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»Keine Chance«, sagte Baker geradeheraus. »Ich bin nur ein Hinterwäldlersheriff. Für so etwas brauchtest du Oval Roberts.«

Nick nickte und zuckte die Achseln. Er legte die Hände zusammen und machte einen davonfliegenden Vogel nach.

»Ja, so ungefähr. Wie viele waren es?«

Nick hielt vier Finger hoch, zuckte dann die Achseln, fünf.

»Könntest du sie identifizieren?«

Nick hielt einen Finger hoch und schrieb: »Groß & blond. Ihre Größe, vielleicht etwas dicker. Graue Hosen & Hemd. Er trug einen großen Ring. Dritter Finger, rechte Hand. Purpurfarbener Stein. Damit hat er mich geschnitten.«

Als Baker das las, ging in seinem Gesicht eine Veränderung vor. Zuerst Sorge, dann Wut. Nick, der glaubte, die Wut richte sich gegen ihn, bekam wieder Angst.

»Mein Gott«, sagte Baker. »Das ist der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Bist du sicher?«

Nick nickte.

»Sonst noch was? Hast du sonst noch was gesehen?«

Nick dachte angestrengt nach, dann schrieb er: »Kleine Narbe. An der Stirn.«

Baker las die Worte. »Das ist Ray Booth«, sagte er. »Mein Schwager. Danke, Junge. Fünf Uhr morgens, und schon ist mein Tag versaut.«

Nick machte die Augen ein wenig weiter auf und deutete mit der Hand vorsichtig sein Bedauern an.

»Ja, schon gut«, sagte Baker mehr zu sich selbst als zu Nick. »Er ist ein schlechter Schauspieler. Janey weiß es. Als sie noch Kinder waren, hat er sie oft genug verprügelt. Trotzdem sind sie Geschwister, und ich denke, für diese Woche kann ich mein Liebesleben vergessen.«

Nick senkte verlegen den Kopf. Nach einer Weile schüttelte Baker ihn an der Schulter, damit Nick ihn sprechen sehen konnte.

»Hat wahrscheinlich sowieso keinen Zweck«, sagte er. »Ray und seine Wichserkumpel werden sich gegenseitig ein Alibi verschaffen. Dein Wort gegen ihres. Hast du ihnen auch was verpaßt?«

»Diesen Ray in den Bauch getreten«, schrieb Nick. »Einen anderen auf die Nase geschlagen. Wahrscheinlich gebrochen.«

»Ray lungert hauptsächlich mit Vince Hogan, Billy Warner und Mike Childress rum«, sagte Baker. »Wenn ich Vince allein erwische, krieg' ich ihn vielleicht klein. Er hat so wenig Rückgrat wie 'ne altersschwache Qualle. Wenn ich ihn hab', könnte ich mich um Mike und Billy kümmern. Ray hat den Ring von einer Studentenverbindung an der LSU. Er ist nach dem ersten Semester ausgestiegen.« Er schwieg und klopfte mit den Fingern auf den Rand des Frühstückstellers. »Schätze, wir könnten es versuchen, Junge, wenn du willst. Aber ich warne dich vorher, wahrscheinlich werden wir sie nicht erwischen. Sie sind so bösartig und feige wie eine Hundemeute, aber sie stammen aus der Stadt, und du bist nur ein taubstummer Herumtreiber. Und wenn sie ungeschoren davonkommen, hast du sie wieder auf dem Hals.«

Nick dachte darüber nach. In Gedanken sah er immer wieder sich selbst, wie er von einem zum anderen gestoßen wurde wie eine blutende Vogelscheuche, und Rays Lippen, die die Worte formten: Ich mach' ihn fertig. Der Pisser hat mich getreten.Und wie sie ihm den Rucksack, seinen alten Freund aus zwei Wanderjahren vom Rücken gerissen hatten.

Auf den Notizblock schrieb er zwei Worte und unterstrich sie: » Versuchen wir's.«

Baker seufzte und nickte. »Okay. Vince Hogan arbeitet unten in der Sägemühle ... nein, das stimmt nicht ganz. Meistens verpißt er sich zur Sägemühle. Wir können gegen neun hinfahren, wenn es dir recht ist. Vielleicht können wir ihn so erschrecken, daß er auspackt.«

Nick nickte.

»Was macht dein Mund? Doc Soames hat ein paar Tabletten hiergelassen. Er sagt, daß du Schmerzen haben wirst.«

Nick nickte kläglich.

»Ich hol' sie. Es...« Er brach ab, und in seiner Stummfilmwelt sah Nick den Sheriff mehrere Male explosionsartig in sein Taschentuch niesen. »Auch so was«, fuhr Baker fort, aber er hatte sich abgewandt, und Nick hatte nur das erste Wort mitbekommen. »Ich hab' mir 'ne richtig schöne Erkältung geholt. Mein Gott, ist das Leben nicht herrlich? Willkommen in Arkansas, Junge.«

Er holte die Tabletten und brachte sie Nick. Nachdem er sie ihm zusammen mit einem Glas Wasser gegeben hatte, rieb sich Baker sachte unter dem Kinn. Er hatte eindeutig eine schmerzhafte Schwellung dort. Geschwollene Drüsen, Husten, Schnupfen und, wie es schien, leichtes Fieber. Ja, sah wirklich danach aus, als würde es ein prächtiger Tag werden.

