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Peter Goldsmith hatte sich nicht mit der Sozialversicherung begnügt; er hatte ihr schon früher nicht getraut, bevor das System unter Rezession, Inflation und ständig steigenden Arbeitslosenzahlen ins Wanken gekommen war. In den dreißiger und vierziger Jahren hatte es in Maine nicht viele Demokraten gegeben, erzählte er seiner lauschenden Tochter, aber ihr Großvater war einer gewesen, und ihr Großvater hatte, bei Gott, auch einen aus ihrem Vater gemacht. In den glorreichen Zeiten von Ogunquit waren die Goldsmiths deshalb gewissermaßen Parias gewesen. Aber sein Vater hatte ein Sprichwort gehabt, das so felsenfest war wie die Philosophie des störrischsten Republikaners in Maine: Verlaß dich nicht auf die Fürsten dieser Welt, denn sie hauen dich in die Pfanne, wie auch ihre Regierungen, bis ans Ende aller Tage.

Frannie gefiel es, wenn ihr Vater so erzählte. Er erzählte nicht oft so, denn die Frau, die seine Ehefrau und Frannies Mutter war, hatte seine Zunge mit dem Gift, das die ihre versprühte, fast zum Schweigen gebracht.

Man mußte auf sich selbst vertrauen, fuhr er fort, und die Fürsten dieser Welt, so gut sie konnten, mit den Leuten zurechtkommen lassen, die sie gewählt hatten. Meistens ging das nicht besonders gut, aber das machte nichts; sie verdienten einander.

»Bargeld ist die Lösung«, erzählte er Frannie. »Will Rogers sagt, Land ist die Lösung, weil das das einzige ist, wovon sie nicht mehr machen, aber das gilt auch für Gold und Silber. Ein Mann, der Geld liebt, ist ein Drecksack, den man hassen muß. Ein Mann, der nicht damit umgehen kann, ist ein Narr. Man haßt ihn nicht, aber man bemitleidet ihn.«

Fran fragte sich, ob er an den armen Paul Caron dachte, mit dem er schon vor ihrer Geburt befreundet gewesen war, beschloß aber, nicht zu fragen.

Jedenfalls mußte er ihr nicht sagen, daß er in den guten Jahren genügend auf die Seite gelegt hatte, daß sie zurechtkamen. Er sagte ihr aber, daß Fran ihnen nie eine Last gewesen war, weder in guten noch in schlechten Zeiten, und er erzählte seinen Freunden stolz, daß er ihr die Schulausbildung finanziert hatte. Wo sein Geld und ihr Grips nicht gereicht hatten, hatte sie es auf die altmodische Weise gemacht: indem sie den Rücken gekrümmt und die Möpse geschüttelt hatte. Man mußte arbeiten, hart arbeiten, wenn man das beschissene Landleben hinter sich lassen wollte. Ihre Mutter hatte das nicht immer verstanden. Veränderungen waren für die Frauen gekommen, ob sie den Frauen nun gefielen oder nicht, und Carla konnte kaum begreifen, daß Fran nicht nur deshalb zur Uni ging, um nach einem Ehemann zu suchen.

»Und jetzt muß sie erleben, daß Amy Lauder heiratet«, sagte Peter, »und sie denkt: >Das müßte meine Fran sein. Amy ist hübsch, aber wenn man meine Fran daneben stellt, sieht Amy wie eine alte gesprungene Schüssel aus.< Deine Mutter hat sich ihr ganzes Leben lang an alte Vorstellungen geklammert, und die kann sie nicht mehr überwinden. Das ist der Grund, warum ihr beiden von Zeit zu Zeit aneinandergeratet, daß die Fetzen fliegen. Keinen trifft Schuld. Du mußt nur eines bedenken, Fran; sie ist zu alt, sich noch zu ändern, und du wirst allmählich alt genug, das einzusehen.«

Danach plapperte er wieder von seiner Arbeit, erzählte ihr, wie ein Kollege fast den Daumen in einer kleinen Stanzmaschine verloren hatte, weil er mit den Gedanken in der Spielhalle war, während er den Daumen unter der Stanze hatte. Zum Glück hatte Lester Crowley ihn noch rechtzeitig weggezogen. Aber, fügte er hinzu, eines Tages würde Lester Crowley nicht mehr da sein. Er seufzte, als wäre ihm eingefallen, daß er bald auch nicht mehr da sein würde, und dann strahlte er und erzählte ihr von einem Einfall, wie man die Autoantenne im Chrom der Motorhaube verstecken könnte.

