»Also? Was liegt an?«
»Laß uns reingehen. Ich denke, der alte Knabe sollte es auch hören. Und wenn du Zeit hast, kannst du die ändern anrufen, die gestern hier waren.«
Sie gingen über den Asphalt und ins Büro.
»Schönen guten Morgen, Officer«, sagte Vic.
Joe Bob nickte.
»Kaffee, Joe Bob?« fragte Hap.
»Lieber nicht.« Er sah sie ernst an. »Ich weiß nämlich nicht, ob es meinen Vorgesetzten gefallen würde, daß ich hier bin. Wohl kaum. Wenn die Jungs herkommen, sagt ihnen nicht, daß ich euch einen Tip gegeben habe.«
»Welche Jungs, Officer?« fragte Vic.
»Leute vom Gesundheitsamt«, sagte Joe Bob.
Vic sagte: »Großer Gott, es war Cholera. Ich hab's gewußt.«
Hap sah von einem zum ändern. »Joe Bob?«
»Ich weiß von nix«, sagte Joe Bob und setzte sich auf einen der Woolco-Plastikstühle. Die knochigen Knie reichten ihm fast bis ans Kinn. Er nahm eine Packung Chesterfield aus der Brusttasche und zündete eine an. »Finnegan, dieser Leichenbeschauer -«
»Der ist ein Klugscheißer«, sagte Hap wütend. »Hättest sehen sollen, wie der hier rumstolziert ist, Joe Bob. Wie ein Truthahn, der seinen ersten Ständer bekommen hat. Hat die Leute angepflaumt, und so.«
»Ich weiß, er ist ein kleiner Gernegroß «, pflichtete Joe Bob ihm bei.
» Also, er hat Dr. James geholt, damit der sich diesen Campion ansieht, und dann haben die beiden einen anderen Arzt geholt, den ich nicht kenne. Dann haben sie mit Houston telefoniert, und heute morgen gegen drei sind sie auf dem kleinen Flugplatz bei Braintree gelandet.«
»Wer?«
»Pathologen. Drei Mann hoch. Sie waren bis um acht mit den Leichen beschäftigt. Haben dran rumgeschnippelt, glaub' ich, aber sicher weiß ich's nicht. Dann haben sie die Seuchenzentrale in Atlanta angerufen, und die Jungs sollen heute nachmittag hier sein. Aber sie haben gesagt, vorher kommen die Leute vom staatlichen Gesundheitsamt her und wollen mit allen Jungs sprechen, die gestern abend in der Tankstelle waren, und mit den Typen, die den Krankenwagen nach Braintree gefahren haben. Ich weiß nicht, aber es sieht so aus, als ob sie euch in Quarantäne stecken wollen.«
»Moses im Schilfrohr«, sagte Hap erschrocken.
»Die Seuchenzentrale in Atlanta ist eine Bundesbehörde«, sagte Vic.
»Würden sie bloß wegen eines Cholerafalls ein ganzes Flugzeug voll Bundesbeamte schicken?«
»Was weiß ich«, sagte Joe Bob. »Aber ich dachte, ihr hättet ein Recht darauf, es zu erfahren. Soweit ich gehört habe, habt ihr nur helfen wollen.«
»Danke, Joe Bob«, sagte Hap langsam. »Was haben James und der andere Arzt gesagt?«
»Nicht viel. Aber sie schienen Angst zu haben. Ich habe noch nie so ängstliche Ärzte gesehen. Hat mir überhaupt nicht gefallen.«
Bedrückendes Schweigen trat ein. Joe Bob ging zum Getränkeautomaten und zog sich eine Flasche Fresca. Das leise Zischen von Kohlensäure war zu hören, als er den Kronkorken abhebelte. Als Joe Bob sich wieder setzte, nahm Hap ein Kleenex aus dem Kasten neben der Registrierkasse, wischte sich die Triefnase und steckte es in die Tasche seines schmierigen Overalls.
»Was habt ihr über Campion rausgekriegt?« fragte Vic.
»Irgendwas?«
»Das prüfen wir noch«, sagte Joe Bob mit einem Anflug von Wichtigtuerei. »Aus seinem Ausweis geht hervor, daß er aus San Diego stammt, aber viele seiner Papiere sind schon seit zwei oder drei Jahren abgelaufen. Auch der Führerschein. Er hatte eine BankAmericard, die 1986 ausgegeben wurde, und die war nicht mehr gültig. Er hatte einen Armeeausweis, darum haben wir bei denen nachgefragt. Der Captain hat so eine Ahnung, daß Campion schon seit etwa vier Jahren nicht mehr in San Diego gelebt hat.«
»Desertiert?« fragte Vic. Er zog ein großes buntes Taschentuch hervor, räusperte sich und spuckte hinein.
»Das weiß ich noch nicht. In seinem Armeeausweis steht, daß er noch bis 1997 dienen mußte. Aber er war in Zivil, und seine Familie war bei ihm, und er war verdammt weit weg von Kalifornien, und ich hab' mich total verplappert. «
»Gut, ich ruf die ändern an und sag' ihnen, was du gesagt hast«, sagte Hap. »Vielen Dank.«
Joe Bob stand auf. »Gut. Aber laßt meinen Namen aus dem Spiel. Ich will meinen Job nicht verlieren. Deine Kumpels müssen ja nicht wissen, wer euch gewarnt hat, oder?«
»Nein«, sagte Hap, und Vic bekräftigte es.
