Und wie sie damals ihm erwidert hatte, sagte sie jetzt zu Thralclass="underline" »Ist nicht der Hauptunterschied, der uns von den Tieren trennt, der, dass wir unsere Natur ändern können? Immerhin gibt es Leute, die darüber diskutieren, ob die Natur der Orcs nicht das Sklavendasein ist...« Dann schüttelte Jaina den Kopf. »Wie auch immer, es gibt viele, die so denken wie du. Aber genau deshalb müssen Frauen auch immer doppelt so hart arbeiten wie Männer, um dieselbe Position zu erreichen. Und deshalb vertraue ich Lorena mehr als jedem anderen meiner Offiziere. Sie wird die Wahrheit herausfinden.«
Darauf warf Thrall seinen massigen Kopf zurück und lachte herzhaft. »Du bist eine unglaubliche Frau, Jaina Proudmoore. Du erinnerst mich daran, wie viel ich immer noch über die Menschen lernen muss, obwohl ich von ihnen aufgezogen wurde.«
»Wenn man bedenkt, wer dich aufgezogen hat, würde ich eher sagen, trotzdem du von ihnen aufgezogen wurdest.«
Thrall nickte. »Gut gekontert. Lass deinen weiblichen Oberst die Sache untersuchen. Wir reden wieder, wenn sie Ergebnisse vorzuweisen hat.« Er ging zur Strickleiter, die immer noch von dem schwebenden Luftschiff herabhing.
»Thrall.«
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Sie warf ihm den aufmunterndsten Blick zu, den sie überhaupt zu Stande brachte. »Wir werden dieses Bündnis nicht scheitern lassen, nicht wahr?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das werden wir nicht.« Dann erklomm er die Strickleiter.
Jaina murmelte eine Beschwörung in einer Sprache, die nur Magiern bekannt war. Dann atmete sie tief ein und aus. Ihr Magen fühlte sich an, als würde er durch ihre Nase herausgesaugt, als die Hügelkuppe, das Luftschiff, Thrall und Razor Hill sich verschoben und die Landschaft um sie herum sich veränderte, alles undeutlich und diesig wurde. Einen Moment später verschmolz alles zur gewohnten Umgebung ihrer Räume im obersten Stockwerk der Burg von Theramore.
Meist bevorzugte sie es, die Regierungsarbeit in diesem kleinen Raum mit einem Tisch und Tausenden von Schriftrollen zu erledigen, der Thronsaal war ihr dafür nicht halb so lieb. Jaina saß ungern auf dem Symbol ihrer Herrschaft. Selbst während der wöchentlichen Termine, wenn sie Bittsteller empfing, ging sie normalerweise vor dem peinlich großen Ding auf und ab, anstatt sich darauf zu setzen; sie benutzte den Raum insgesamt sehr selten. Diese Kammer hingegen war mehr wie Antonidas Studierzimmer, wo sie ihre besondere Kunst perfektioniert hatte, geprägt von einem unaufgeräumten Schreibtisch und schlecht sortierten Schriftrollen. Die Ähnlichkeit zu jener Stube von einst machte es zu einem Zuhause.
Etwas anderes, was es in der Kammer nicht gab, dafür aber im Thronsaal, war ein Fenster mit Aussicht. Jaina wusste, dass sie niemals ihre Arbeit mit Blick auf Theramore hätte erledigen können. Sie würde abwechselnd von den Wundern, die dort entstanden und der Furcht, für all das verantwortlich zu sein, abgelenkt werden.
Teleportieren war immer ein sehr intensiver, kräftezehrender Prozess. Und obwohl Jainas Training ihr inzwischen ermöglichte, unmittelbar nach Beendigung eines Sprungs kampfbereit zu sein, bevorzugte sie es doch, ein wenig Zeit zu haben, um sich zu erholen. Einen dieser Momente gönnte sie sich jetzt, Sekunden bevor sie nach ihrer Zofe rief.
»Duree!«
Die alte Witwe kam durch den Haupteingang. Die Kammer hatte drei Zugänge. Zwei kannte ein jeder, den, den Duree gerade benutzt hatte und den, der zu Gang und Treppe und Jainas Privaträumen führte. Der dritte war ein Geheimnis, gedacht als Fluchtweg. Nur sechs Personen wussten davon, und fünf davon waren jene Arbeiter, die ihn gebaut hatten.
