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Jammernd irrte Laila im Zimmer auf und ab. Mariam hockte neben Raschid am Boden, die Hände im Schoß, ruhig und ergeben. Sie gab keinen Laut von sich.

Laila zitterte am ganzen Leib. Ihr Mund war wie ausgetrocknet. Sie stammelte unzusammenhängende Worte vor sich hin und wagte es nicht, Raschid anzusehen, die klaffende Mundöffnung, die aufgerissenen Augen und das am Boden gerinnende Blut.

Draußen ging die Sonne unter; Schatten legten sich über den Hof. Im Halbdunkel wirkte Mariam verschwindend klein. Sie war abgespannt, zeigte aber keinerlei Erregung oder Furcht. Sie schien in Gedanken versunken und weit entrückt. Als sich ihr eine Fliege aufs Kinn setzte, schenkte sie ihr keine Beachtung. Die Unterlippe war nach vorn geschoben, wie immer, wenn sie grübelte.

Schließlich sagte sie: »Setz dich, Laila jo

Laila gehorchte.

»Wir müssen ihn fortschaffen. Zalmai soll ihn so nicht sehen.«

Mariam zog Raschid den Schlüssel zum Schlafzimmer aus der Tasche, bevor sie ihn mit Lailas Hilfe in ein Bettlaken einwickelte. Laila packte ihn bei den Kniekehlen, während Mariam die Arme unter seine Achseln schlang. Sie versuchten, ihn anzuheben, doch er war zu schwer, und so mussten sie ihn über den Boden schleifen. Als sie die Haustür passierten, blieb sein Fuß am Pfosten hängen, und sein Bein knickte zur Seite weg. Bei dem Versuch, den Leichnam über die Schwelle zu zerren, war oben ein Klopfen an der Schlafzimmertür zu hören. Lailas Knie wurden weich. Sie ließ Raschid fallen und ging schluchzend und zitternd zu Boden. Mariam stand über ihr, die Hände in die Hüften gestemmt, und sagte, dass sie sich zusammenreißen müsse. Was geschehen sei, sei geschehen.

Laila stand auf und wischte sich das Gesicht. Mit vereinten Kräften hievten die beiden Frauen Raschid über den Hof und versteckten ihn im Schuppen hinter der Werkbank, auf der seine Säge, ein paar Nägel, ein Stechbeitel, ein Hammer und ein zylindrischer Holzblock lagen, aus dem Raschid ein Spielzeug für Zalmai hatte schnitzen wollen, wozu er aber nicht gekommen war.

Die beiden gingen ins Haus zurück. Mariam wusch sich die Hände, fuhr mit den Fingern durchs Haar und holte tief Luft. »Lass dich jetzt verarzten. Du bist übel zugerichtet, Laila jo.«

Mariam sagte, sie müsse die Nacht über in sich gehen, ihre Gedanken sortieren und einen Plan fassen.

»Es gibt einen Ausweg«, murmelte sie. »Ich muss ihn nur finden.«

»Wir müssen fort. Wir können hier nicht bleiben«, entgegnete Laila mit gebrochener, heiserer Stimme. Sie stellte sich vor, wie es geklungen haben mochte, als die Schaufel auf seinem Kopf aufgetroffen war, und ihr drehte sich der Magen um.

Mariam wartete geduldig, bis es Laila wieder besser ging. Sie legte Lailas Kopf auf ihren Schoß, streichelte ihre Haare und sagte, sie solle sich keine Sorgen machen; alles werde gut werden. Sie stellte ihr in Aussicht, gemeinsam aufzubrechen, sie, Laila, die Kinder und auch Tarik. Sie würden dieses Haus, diese unversöhnliche Stadt und das elende Land hinter sich zurücklassen, versprach sie, und einen fernen, sicheren Ort aufsuchen, wo man sie nicht fände, wo sie mit ihrer Vergangenheit abschließen könnten und geborgen wären.

»Es wird dort Bäume geben«, sagte sie. »Ja, viele Bäume.«

Sie würden in einem kleinen Haus am Rand einer Stadt leben, von der sie noch nie gehört hätten, sagte Mariam; in einer entlegenen Ortschaft, durch die zwar nur eine enge, ungepflasterte Straße führe, doch sei diese von vielen verschiedenen Pflanzen und Sträuchern gesäumt. Vielleicht gebe es dort grüne Weiden, auf denen die Kinder spielen könnten, oder sogar einen klaren blauen See voller Forellen und mit Schilf an den Ufern. Sie würden Schafe und Hühner halten, gemeinsam Brot backen und den Kindern Lesen und Schreiben beibringen. Sie würden ein neues Leben beginnen, ein friedliches, abgeschiedenes Leben, befreit von aller erlittenen Not und beschenkt mit Glück und bescheidenem Wohlstand.

