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»So muß es wohl sein. Jedenfalls gehört Jess nicht zu diesen Leuten. Und wenn wir verheiratet wären... würde er heimkommen und diesen ungebetenen Gast vorfinden, den ich eingelassen habe - König Lachen. Nicht jeden Tag, aber oft genug, daß er wütend werden würde. Dann würde ich versuchen, mich zusammenzunehmen und... und...«

»Und unglücklich sein«, sagte Peter und drückte sie noch fester an sich.

»Wahrscheinlich«, sagte sie.

»Dann laß dich von deiner Mutter nicht umstimmen.«

Sie schloß die Augen, und diesmal war ihre Erleichterung noch größer. Er hatte es verstanden. Wie durch ein Wunder.

»Was hältst du von einer Abtreibung?« fragte sie nach einer Weile.

»Ich vermute, daß du eigentlich darüber mit mir reden wolltest.«

Sie sah ihn erstaunt an.

Er betrachtete sie halb fragend, halb lächelnd, eine buschige Braue - die linke - hochgezogen. Und dennoch war der allgemeine Eindruck, den sie empfand, großer Ernst.

»Das stimmt vielleicht«, sagte sie langsam.

»Hör zu«, sagte er, verstummte aber paradoxerweise gleich wieder. Aber sie hörte dennoch, und sie hörte Sperlinge, Grillen, das ferne, hohe Brummen eines Flugzeugs, jemand, der Jackie rief, daß er endlich reinkommen sollte, einen Motormäher, ein Auto mit schallgedämpftem Auspuff, das auf der US i beschleunigte. Sie wollte ihn gerade fragen, ob alles in Ordnung war, als er ihre Hand nahm und weitersprach.

»Frannie, eigentlich hast du so einen alten Vater nicht verdient, aber ich kann nichts dafür. Ich habe erst 1956 geheiratet.«

Er sah sie im Dämmerlicht nachdenklich an.

»Damals war Carla anders. Sie war... ach, verflucht, zunächst einmal war sie selbst noch jung. Sie hat sich erst verändert, als dein Bruder Freddy gestorben ist. Bis dahin war sie jung. Nach Freddys Tod hat sie aufgehört zu wachsen. Das... du darfst nicht denken, daß ich gegen deine Mutter rede, Frannie, auch wenn es sich ein wenig so anhören mag. Ich habe jedenfalls den Eindruck, als hätte Carla... aufgehört zu wachsen, als Freddy gestorben war. Sie hat drei Schichten Beton und eine Schicht Schnellbinder auf ihre Ansichten gekleistert und fand es gut. Heute ist sie wie ein Museumswärter, und wenn sie sieht, daß sich jemand an den Ausstellungsstücken zu schaffen macht, kommt sie ihnen jedesmal mit einem >Paßt bloss auf<. Aber sie war nicht immer so. Das mußt du mir glauben, sie war nicht immer so.«

»Wie war sie denn, Daddy?«

»Nun...« Er ließ gedankenverloren den Blick über den Garten schweifen. »Sie war dir sehr ähnlich, Frannie. Sie bekam das Kichern. Wir sind nach Boston gegangen und haben die Spiele der Red Sox angesehen, und in der siebten Runde ist sie mit mir auf ein Bier zum Imbiß gegangen.«

»Mama... hat Bier getrunken?«

»O ja. Und sie verbrachte den größten Teil der neunten Runde auf der Damentoilette und hat mich anschließend beschimpft, weil sie meinetwegen den besten Teil des Spiels verpaßt hatte. Dabei war sie immer diejenige, die zum Imbiß und ein Bier trinken wollte.«

Frannie versuchte, sich ihre Mutter mit einem Becher NarragansettBier in einer Hand vorzustellen, während sie zu ihrem Mann aufsah wie ein Mädchen bei einer Verabredung. Es gelang Frannie einfach nicht.

»Sie wurde einfach nicht schwanger«, sagte er nachdenklich. »Wir gingen zum Arzt, sie und ich, um festzustellen, an wem es lag. Der Arzt sagte, an keinem. 1960 kam dann dein Bruder Fred auf die Welt. Sie hat den Jungen einfach abgöttisch geliebt, Fran. Weißt du, Fred hieß ihr Vater. 1965 hatte sie eine Fehlgeburt, und wir dachten beide, daß es mit Nachwuchs aus und vorbei wäre. Dann bist du gekommen, 1969, einen Monat zu früh, aber gesund und munter. Und ich habe dich abgöttisch geliebt. Wir hatten beide unseren Abgott. Aber sie hat ihren verloren.«

Er verstummte und brütete düster. Fred Goldsmith war 1973 gestorben. Er war dreizehn gewesen, Frannie sechs. Der Mann, der Fred angefahren hatte, war betrunken gewesen. Er hatte ein langes Register von Verkehrsdelikten, darunter überhöhte Geschwindigkeit, verkehrsgefährdendes Verhalten, Fahren unter Alkoholeinfluß. Fred hatte noch sieben Tage gelebt.

