»Ich bin nicht in der Klemme«, sagte er gekränkt.
»O doch. Ich kenne die Zeichen. Ich bin schon ziemlich lange deine Mutter, mir kannst du nichts vormachen, Larry. Du hast immer nach Ärger gesucht, wenn er dir nicht von selbst über den Weg gelaufen ist. Manchmal denke ich, du mußt nur über die Straße gehen und trittst in Hundescheiße. Gott wird mir verzeihen, daß ich das sage, denn Gott weiß, es ist wahr. Bin ich böse? Nein. Bin ich enttäuscht? Ja. Ich habe gehofft, du würdest dich da draußen ändern. Das hast du nicht. Du bist als kleiner Junge im Körper eines Mannes weggegangen, und du bist genauso zurückgekommen, nur hat sich der Mann Locken ins Haar drehen lassen. Willst du wissen, warum du meiner Meinung nach heimgekommen bist?«
Er sah sie an und wollte etwas sagen, wußte aber, das einzige, was er sagen konnte, würde sie beide wütend machen: Nicht weinen, Mom, hm?
»Ich glaube, du bist heimgekommen, weil du nicht gewußt hast, wohin du sonst gehen sollst. Du hast nicht gewußt, wer dich aufnehmen würde. Ich habe nie zu jemandem ein schlechtes Wort über dich gesagt, Larry, nicht einmal zu meiner Schwester, aber da du mich dazu treibst, will ich dir einmal ganz genau sagen, was ich von dir halte. Ich glaube, du bist ein Egoist, du nimmst nur. Schon immer. Als hätte Gott einen Teil von dir weggelassen, als er dich in mir hat wachsen lassen. Du bist nicht schlecht, das habe ich nicht gemeint. Wenn Schlechtes in dir wäre, dann wärst du in manchen Gegenden, wo wir nach dem Tod deines Vaters leben mußten, schlecht geworden, weiß Gott. Ich glaube, das Schlimmste, wobei ich dich je erwischt habe, war, daß du in dem Haus in der Carstairs Avenue in Queens ein sehr häßliches Wort an die Treppenhauswand geschrieben hast. Kannst du dich daran erinnern?«
Er erinnerte sich. Sie hatte ihm eben dieses Wort mit Kreide auf die Stirn geschrieben und ihn dann gezwungen, dreimal so mit ihr um den Block zu gehen. Er hatte dieses Wort, und auch kein anderes, nie wieder an eine Hauswand oder Mauer geschrieben.
»Das Schlimmste ist, Larry, du meinst es gut. Manchmal denke ich, es wäre beinahe eine Gnade, wenn du richtig schlecht wärst. So scheinst du selbst zu wissen, was nicht stimmt, aber nicht, wie du es ändern sollst. Und ich weiß es auch nicht. Als du klein warst, habe ich alles versucht. Dieses Wort auf deine Stirn zu schreiben, das war nur eines... und da war ich schon ziemlich verzweifelt, sonst hätte ich dir nie so etwas Gemeines angetan. Du bist ein Egoist, das ist alles. Du nimmst. Du bist zu mir gekommen, weil du gewußt hast, daß ich geben muß. Nicht jedem, aber dir.«
»Ich ziehe aus«, sagte er, und jedes Wort war, als würde er einen trockenen Ballen Fusselchen ausspucken. »Heute nachmittag.«
Dann fiel ihm ein, daß er es sich wahrscheinlich nicht leisten konnte auszuziehen, jedenfalls nicht, bis Wayne ihm den nächsten Tantiemenscheck schickte - oder was noch davon übrig war, wenn er die gierigsten Bluthunde in L.A. gefüttert hatte. Was momentane Kosten betraf, da war die Miete für den Parkplatz des Datsun Z und eine stattliche Summe, die er bis Freitag wegschicken mußte, wenn er nicht wollte, daß der nette Gerichtsvollzieher von nebenan nach ihm suchen kam, und das wollte er nicht. Nach dem gestrigen Abend, der so unbeschwert mit Buddy und seiner Verlobten und dieser Mundhygienikerin, die die Verlobte kannte, angefangen hatte - ein nettes Mädchen aus der Bronx, Larry, du wirst sie mögen, humorvoll -, war er ziemlich knapp an Bargeld. Nein. Um genau zu sein, er war vollkommen pleite. Der Gedanke erfüllte ihn mit Panik. Wenn er jetzt aus der Wohnung seiner Mutter auszog, wo sollte er hingehen? Ein Hotel? Der Portier jedes Hotels, das besser als eine Absteige war, würde sich totlachen und ihm sagen, er solle sich verpissen. Er hatte zwar gute Sachen an, aber sie würden es wissen. Irgendwie wußten diese Dreckskerle es immer. Sie konnten eine leere Brieftasche riechen.