Als Joe Bob zur Tür ging, sagte Hap bedauernd: »Macht fünf Dollar für den Sprit, Joe Bob. Ich berechne es dir nur ungern, aber wie die Lage nun mal ist...«
»Schon gut«, sagte Joe Bob und gab ihm eine Kreditkarte. »Vater Staat bezahlt. Und ich habe die Quittung als Vorwand, warum ich hier war.«
Während Hap das Formular ausfüllte, mußte er zweimal niesen.
»Du mußt aufpassen«, sagte Joe Bob. »Es gibt nichts Schlimmeres als eine Erkältung im Sommer.«
»Kann man wohl sagen.«
Plötzlich sagte Vic hinter ihnen: »Vielleicht ist es gar keine Erkältung.« Sie drehten sich zu ihm um. Vic sah verängstigt aus.
»Ich bin heute morgen aufgewacht und hab' geniest und gehustet wie Harry«, sagte Vic. »Außerdem hatte ich elende Kopfschmerzen. Ich hab' ein paar Aspirin genommen, und die Schmerzen sind ein bißchen zurückgegangen, aber ich bin immer noch voll Rotz. Vielleicht kriegen wir es auch. Was Campion hatte. Woran er gestorben ist.«
Hap sah ihn lange an, und als er gerade alle Gründe vortragen wollte, warum das nicht sein konnte, mußte er wieder niesen. Joe Bob sah die beiden eine Weile ernst an und sagte dann: »Weißt du, Hap, es wäre vielleicht nicht dumm, die Tankstelle zu schließen. Nur heute.«
Hap sah ihn erschrocken an und versuchte, sich an die besagten Gründe zu erinnern. Ihm fiel kein einziger mehr ein. Er wußte nur, daß er auch mit Kopfschmerzen und einer Triefnase aufgewacht war. Nun, jeder erkältet sich hin und wieder. Aber bevor dieser Campion aufgetaucht war, war es ihm gutgegangen. Sehr gut sogar.
Die drei Hodges-Kinder waren sechs, vier und achtzehn Monate alt. Die beiden jüngsten schliefen, und der Älteste grub draußen ein Loch. Lila Bruett saß im Wohnzimmer und sah sich The Young and the Restless an. Sie hoffte, daß Sally erst zurückkommen würde, wenn der Film zu Ende war. Ralph Hodges hatte den großen Farbfernseher gekauft, als in Arnette noch bessere Zeiten geherrscht hatten, und Lila sah die Nachmittagsfilme gern in Farbe. Da war alles viel hübscher.
Sie zog an ihrer Zigarette und stieß den Rauch ruckweise aus, weil sie plötzlich von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Sie ging in die Küche und spuckte den Mundvoll Schleim, den sie hochgehustet hatte, in den Abfluß. Sie war schon mit Husten aufgewacht und hatte den ganzen Tag ein Gefühl gehabt, als würde jemand sie mit einer Feder im Rachen kitzeln.
Sie ging ins Wohnzimmer zurück, nachdem sie zum Küchenfenster hinausgeblickt und sich vergewissert hatte, daß Bert Hodges zurechtkam. Jetzt lief ein Werbespot, zwei tanzende Flaschen Toilettenreiniger. Lila ließ den Blick durch das Zimmer schweifen und wünschte, ihr eigenes Haus würde so hübsch aussehen. Sallys Hobby war, nach Zahlen zu malen, und die Christusbilder hingen in hübschen Rahmen überall im Wohnzimmer. Besonders gut gefiel ihr das große Bild des Abendmahls hinter dem Fernseher; es war mit sechzig verschiedenen Ölfarben geliefert worden, wie Sally ihr versichert hatte, und es hatte fast drei Monate gedauert, bis es fertig war. Es war ein richtiges Kunstwerk.
Gerade als der Film weiterging, fing Baby Cheryl an zu weinen, ein anhaltendes häßliches Geschrei, das von Hustenanfällen unterbrochen wurde.
Lila drückte die Zigarette aus und eilte ins Schlafzimmer. Eva, die Vierjährige, schlief fest, aber Cheryl lag auf dem Rücken in der Wiege, und ihr Gesicht hatte eine beängstigende Purpurfarbe angenommen. Ihre Schreie klangen allmählich erstickt. Lila hatte keine Angst vor dem Krupp, weil ihre eigenen Kinder ihn schon gehabt hatten, daher hielt sie Cheryl an den Füßen hoch und schlug ihr kräftig den Rücken. Sie hatte keine Ahnung, ob Dr. Spock diese Behandlung empfohlen hätte oder nicht, denn sie hatte ihn nie gelesen. Aber bei Baby Cheryl funktionierte sie großartig. Das Baby quakte wie ein Frosch und spuckte plötzlich einen erstaunlich dicken gelben Schleimklumpen auf den Boden.