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Das Haschisch war im Saum versteckt und fiel auf die Straße, als die Polizei mit einem Messer Nachforschungen anstellte.

Tarik lachte wieder, als er das sagte. Es war ein aufsteigendes, zittriges Lachen, das Laila noch von früher kannte und das immer dann von ihm zu hören gewesen war, wenn er versucht hatte, eine Dummheit wiedergutzumachen.

»Er hinkt«, sagte Zalmai.

»Ist es der, von dem ich glaube, dass er’s ist?«

»Er war nur zu Besuch«, antwortete Mariam.

»Du hältst dich da raus«, blaffte Raschid und drohte mit dem Finger. Und an Laila gewandt: »Na, wie sieht’s aus? Leila und Madschnun wieder vereint? Wie in alten Zeiten?« Sein Gesicht war wie versteinert. »Du hast ihn also hereingelassen. In mein Haus. Du hast ihm die Tür geöffnet. Er war hier mit meinem Sohn.«

»Du hast mich hinters Licht geführt, mich belogen«, entgegnete Laila mit Wut in der Stimme. »Du hast diesen Mann angeheuert… Du wusstest, dass ich dich verlassen würde, wenn ich hätte glauben können, dass er noch lebt.«

»Und du? Hast du mich etwa nicht belogen?«, brüllte Raschid. »Glaubst du, ich bin blind und sehe nicht, dass du mir einen harami ins Nest gelegt hast? Hältst du mich für einen Trottel, du Hure?«

Je länger Tarik sprach, desto mehr fürchtete Laila den Moment, wenn er zu reden aufhören würde. Denn dann wäre sie aufgefordert, Rechenschaft abzulegen und mit eigenen Worten zu erklären, was er wahrscheinlich schon wusste. Ihr schnürte sich jedes Mal das Herz zusammen, wenn er eine Pause einlegte. Sie wich seinen Blicken aus und betrachtete seine Hände, auf denen sich in den vergangenen Jahren dunkle Haare gebildet hatten.

Von der Zeit im Gefängnis erzählte Tarik kaum etwas; er erwähnte nur, dass er dort Urdu zu sprechen gelernt hatte. Als Laila mehr wissen wollte, zeigte er sich ungehalten und schüttelte den Kopf. In dieser Geste glaubte Laila, rostige Gitterstäbe und ungewaschene Körper erkennen zu können, gewalttätige Männer, überfüllte Korridore und Zellendecken voller Schimmel. Sie las seiner Miene ab, dass er unsägliche Erniedrigung und Verzweiflung hatte erleiden müssen.

Tarik sagte, seine Mutter habe versucht, ihn im Gefängnis zu besuchen.

»Sie ist dreimal gekommen, wurde aber jedes Mal abgewiesen«, berichtete er. »Die Wärter verlangten eine ›Besuchsgebühr‹, die wir nicht aufbringen konnten.«

Er hatte ihr Briefe geschrieben, obwohl er wusste, dass sie sie nicht erreichen würden.

»Auch dir habe ich geschrieben.«

»Wirklich?«

»Oh ja, Bände«, antwortete er. »Ergüsse, die deinen Freund Rumi vor Neid hätten erblassen lassen.« Er lachte wieder, lauthals diesmal, verblüfft, wie es schien, über seine Offenherzigkeit und zugleich verlegen.

Oben fing Zalmai zu plärren an.

»Also wie in alten Zeiten«, sagte Raschid später. »Ihr zwei. Schätze, du hast ihn dein Gesicht sehen lassen.«

»Ja«, sagte Zalmai. Und zu Laila: »Das hast du, Mami. Ich hab dich gesehen.«

»Dein Sohn hat nicht viel für mich übrig«, bemerkte Tarik, als Laila nach unten zurückgekehrt war.

»Tut mir leid«, sagte sie. »Das ist es nicht. Er hat bloß… Ach, was soll’s?« Laila schämte sich für das, was ihr über Zalmai zu sagen auf der Zunge lag; er war ja noch ein Kind, ein kleiner Junge, der seinen Vater liebte und eine durchaus verständliche Aversion gegen diesen Fremden hatte.

Auch dir habe ich geschrieben.

Bände.

»Wie lange wohnst du schon in Murree?«

»Noch nicht ganz ein Jahr«, antwortete Tarik.

