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Dieser Gedanke fuhr ihm wie ein Nagel tief ins Gehirn, und Vic rappelte sich hoch, damit er die Tür besser sehen konnte. Ja, es stimmte. Es stimmte eindeutig. Eine Stahltür. Warum war er im Krankenhaus hinter einer Stahltür? Was war passiert? Lag er wirklich im Sterben? Sollte er sich besser Gedanken machen, wie er vor seinen Schöpfer treten wolle? Herrgott, was war nur passiert? Er bemühte sich verzweifelt, den grauen Nebelvorhang zu durchdringen, aber es kamen nur Stimmen durch, ferne Stimmen, denen er keine Namen zuordnen konnte.

Ich will euch mal was sagen... sie müssen einfach sagen, scheiß auf die Inflation...

Schalt lieber deine Zapfsäulen ab, Hap.

(Hap? Bill Hapscomb? Wer war das? Ich kenne diesen Namen)

Schockschwerenot...

Ja, sie sind tot.

Gib mir die Hand, ich zieh' dich da unten raus...

Gib mir die Comics Vic du hast sie...

In diesem Augenblick sank die Sonne so weit unter den Horizont, daß ein lichtaktivierter (oder in diesem Fall, ein durch Fehlen von Licht aktivierter) Schalter einrastete. In Vics Zimmer gingen die Lichter an. Als es im Zimmer hell wurde, sah er die Reihe Gesichter, die ihn ernst hinter zwei Schichten Glas betrachteten, und er schrie, weil er zuerst dachte, sie hätten die Unterhaltung in seinem Kopf geführt. Eine der Gestalten, ein wie ein Arzt weißgekleideter Mann, gestikulierte hektisch mit jemandem außerhalb von Vics Gesichtsfeld, aber Vic hatte die Angst bereits überwunden. Er war zu schwach, um lange Angst zu haben. Doch die plötzliche Furcht, die mit dem aufflammenden Eicht und der Vision gaffender Gesichter gekommen war (die im Krankenhausweiß wie Geister-Geschworene wirkten), hatte einen Teil der Sperre in seinem Denken eingerissen, und er wußte jetzt, wo er war. Atlanta. Atlanta, Georgia. Sie waren gekommen und hatten ihn geholt - ihn und Hap und Norm und Norms Frau und Kinder. Sie hatten Hank Carmichael geholt. Stu Redman. Gott allein wußte, wie viele andere. Vic war ängstlich und erbost gewesen. Klar, er hatte Schnupfen und Niesen, aber auf gar keinen Fall Cholera oder was immer Campion, der arme Teufel, und seine Familie gehabt hatten. Leichtes Fieber hatte er auch gehabt, und jetzt fiel ihm wieder ein, daß Norm Bruett gestolpert war und die Stufen zum Flugzeug nur mit fremder Hilfe hinauf konnte. Seine Frau hatte Angst gehabt und geweint, und der kleine Billy Bruett hatte auch geweint - geweint und gehustet. Ein rauhes, sämiges Husten. Das Flugzeug hatte auf der kleinen Startbahn außerhalb von Braintree gewartet, aber um die Stadtgrenze von Arnette verlassen zu können, mußten sie durch eine Straßensperre an der US 93, wo Männer Stacheldraht gezogen hatten... Stacheldraht in die verfluchte Wüste hinaus...

Über der seltsamen Tür ging ein rotes Eicht an. Ein Zischen, dann Geräusche wie von einer laufenden Pumpe. Als diese Geräusche verstummten, ging die Tür auf. Der Mann, der hereinkam, trug einen klobigen weißen Druckanzug mit transparenter Gesichtsplatte. Hinter dieser Gesichtsplatte nickte der Kopf des Mannes wie ein Ballon in einer Kapsel. Er hatte Druckflaschen auf dem Rücken, und seine Stimme klang metallisch und alles andere als menschlich. Es hätte eine Stimme aus einem Videospiel sein können, wie zum Beispiel diejenige, die sagte: »Versuch's noch mal, Weltraumkadett«, wenn man seinen letzten Versuch versaut hatte.

Sie schepperte: »Wie geht es Ihnen, Mr. Palfrey?«

Aber Vic konnte nicht antworten. Vic war wieder in die grünen Tiefen weggetaucht. Er sah seine Mama hinter dem Visier des weißen Anzugs. Mama hatte auch Weiß getragen, als Papa ihn und George zum letzten Mal mit zu ihr ins Sanat orium genommen hatte. Sie hatte ins Sanatorium gemußt, damit nicht die ganze Familie bekam, was sie hatte. TB war ansteckend. Man konnte sterben.