10

Larry wachte mit einem Kater auf, der nicht allzu schlimm war, einem Geschmack im Mund, als hätte ein Babydrache ihn als Nachttopf benutzt, und dem Gefühl, als wäre er irgendwo, wo er nichts zu suchen hatte.

Es war ein Einzelbett, aber mit zwei Kissen. Er konnte brutzelnden Speck riechen. Er setzte sich auf, sah, daß draußen ein neuer grauer Tag in New York anbrach, und sein erster Gedanke war, daß sie über Nacht etwas Schreckliches mit Berkeley gemacht hatten. Sie hatten es schmutzig und rußig gemacht, gealtert. Dann dämmerte ihm der vergangene Abend, und er wußte, er sah Fordham, nicht Berkeley. Er war in der Tremont Avenue in einer Wohnung im zweiten Stock, nicht weit vom Concourse entfernt, und seine Mutter würde sich fragen, wo er letzte Nacht gewesen war. Hatte er sie angerufen und ihr irgendeine Ausrede aufgetischt, wie dürftig sie auch immer gewesen sein mochte?

Er schwang die Beine aus dem Bett und fand eine zerknüllte Packung Winston, in der noch eine verbogene Zigarette war. Er zündete sie mit einem grünen Bic-Plastikfeuerzeug an. Sie schmeckte wie tote Pferdescheiße. Draußen in der Küche hörte er immer noch den Speck brutzeln, wie Rauschen im Radio.

Das Mädchen hieß Maria, und sie hatte gesagt, sie war... was? Fachfrau für Mundhygiene, war es das? Larry wußte nicht, was sie von Hygiene wußte, aber mit dem Mund war sie eine Offenbarung. Er konnte sich vage erinnern, daß sie ihn gelutscht hatte wie eine Zuckerstange. Im Hintergrund Crosby, Stills und Nash in der beschissenen kleinen Stereoanlage im Wohnzimmer, die gesungen hatten, wieviel Wasser unter der Brücke durchgeflossen war und wieviel Zeit wir unterwegs vergeudet hatten. Wenn er sich recht erinnerte, hatte Maria ganz sicher nicht viel Zeit vergeudet. Sie war überwältigt gewesen, als sie herausfand, daß er derLarry Underwood war. Waren sie nicht einmal während der abendlichen Orgie losgezogen und hatten einen offenen Plattenladen gesucht, damit sie »Baby, Can You Dig Your Man?« kaufen konnten?

Er stöhnte ganz leise und versuchte, den gestrigen Tag von seinem unschuldigen Anfang bis zum hektischen, lutschenden Finale zu rekonstruieren.

Die Yankees waren nicht in der Stadt, daran konnte er sich erinnern. Als er aufwachte, war seine Mutter schon zur Arbeit gegangen, aber sie hatte den Spielplan der Yankees zusammen mit einem Zettel auf dem Küchentisch liegenlassen: »Larry. Wie Du siehst, sind die Yankees erst am i. Juli wieder da. Sie spielen am 4. Juli ein Doppelmatch. Wenn Du heute nichts anderes vorhast, könntest Du mit Deiner Mutter zum Ball Park gehen. Ich zahle Bier und Hot Dogs. Im Kühlschrank sind Eier und Würstchen, im Brotkasten Plunderstücke, wenn Du die lieber magst. Paß auf Dich auf, Junge.«

Darunter ein typisches Alice-Underwood-PS: »Die meisten Kinder, mit denen Du Dich abgegeben hast, sind weggezogen, und ich trauere den Tunichtguten nicht nach, aber ich glaube, Buddy Max arbeitet in der Druckerei in der Stricker Avenue.«

Wenn er nur an diesen Zettel dachte, zuckte er zusammen. Kein »Lieber« vor seinem Namen, kein »Alles Liebe« vor der Unterschrift. Sie hielt nichts von Getue. Alles Wichtige war im Kühlschrank. Während er die Erschöpfung seiner Fahrt durch Amerika ausgeschlafen hatte, war sie weggegangen und hatte jede verdammte Köstlichkeit eingekauft, die er gern aß. Ihre Erinnerung war so perfekt, es war beängstigend. Dosenschinken Marke Daisy. Zwei Pfund echte Butter - wie konnte sie sich das bei ihrem Gehalt leisten? Zwei Sechserpacks Coke. Würstchen. Roastbeef, das bereits in Alices Geheimmarinade eingelegt war, deren Zutaten sie nicht einmal ihrem Sohn preisgab, und eine Dreiliterpackung BaskinRobbins Eiskrem »Peach Delight« im Gefrierfach. Und obendrein ein Käsekuchen Marke Sara Lee. Mit Erdbeeren drauf.