Er habe sich im Gefängnis mit einem älteren Mann angefreundet, einem Pakistani namens Salim, der früher ein guter Feldhockeyspieler gewesen sei. Er hatte schon häufig wegen kleinerer Vergehen eingesessen, büßte jetzt aber zehn Jahre ab, weil er einen Informanten der Polizei niedergestochen hatte. Tarik erklärte, dass wohl jedes Gefängnis einen Mann wie Salim habe, jemanden, der sich auch hinter Gittern zu helfen wisse und gute Beziehungen unterhalte, der einem sehr gefährlich werden, aber auch nützlich sein könne. Dieser Salim hatte für Tarik Erkundigungen über seine Mutter einholen lassen und ihm schließlich mit väterlich sanfter Stimme beigebracht, dass sie an Unterkühlung gestorben sei.

Tarik hatte sieben Jahre im Gefängnis verbracht. »Damit bin ich glimpflich davongekommen«, sagte er. »Ich hatte Glück. Mein Richter war milde. Vielleicht lag’s daran, dass er eine afghanische Schwägerin hatte. Ich weiß es nicht.«

Nach Ablauf seiner Haft zu Beginn des Winters 2000 hatte Salim ihm die Adresse und Telefonnummer seines Bruders gegeben. Sein Name war Sajid.

»Er sagte, Sajid sei Besitzer eines kleinen Hotels in Murree. Mit zwanzig Zimmern und einer Lounge. Eine Touristenherberge. Ich sollte ihn aufsuchen und mich auf Salim berufen.«

Schon auf den ersten Blick war Tarik von Murree angetan gewesen, von den verschneiten Kiefern und der kalten, frischen Luft, den Holzhäusern mit ihren Fensterläden und Schornsteinen, aus denen der Rauch aufstieg.

Hier bin ich richtig, hatte Tarik gedacht und an Sajids Tür geklopft. Dieser Ort war Welten entfernt von dem Elend, das er hinter sich zurücklassen wollte. Allein der Gedanke an Not und Kummer schien ihm hier fehl am Platz zu sein.

»Ich dachte mir, das ist ein Ort, an dem ich was aus mir machen kann.«

Tarik wurde als Hausmeister angestellt, absolvierte eine einmonatige Probezeit, in der er zum halben Lohn arbeitete, und konnte sich, wie er sagte, bewähren. Während Tarik sprach, stellte sich Laila den Hotelbesitzer Sajid als einen Mann mit eng stehenden Augen und rötlichem Gesicht vor, der am Fenster in der Rezeptionshalle stand und Tarik beim Holzhacken und Schneeschaufeln zuschaute. Sie sah ihn über Tarik stehen, der unter einem Waschbecken am Boden lag und das undichte Abflussrohr reparierte, und sie sah, wie er in der Registrierkasse nachprüfte, ob womöglich Geld fehlte.

Er selbst, sagte Tarik, habe eine Hütte neben dem kleinen Bungalow der Köchin bezogen, einer matronenhaften alten Witwe namens Adiba. Beide Hütten gehörten zum Hotel, dessen Hauptgebäude von Mandelbäumen abgeschirmt wurde, unter denen im Sommer aus einem pyramidenförmigen Brunnen den ganzen Tag lang Wasser sprudelte. Laila malte sich aus, wie Tarik in seiner Hütte auf dem Bett hockte und durchs Fenster auf eine Welt voller Blüten und Blätter blickte.

Nach der Probezeit bezog Tarik das volle Gehalt. Darüber hinaus hatte er freie Kost und Logis. Sajid schenkte ihm sogar einen Wollmantel und versprach, ihm eine neue Prothese anpassen zu lassen. Tarik sagte, die Freundlichkeit dieses Mannes habe ihn zu Tränen gerührt.

Mit seinem ersten Monatslohn in der Tasche war Tarik auf den Markt gegangen, wo er Alyona erstanden hatte.

»Ihr Fell ist ganz und gar weiß«, sagte er lächelnd. »Wenn es in der Nacht geschneit hat und ich morgens aus dem Fenster schaue, sehe ich von ihr nur zwei Augen und die Nüstern.«

Laila nickte. Es wurde wieder still. Oben hatte Zalmai damit angefangen, seinen Ball gegen die Wand zu werfen.

»Ich dachte, du wärst tot«, flüsterte Laila.

»Ich weiß. Das sagtest du bereits.«

Ihr blieb die Stimme weg. Sie räusperte sich, nahm Haltung an. »Der Mann, der mir die Nachricht brachte, wirkte so ernst… Ich habe ihm geglaubt, Tarik. Leider. Wären mir doch Zweifel gekommen! Aber ich fühlte mich so allein und hatte schreckliche Angst. Sonst hätte ich nie eingewilligt, Raschid zu heiraten. Auf keinen Fall hätte ich…«