Seine Stimme wechselte von Thema zu Thema, sanft und beruhigend. Ihre Schatten wurden immer länger und gingen ihnen die Reihen entlang voraus. Sie ließ sich einlullen, wie immer. Sie war hergekommen, um etwas zu erzählen, aber wie seit frühester Kindheit hörte sie doch wieder nur zu. Nicht, daß er sie langweilte. Soweit sie wußte, langweilte er niemanden, außer vielleicht ihre Mutter. Er war der geborene Geschichtenerzähler.

Sie merkte, daß er aufgehört hatte zu reden. Er saß auf einem Stein am Ende seiner Reihe, stopfte die Pfeife und sah sie an.

»Was hast du denn auf dem Herzen, Frannie?« fragte er. Sie sah ihn einen Augenblick benommen an und wußte nicht, wie sie anfangen sollte. Sie war hergekommen, um es ihm zu erzählen, und jetzt war sie nicht sicher, ob sie es fertigbringen würde. Das Schweigen zwischen ihnen wurde immer größer, zuletzt war es ein Abgrund, den sie nicht ertragen konnte. Sie sprang.

»Ich bin schwanger«, sagte sie einfach.

Er hörte auf, sich die Pfeife zu stopfen, und sah sie nur an.

»Schwanger«, sagte er, als hätte er das Wort noch nie gehört. Dann sagte er: »O Frannie... ist das ein Witz? Oder ein Spiel?«

»Nein, Daddy.«

»Komm her und setz dich zu mir.«

Gehorsam ging sie die Reihe entlang und setzte sich neben ihn. Eine Steinmauer trennte ihr Grundstück vom Gemeindeland nebenan. Hinter der Mauer war eine dichte, duftende Hecke, die auf höchst anmutige Art verwildert war. Fran hatte Kopfschmerzen und ein mulmiges Gefühl im Magen.

»Wirklich?« fragte er sie.

»Wirklich«, sagte sie, und dann fing sie an zu weinen - nicht gekünstelt, sie konnte einfach nicht anders -, ein gewaltiges, schüttelndes Schluchzen. Er legte einen Arm um sie und hielt sie scheinbar sehr lange fest. Als die Tränen allmählich versiegten, stellte sie die Frage, die sie am meisten gequält hatte.

»Daddy, magst du mich jetzt noch?«

»Was?« Er sah sie erstaunt an. »Ja. Ich mag dich sogar noch sehr, Frannie.«

Das brachte sie wieder zum Weinen, aber diesmal ließ er sie allein damit fertig werden, während er seine Pfeife anzündete. Borkum Riff verwehte langsam in der leichten Brise.

»Bist du enttäuscht?« fragte sie.

»Ich weiß nicht. Ich hatte noch nie eine schwangere Tochter und weiß nicht, wie ich es aufnehmen soll. War es dieser Jess?«

Sie nickte.

»Hast du es ihm gesagt?«

Sie nickte wieder.

»Was hat er gesagt?«

»Er hat gesagt, er würde mich heiraten. Oder die Abtreibung bezahlen.«

»Heirat oder Abtreibung«, sagte Peter Goldsmith und sog an der Pfeife. »Der Junge fährt richtig zweigleisig.«

Sie blickte auf ihre Hände, die sie gespreizt auf die Jeans gelegt hatte. In den kleinen Falten an den Knöcheln und unter den Fingernägeln war Erde. Eine Dame erkennt man an ihren Händen, sagte ihre Mutter im Geiste. Eine schwangere Tochter. Ich werde aus der Kirche austreten müssen. Eine Dame erkennt man... Ihr Vater sagte: »Ich will nicht persönlicher werden als unbedingt nötig, aber war er... oder warst du... nicht vorsichtig?«

»Ich habe die Pille genommen«, sagte sie. »Hat aber nicht funktioniert.«

»Dann kann ich keine Schuld zuweisen, höchstens beiden«, sagte er und blickte sie eingehend an. »Und das kann ich schon gar nicht. Mit vierundsechzig vergißt man leicht, wie es mit einundzwanzig war. Von Schuld wollen wir nicht reden.«

Sie fühlte sich so erleichtert, daß ihr fast schwindlig wurde.

»Deine Mutter wird eine Menge über Schuld zu sagen haben«, sagte er, »und ich werde sie nicht daran hindern, aber ich stehe nicht auf ihrer Seite. Hast du das verstanden?«