis zu nehmen. Und es war nicht das Gesicht einer Rivalin, das Laila sah, sondern eines, das von unaussprechlichem Kummer zeugte, von klaglos erduldeten Zumutungen und der Fügung in ein hartes Los. Würde sie selbst, so fragte sich Laila, in zwanzig Jahren genauso aussehen, wenn sie bliebe?

»Ich konnte es nicht zulassen«, sagte Laila. »Da, wo ich aufgewachsen bin, gab es solche Ausfälle nicht.«

»Aber jetzt lebst du hier und solltest dich daran gewöhnen.«

»Daran? Niemals.«

»Er wird sich auch an dir vergreifen«, sagte Mariam und wischte sich die Hände an einem Lappen trocken. »Und das schon bald. Selbst der frischeste Fisch riecht nach ein paar Tagen. Und du hast ihm eine Tochter gegeben. Das verzeiht er noch weniger als mein Missgeschick.«

Laila stand auf. »Es ist zwar kühl draußen, aber was hältst du davon, wenn wir zwei im Hof eine Tasse chai trinken?«

Mariam schaute sie verwundert an. »Das geht nicht. Ich muss noch die Bohnen schneiden und waschen.«

»Dabei helfe ich dir morgen.«

»Und ich möchte noch aufräumen.«

»Auch das können wir zusammen tun. Ist nicht noch was vom halwa übrig geblieben? Das wäre jetzt genau das Richtige zum chai.«

Mariam legte den Lappen auf die Anrichte. Sichtlich befangen zupfte sie an ihren Ärmeln, richtete ihre hijab und strich sich eine Strähne aus der Stirn.

»Die Chinesen sagen, dass man eher drei Tage aufs Essen verzichten kann als einen Tag auf Tee.«

Mariam lächelte matt. »Da könnte was dran sein.«

»So ist es.«

»Aber viel Zeit habe ich nicht.«

»Nur für eine Tasse.«

Sie gingen in den Hof, setzten sich auf Klappstühle und aßen mit den Fingern aus einer Schale halwa. Nach der zweiten Tasse schlug Laila vor, auch noch auf eine dritte zu bleiben, und Mariam stimmte zu. Von den Bergen hallte Gewehrfeuer. Wolken schoben sich vor den Mond, und die letzten Glühwürmchen schrieben helle gelbe Spuren in die Nacht. Irgendwann wachte Aziza auf und fing zu schreien an. Raschid brüllte von oben, Laila solle sofort kommen und sie zur Ruhe bringen. Die beiden Frauen sahen einander an. Es war ein unverstellter Blick, der zu verstehen gab, dass sie sich in ihrer Not verbunden fühlten. Dieser flüchtige, wortlose Austausch ließ keinen Zweifel mehr daran, dass ihre Feindschaft beigelegt war.

35

Mariam

In der Folgezeit besorgten Mariam und Laila den Haushalt gemeinsam. Sie saßen in der Küche und rollten Teig aus, schnitten Frühlingszwiebeln, hackten Knoblauch und gaben Aziza, die mit Löffeln klapperte, Gurkenstückchen zu naschen. Wenn sie sich im Hof aufhielten, lag Aziza warm angezogen und mit einem Wollschal um den Hals in einer Korbwiege. Mariam und Laila behielten sie im Auge, wenn sie Seite an Seite Hemden, Hosen und Windeln auf dem Waschbrett rieben.

Mariam gewöhnte sich allmählich an das vorsichtige, aber angenehme Miteinander. Dass sie nach getaner Arbeit mit Laila chai im Hof trank, wurde zu einem allabendlichen Ritual, auf das sie sich schon den ganzen Tag lang freute. Morgens wartete sie immer sehnsüchtig auf das Schlappen der durchgetretenen Latschen auf der Treppe, wenn Laila zum Frühstücken nach unten kam, und auf Azizas helles Lachen, den Anblick ihrer acht Zähnchen und den milchigen Duft ihrer Haut. Wenn Laila und Aziza länger im Bett blieben, wurde Mariam unruhig. Sie spülte dann Geschirr, das gar nicht gespült zu werden brauchte, ordnete die Sitzkissen im Wohnzimmer oder wischte Staub auf staubfreien Fensterbänken. Sie beschäftigte sich irgendwie, bis Laila endlich mit der Kleinen auf der Hüfte die Küche betrat.