»Ich finde, Abtreibung ist ein zu sauberer Name dafür«, sagte Peter Goldsmith. Seine Lippen formten jedes Wort langsam, als würden sie ihm Schmerzen bereiten. »Ich halte es für Kindesmord, schlicht und einfach. Tut mir leid, daß ich das sage, daß ich so... unflexibel bin, festgefahren, was auch immer ... und noch dazu über etwas, das du jetzt in Erwägung ziehen mußt, und sei es nur, weil dir das Gesetz die Möglichkeit gibt, es in Erwägung zu ziehen. Ich habe dir ja gesagt, ich bin ein alter Mann.«

»Du bist nicht alt, Daddy«, murmelte sie.

»Bin ich, bin ich!« sagte er rauh. Er sah plötzlich gequält drein. »Ich bin ein alter Mann, der seiner jungen Tochter einen Rat geben will, und es ist, als würde ein Affe einem Bären Tischsitten beibringen wollen. Vor siebzehn Jahren hat ein betrunkener Autofahrer meinen Sohn getötet, und seither ist meine Frau nicht mehr dieselbe. Bei Abtreibung mußte ich immer an Fred denken. Ich kann nicht anders, so wie du nicht anders gekonnt hast, als du bei der Dichterlesung das Kichern bekommen hast, Frannie. Deine Mutter würde sich aus allen sattsam bekannten Gründen dagegen aussprechen. Moral, würde sie sagen. Eine Moral, die zweitausend Jahre alt ist. Das Recht auf Leben. Unsere ganze westliche Moral basiert auf diesem Gedanken. Ich habe die Philosophen gelesen. Ich habe sie abgeklappert wie eine Hausfrau mit einem Dividendenscheck einen Laden von Sears and Roebuck. Deine Mutter hält sich an den Reader's Digest, aber es endet immer damit, daß ich vom Gefühl her argumentiere und sie von der Moral. Ich sehe immer Fred. Er hatte schwere innere Verletzungen. Er hatte keine Chance. Die Abtreibungsgegner halten ihre Bilder von in Salz ertränkten Babies hoch, von Armen und Beinen, die auf einen Stahltisch ausgeschabt worden sind. Na und? Der Tod ist niemals schön. Ich sehe nur Fred, der sieben Tage in seinem Bett lag, alles kaputt und verbunden. Das Leben ist billig und Abtreibung macht es noch billiger. Ich lese mehr als deine Mutter, aber letztendlich ist sie diesbezüglich die Vernünftigere. Was wir tun, was wir denken... das beruht so oft auf willkürlichen Entscheidungen, auch wenn es richtig ist. Darüber komme ich nicht hinweg. Es ist wie ein Kloß in meinem Hals, dass jede wahre Logik aus dem Irrationalen zu kommen scheint. Aus dem Glauben. Ich rede dummes Zeug, was?«

»Ich will keine Abtreibung«, sagte sie. »Ich habe meine Gründe.«

»Und die wären?«

»Das Baby ist ein Teil von mir«, sagte sie und hob leicht das Kinn.

»Wirst du es weggeben, Frannie?«

»Ich weiß nicht.«

»Möchtest du es?«

»Nein. Ich will es behalten.«

Er schwieg. Sie glaubte, seine Mißbilligung zu spüren.

»Du denkst ans Studium, nicht wahr?« fragte sie.

»Nein«, sagte er und stand auf. Er stemmte die Hände gegen den Rücken und grinste zufrieden, als die Gelenke knackten. »Ich denke, wir haben genug geredet. Und daß diese Entscheidung noch ein wenig Zeit hat.«

»Mom ist wieder da«, sagte sie.

Er folgte ihrem Blick und sah den Kombi in die Einfahrt einbiegen, wo das Chrom im letzten Licht des Tages glänzte. Carla sah sie, hupte und winkte fröhlich.

»Ich muß es ihr sagen«, meinte Frannie.

»Ja. Aber warte ein oder zwei Tage, Frannie.«

»Gut.«

Sie half ihm die Gartenwerkzeuge aufsammeln, dann gingen sie gemeinsam zum Kombi.

7

Im düsteren Licht, das sich nach Sonnenuntergang, aber noch vor der wahren Dunkelheit über das Land senkt, in einer von den wenigen Minuten, die Filmemacher die »magische Stunde« nennen, erwachte Vic Palfrey aus einem grünen Delirium zu kurzer geistiger Klarheit.

Ich sterbe, dachte er, und die Worte hallten seltsam durch seinen Verstand, was ihn in dem Glauben wiegte, er hätte sie laut ausgesprochen, obwohl es nicht so war.

Er sah sich um und erblickte ein Krankenhausbett, das hochgekurbelt war, damit seine Lunge nicht in Flüssigkeit ertrank. Er war mit Wäscheklammern aus Metall gesichert, die Seitenteile des Betts waren hochgezogen.