Laila stimmte ihr murmelnd zu. Es würde, wie sie voraussah, ein Leben voller Schwierigkeiten sein, die aber mit Freude und Stolz angenommen und wertgeschätzt werden könnten wie ein Familienerbe. Mariam sprach ihr mit sanfter, mütterlicher Stimme weiter Trost zu. »Es gibt einen Weg«, sagte sie, und morgen früh wolle sie erklären, was zu tun sei; vielleicht würden sie morgen um diese Zeit schon aufgebrochen sein und dieses neue Leben begonnen haben, ein Leben voller Möglichkeiten, Freude und willkommenen Schwierigkeiten. Laila war dankbar dafür, dass Mariam die Initiative übernommen hatte und sich im Stande wähnte, mit nüchtern klarem Blick für beide zu planen. Sie selbst war dafür viel zu durcheinander.

Mariam stand auf. »Du solltest dich jetzt um deinen Sohn kümmern«, sagte sie, und Laila sah erst jetzt in Mariams Gesicht, wie angeschlagen sie war.

Laila fand ihn zusammengerollt auf Raschids Bettseite liegen. Sie schlüpfte zu ihm unter die Decke.

»Bist du noch wach?«

Ohne ihr das Gesicht zuzuwenden, antwortete er: »Kann nicht schlafen. Baba jan hat noch nicht die Babalu-Gebete mit mir gesprochen.«

»Wie wär’s, wenn ich es heute täte?«

»Du kannst das nicht so wie er.«

Sie streichelte über seine kleine Schulter und drückte ihm einen Kuss in den Nacken. »Ich könnte es versuchen.«

»Wo ist Baba jan?«

»Baba jan ist weggegangen«, sagte Laila mit erstickender Stimme.

Die schreckliche Lüge war zum ersten Mal ausgesprochen. Wie oft würde sie davon noch Gebrauch zu machen haben, fragte sich Laila; wie oft würde sie Zalmai täuschen müssen? Sie dachte an die Jubelrufe des Kleinen und wie er auf seinen Vater zustürmte, wenn dieser von der Arbeit nach Hause kam, wie sein Vater ihn dann bei den Ellbogen fasste und herumwirbelte, bis die kleinen Beine waagerecht durch die Luft flogen, wie sie dann kicherten, wenn Zalmai anschließend wie betrunken durchs Zimmer torkelte. Sie dachte an die ausgelassenen Spiele der beiden, an ihr prustendes Lachen und die verschwörerischen Blicke.

Wegen ihres Sohnes empfand Laila tiefe Scham und Traurigkeit.

»Wohin ist er gegangen?«

»Ich weiß es nicht, mein Liebling.«

Wann Baba, jan wieder da wäre? Ob er ihm ein Geschenk mitbrächte, wenn er zurückkäme?

Sie betete mit Zalmai. Einundzwanzigmal Bismallah-erahman-e-rahim, abgezählt auf den Knöcheln von sieben Fingern. Sie sah, wie er die Hände vors Gesicht hielt, hineinblies, dann beide Handrücken auf die Stirn legte und zu einer wegwerfenden Geste flüsterte: »Geh weg, Babalu, komm nicht zu Zalmai, er hat nichts mit dir zu schaffen, geh weg, Babalu.« Zum Abschluss wiederholte er dreimal die Worte »Allah-u-akbar«.

Später in der Nacht schreckte Laila auf, geweckt von einer gehauchten Stimme: »Bin ich schuld, dass Baba jan gegangen ist? Ist er gegangen, weil ich das über dich und den Mann gesagt habe?«

Sie beugte sich über ihn, um ihm tröstend zu versichern, dass es nicht seine Schuld sei, doch Zalmai schlief, und seine kleine Brust ging auf und ab.

Beim Zubettgehen hatte Laila in ihrer Bestürzung keinen klaren Gedanken fassen können. Doch als der Muezzin zum Morgengebet rief, war ihr Verstand wieder wach.

Sie richtete sich auf und betrachtete für eine Weile den schlafenden Sohn, der sein Kinn auf den Handballen gebettet hatte. Wahrscheinlich, so dachte sie, war Mariam in der Nacht ins Zimmer geschlichen, hatte ihnen beim Schlafen zugeschaut und Pläne geschmiedet.

Laila erhob sich vom Bett. Ihr taten alle Knochen weh. Sie spürte die schmerzenden Spuren von Raschids Gürtelschnalle im Nacken, auf den Schultern und im Rücken, an Armen und Beinen. Stöhnend verließ sie das Schlafzimmer.