Duree schaute wütend durch die Gläser ihrer Brille auf Jaina. »Kein Grund, so zu brüllen. Ich sitze direkt vor der Tür – wie immer. Wie ist Euer Treffen mit dem Orc verlaufen?«
Seufzend erinnerte Jaina sie nicht zum ersten Maclass="underline" »Sein Name ist Thrall.«
Duree fuchtelte so wild mit den Armen, dass die zierliche Frau fast das Gleichgewicht verloren hätte. Ihre Brille rutschte von ihrer Nase und baumelte an einem Band um ihren Hals. »Ich weiß, aber es ist ein so dummer Name. Ich meine, Orcs haben Namen wie Hellscream und Doomhammer und Drek'Than und Burx oder so was. Und er nennt sich Thrall? Welcher Orc mit etwas Selbstachtung würde sich denn so rufen lassen?«
Jaina erklärte nicht, dass Thrall mehr Selbstachtung hatte als jeder andere Orc, den sie kannte, weil dieser Hinweis die vorherigen hundert Male auch nicht in Durees Gedächtnis haften geblieben war. Stattdessen verbesserte sie: »Es heißt Drek'Thar, nicht Drek'Than.«
»Wie auch immer.« Duree pflanzte ihre Brille wieder auf die Nase. »Das sind gute Orc-Namen. Nicht Thrall. Doch egal, wie ist es gelaufen?«
»Wir haben ein Problem. Hol Kristoff. Und schick jemanden, der Oberst Lorena sucht und ihr sagt, dass sie einen Trupp zusammenstellen soll, der nach Northwatch reist und mir von dort berichtet. Sobald sie mit den Vorbereitungen fertig ist, will ich sie sehen.« Jaina saß an ihrem Tisch und begann die Schriftrollen zu sortieren. Auf diese Weise versuchte sie, die Schiffsberichte zu finden.
»Warum Lorena? Sollten nicht besser Lothar oder Pierce gehen? Jemand, der etwas weniger... ich weiß nicht... weiblich ist? Die in Northwatch sind ein rauer Haufen.«
Jaina fragte sich, ob sie diese Unterhaltung jedes Mal führen musste, wenn Lorenas Name fiel. »Lorena hat mehr Durchsetzungsvermögen als Lothar und Pierce zusammen. Sie wird das gut machen.«
Duree schmollte, ein jämmerlicher Anblick bei einer so alten Frau. »Es ist nicht richtig. Das Militär ist keine Frauenarbeit.«
Jaina gab es auf, nach den Schiffsberichten zu suchen und funkelte ihre Zofe an. »Das gilt auch für das Regieren einer Stadt.«
»Nun, das ist etwas anderes«, beteuerte Duree schwach.
»Warum?«
»Weil es eben so ist.«
Jaina schüttelte den Kopf. Drei Jahre, und Duree hatte immer noch keine bessere Antwort parat.
»Hol einfach Kristoff und schicke nach Lorena, bevor ich dich in einen Molch verwandele.«
»Wenn Ihr mich in einen Molch verwandelt, werdet Ihr nie wieder etwas in diesem Durcheinander finden.«
Jaina warf frustriert ihre Hände hoch und sagte: »Ich kann schon jetzt nichts finden. Wo sind diese verdammten Schiffsberichte?«
Lachend antwortete Duree: »Kristoff hat sie. Ich sage ihm, er soll sie mitbringen, wenn er vorbeikommt. Soll ich?«
»Bitte.«
Duree verbeugte sich, was ihre Brille dazu brachte, wieder abzurutschen. Dann verließ sie die Kammer. Jaina überlegte kurz, ob sie ihr einen Feuerball hinterherwerfen sollte. Dann entschied sie sich dagegen. Duree hatte Recht. Ohne sie hätte Jaina wirklich rein gar nichts gefunden.
Augenblicke später trat Kristoff ein, mehrere Schriftrollen in den Händen. »Duree hat gesagt, Ihr wolltet mich sprechen, Milady. Oder wolltet Ihr nur das hier?« Er zeigte auf die Dokumente.
»Eigentlich beides. Danke«, fügte sie hinzu, als sie ihm die Rollen abnahm.
Kristoff war Jainas Kämmerer. Während sie Theramore regierte, war Kristoff derjenige, der es verwaltete. Sein Talent für interne Details prädestinierte ihn für den Job und war eines der ersten Dinge gewesen, die Jaina davon abgehalten hatten, Amok zu laufen, als das Anführersein zum ersten Mal zu viel für ihre nicht sehr breiten Schultern geworden war. Er war vor dem Krieg Hochlord Garithos Verwalter gewesen und hatte da sein legendäres Organisationstalent unter Beweis gestellt.
Selbstverständlich hatte er keine Karriere innerhalb des Militärs gemacht. Dazu war er zu schwach. Kristoff war zwar groß, aber spindeldürr. Er wirkte fast so zerbrechlich wie Duree, die aber immerhin ihr hohes Alter als Entschuldigung hatte. Sein dunkles, etwas mehr als schulterlanges und glatt fallendes Haar umrahmte ein hageres Gesicht mit Adlernase. Ein Gesicht, das immer finster dreinzuschauen schien.