Er sprach mit seiner Mama... sagte, er würde lieb sein und das Pferd reinbringen... sagte ihr, daß George ihm die Sonntagsbeilage mit den Comics weggenommen hatte... fragte sie, ob es ihr besser ging... fragte sie, ob sie bald wieder nach Hause kommen würde... und der Mann im weißen Anzug gab ihm eine Spritze, und er sank tiefer hinab, und seine Worte wurden unverständlich. Der Mann im weißen Anzug betrachtete die Gesichter hinter der Glasscheibe und schüttelte den Kopf.

Er drückte mit dem Kinn den Knopf der Sprechanlage in seinem Helm und sagte: »Wenn das nicht hilft, ist er um Mitternacht tot.«

Für Vic Palfrey war die magische Stunde vorbei.

»Bitte krempeln Sie den Ärmel hoch, Mr. Redman«, sagte die hübsche dunkelhaarige Schwester. »Es dauert nicht lange.« Sie hatte Handschuhe an und hielt den Blutdruckmesser. Sie lächelte hinter der Plastikmaske, als teilten sie beide ein amüsantes Geheimnis.

»Nein«, sagte Stu.

Das Lächeln wurde ein wenig unsicher. »Nur den Blutdruck. Es dauert höchstens eine Minute.«

»Nein.«

»Anweisungen des Arztes«, sagte sie und wurde sachlich. »Bitte.«

»Wenn es eine Anweisung des Arztes ist, will ich den Arzt sprechen.«

»Tut mir leid, der ist beschäftigt. Wenn Sie bitte...«

»Ich warte«, sagte Stu gleichmütig und machte keine Anstalten, die Manschette des Hemdsärmels aufzuknöpfen.

»Ich mache nur meine Arbeit. Wollen Sie denn, daß ich Schwierigkeiten bekomme ?« Sie schenkte ihm den Rest ihres bezaubernden Lächelns. » Lassen Sie mich nur...«

»Nein«, sagte Stu. »Gehen Sie, und sagen Sie es ihnen. Sie werden jemand schicken.«

Mit einem besorgten Blick trat die Schwester zur Stahltür und drehte einen Vierkantschlüssel im Schloß. Die Pumpe sprang an, die Tür öffnete sich zischend, die Schwester trat hinaus. Bevor sie die Tür wieder schloß, sah sie Stu vorwurfsvoll an. Stu erwiderte den Blick freundlich.

Als die Tür zu war, stand er auf und trat unruhig ans Fenster - Doppelscheiben, außen vergittert -, aber es war schon dunkel, und er konnte nichts erkennen. Er ging zurück und setzte sich. Er trug verblichene Jeans, ein kariertes Hemd und braune Stiefel, bei denen die Seitennähte sich wölbten. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und zog eine mißbilligende Grimasse, als er die Stoppeln spürte. Man gestattete ihm nicht, sich zu rasieren, und sein Bart wuchs schnell.

Gegen die Tests selbst hatte er nichts einzuwenden. Er hatte etwas dagegen, daß sie ihn im unklaren, in Angst, ließen. Er war nicht krank, jedenfalls noch nicht, aber er hatte Angst. Hier ging irgend etwas vor sich, und er wollte erst wieder mitspielen, wenn ihm jemand sagte, was in Arnette geschehen war und was dieser Campion damit zu tun hatte. Dann hätte er wenigstens einen vernünftigen Grund für seine Angst.

Sie hatten schon früher damit gerechnet, daß er fragen würde, er hatte es in ihren Augen gesehen. Im Krankenhaus hat man gewisse Methoden, einem etwas zu verheimlichen. Vor vier Jahren war seine Frau mit siebenunddreißig Jahren an Krebs gestorben, der in der Gebärmutter angefangen und sich rasch über den ganzen Körper ausgebreitet hatte, wie ein Waldbrand, und Stu hatte miterlebt, wie die Ärzte ihren Fragen auswichen, indem sie entweder das Thema wechselten oder ihr die Informationen nur in unverständlichem Fachlatein gaben. Deshalb hatte er einfach nicht gefragt und gemerkt, daß es den Leuten hier Sorgen machte. Aber jetzt war es Zeit, Fragen zu stellen, und er würde Antworten bekommen. In leicht verständlichen Worten.

Einige Lücken konnte er selbst ausfüllen. Campion, dessen Frau und dessen Tochter hatten etwas ziemlich Böses gehabt. Es befiel einen wie Grippe oder eine Sommererkältung, nur daß es immer schlimmer wurde, vermutlich bis man an seinem eigenen Rotz erstickte oder einen das Fieber verbrannte. Es war außerordentlich ansteckend.

Sie hatten ihn am Nachmittag des Siebzehnten geholt, vor zwei Tagen. Vier Männer von der Armee und ein Arzt. Höflich, aber bestimmt. Eine Weigerung stand außer Frage; alle vier Soldaten waren bewaffnet gewesen. Da hatte Stu Redman es echt mit der Angst zu tun bekommen.