»Geh nicht«, sagte sie leise. »Ich möchte nicht, daß du gehst, Larry. Ich hab' ein paar gute Sachen zum Essen gekauft. Hast du vielleicht gesehen. Und ich habe gehofft, wir könnten heute abend vielleicht Gin Romme spielen.«
»Ma, du kannst nicht Romme spielen«, sagte er und lächelte verhalten.
»Ein Penny pro Punkt, und ich schlachte einen Bengel wie dich.«
»Wenn ich dir vielleicht vierhundert Punkte Vorsprung gebe...«
»Hör sich einer den Jungen an«, spöttelte sie leise. »Vielleicht wenn ich dir vierhundert gebe. Bleib, Larry. Was meinst du?«
»Also gut«, sagte er. Er fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag gut, wirklich gut. Eine leise Stimme in ihm flüsterte, daß er schon wieder nahm, immer noch der alte Larry, reist immer umsonst, aber er hörte gar nicht darauf. Immerhin war das seine Mutter, und sie hatte ihn ja darum gebeten. Richtig, sie hatte ein paar ziemlich harte Sachen gesagt, bis sie gefragt hatte, aber sie hatte gefragt, richtig oder falsch? »Ich will dir was sagen. Ich bezahle die Eintrittskarten für den vierten Juli. Das kommt auf jeden Fall raus, wenn ich dir heute abend die Haut abziehe.«
»Du könntest nicht mal einer Tomate die Haut abziehen«, sagte sie liebenswürdig und wandte sich wieder dem Regal zu. »Am Ende des Flurs ist eine Herrentoilette. Wasch dir doch das Blut von der Stirn. Und dann nimm dir zehn Dollar aus meiner Handtasche und geh ins Kino. Auf der Third Avenue gibt es noch ein paar ganz gute Kinos. Aber bleib von den Schweinereien Ecke Forty-Ninth und Broadway weg.«
»Ich geb' dir bald Geld«, sagte Larry. »Diese Woche ist die Platte auf Platz achtzehn der Billboard-Charts. Ich habe es im Sam Goody's nachgelesen.«
»Wie schön. Aber wenn du so reich bist, warum hast du dir dann keins gekauft, statt nur reinzusehen?«
Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals. Er räusperte sich, bekam ihn aber nicht weg.
'»Ach, vergiß es«, sagte sie. »Meine Zunge ist wie ein launisches Pferd. Manchmal geht sie durch, und dann muß sie einfach laufen, bis sie müde ist. Du kennst das ja. Nimm fünfzehn, Larry. Betrachte es als Darlehen. Ich denke, ich bekomme es zurück - so oder so.«
»Du bekommst es«, sagte er. Er kam zu ihr und zupfte am Saum ihres Kleides wie ein kleiner Junge. Sie sah nach unten. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte sie auf die Wange. »Ich hab' dich lieb, Ma.«
Sie sah verblüfft aus. Nicht wegen des Kusses, sondern entweder wegen seiner Worte oder des Tonfalls, in dem er sie ausgesprochen hatte. »Aber das weiß ich doch, Larry«, sagte sie.
»Was du gesagt hast. Daß ich in der Klemme stecke. Schon, ein wenig, aber es ist nicht...«
Ihre Stimme war sofort kalt und streng. Sogar so kalt, daß er ein wenig Angst bekam. »Davon will ich nichts hören.«
»Okay«, sagte er. »Hör mal, Ma - welches ist das beste Kino hier in der Gegend?«
»Das Lux Twin«, sagte sie, »aber ich weiß nicht, was sie gerade zeigen.«
»Das ist unwichtig. Weißt du, was ich denke? Drei Sachen bekommt man überall in Amerika, aber nur in New York City bekommt man sie richtig gut.«
»Ach ja, Mr. Kritiker der New York Times. Und das wären?«
»Filme, Baseball und Hot Dogs von Nedick's.«
Sie lachte. »Bist gar nicht so dumm, Larry - aber das warst du nie.«
Er ging also zur Herrentoilette. Und wusch sich das Blut von der Stirn. Und ging zurück und gab seiner Mutter noch einen Kuß. Und bekam fünfzehn Dollar aus ihrer prallen schwarzen Handtasche. Und ging ins Kino ins Lux. Und sah einen wahnsinnigen, bösen Killer namens Freddy Kruger, der eine Reihe Teenager in den Treibsand ihrer eigenen Träume zog, wo alle bis auf eine - die Heldin - starben.
Freddy Kruger schien am Ende auch zu sterben, aber das war schwer zu sagen, und da der Film eine römische Ziffer nach dem Titel hatte und gut besucht zu sein schien, dachte Larry, daß der Mann mit den Rasiermessern an den Fingerspitzen zurückkommen würde; er wußte nicht, daß das beharrliche Geräusch eine Reihe hinter ihm das Ende von allem bedeutete: Es würde keine Fortsetzung mehr geben, in kurzer Zeit würde es überhaupt keine Filme mehr geben.