»Hören Sie auf zu lachen.«
Glen lachte noch lauter.
»Hören Sie auf, mich auszulachen!«
»Sie sind ein Nichts!« sagte Glen und wischte sich die tränenden Augen. Er kicherte immer noch. »Oh, entschuldigen Sie bitte... wir hatten alle solche Angst.. .wir haben Sie für wer weiß wie wichtig gehalten... ich lache genauso sehr über unsere Dummheit wie über Ihren bedauernswerten Mangel an Substanz...«
Flagg wandte sich an seinen Begleiter. »Erschieß ihn, Lloyd.« Sein Gesicht hatte sich grauenhaft verzerrt. Seine Hände hatten sich zu Raubtierklauen gekrümmt.
»Bringen Sie mich doch selbst um, wenn Sie mich schon umbringen wollen«, sagte Glen. »Dazu sind Sie doch gewiß in der Lage. Berühren Sie mich mit dem Finger und halten Sie mein Herz an. Machen Sie das Zeichen des umgekehrten Kreuzes, und verpassen Sie mir eine kräftige Gehirnembolie. Holen Sie Blitze aus dem Himmel, die mich in zwei Teile spalten. Oh... o nein... o nein!«
Brüllend vor Lachen sank Glen auf seine Pritsche.
» Erschieß ihn!« donnerte der dunkle Mann.
Lloyd war blaß und zitterte vor Angst. Er nestelte die Pistole aus seinem Gürtel, und fast wäre sie ihm aus der Hand geglitten. Dann versuchte er, die Waffe auf Glen zu richten. Er mußte sie mit beiden Händen festhalten.
Glen sah Lloyd an und lächelte immer noch. Er hätte genausogut auf einer Cocktail-Party der Fakultät zu Hause in Woodsville, New Hampshire, sein können, wo er sich gerade von einem guten Witz erholte und sich anschickte, wieder ein wenig ernst zu werden.
»Wenn Sie unbedingt jemanden erschießen müssen, Mr. Henreid, dann erschießen Sie ihn.«
»Los, Lloyd.«
Lloyd drückte blindlings ab. In dem geschlossenen Raum hallte das Echo des Schusses besonders laut. Wütend hallte es immer wieder nach. Aber das Geschoß riß zwei Zoll neben Glen nur Betonsplitter aus der Wand, prallte ab, traf etwas anderes und zischte jaulend durch die Luft.
»Kannst du denn gar nichts richtig machen?« brüllte Flagg.
»Erschieß ihn, du Schwachkopf! Er steht doch direkt vor dir!«
»Ich versuch' es ja...«
Glen lächelte immer noch und war bei dem Schuß kaum zusammengezuckt. »Ich wiederhole, wenn du jemanden erschießen mußt, dann erschieß ihn. Er ist in Wirklichkeit gar kein Mensch. Ich habe ihn einem Freund gegenüber mal als letzten Magier des rationalen Denkens geschildert, Mr. Henreid. Das trifft besser auf ihn zu, als ich damals dachte. Aber seine Magie verläßt ihn. Die Dinge gleiten ihm aus der Hand, und er weiß es. Auch du weißt es. Wenn du ihn jetzt erschießt, würdest du uns allen Gott weiß wieviel Blutvergießen und Tod ersparen.«
Flaggs Gesicht zeigte keine Regung mehr. »Erschieß auf jeden Fall einen von uns, Lloyd«, sagte er. »Ich habe dich aus der Zelle geholt, als du schon fast verhungert warst. An Leuten wie ihm wolltest du dich doch rächen. An kleinen Leuten mit großen Klappen.«
»Mister, mich können Sie nicht zum Narren halten«, sagte Lloyd zu Glen. »Es ist so, wie Randy Flagg sagt.«
»Aber er lügt. Du weißt doch, daß er lügt.«
»Er hat mir mehr Wahrheit beigebracht, als es alle anderen in meinem lausigen Leben je versucht haben«, sagte Lloyd und schoss dreimal auf Glen.
Glen wurde herumgerissen und zurückgeschleudert wie eine Puppe. Blut spritzte durch die Luft. Er sank auf die Pritsche und rollte auf den Fußboden. Es gelang ihm noch, sich auf einem Ellenbogen aufzurichten.
»Schon gut, Mr. Henreid«, flüsterte er. »Sie wissen es nicht besser.«
» Halt's Maul, du blöder alter Schwätzer!« brüllte Lloyd. Er feuerte noch einmal, und Glen Batemans Gesicht verschwand. Wieder feuerte er, und Glens Körper zuckte. Ohne Leben. Aber Lloyd drückte noch einmal ab. Er weinte. Tränen rollten über sein wütendes, von der Sonne verbranntes Gesicht. Er dachte an das Kaninchen, das er vergessen und das seine eigenen Pfoten gefressen hatte. Er dachte an Poke und die Leute im weißen Connie. Er dachte an den schönen George. Er erinnerte sich an den Knast in Phoenix und daran, daß er die Füllung seiner Matratze nicht hatte essen können. Er dachte an die Ratte und Trask und Trasks Bein, das zuletzt wie ein Brathähnchen ausgesehen hatte. Wieder drückte er ab, aber die Pistole gab nur ein leeres Klicken von sich.
»Okay«, sagte Flagg leise. »Okay. Gut gemacht. Gut gemacht, Lloyd.«
Lloyd ließ die Pistole auf den Fußboden fallen und sprang ein Stück zurück. »Fassen Sie mich nicht an!« rief er. »Ich habe es nicht für Sie getan!«
»Doch, hast du«, sagte Flagg sanft. »Du glaubst es vielleicht nicht, aber du hast es für mich getan.« Er streckte die Hand aus und ergriff den schwarzen Stein, den Lloyd um den Hals hängen hatte. Er nahm ihn in die Hand, und als er die Hand wieder öffnete, war der Stein verschwunden, und statt dessen hing an der Kette ein kleiner silberner Schlüssel.
»Ich glaube, ich hatte dir das hier versprochen«, sagte der dunkle Mann. »In einem anderen Gefängnis. Er hat unrecht... ich halte meine Versprechungen, nicht wahr, Lloyd?«
»Ja.«
»Die anderen gehen fort. Oder sie haben die Absicht fortzugehen. Ich weiß, wer sie sind. Ich kenne alle Namen. Whitney... Ken... Jenny, o ja, ich kenne alle Namen.«
»Aber warum tun Sie denn...«
»Warum ich nichts dagegen unternehme? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es besser, sie gehen zu lassen. Aber du, Lloyd. Du bist mein guter und getreuer Diener, nicht wahr?«
»Ja«, flüsterte Lloyd. Das endgültige Eingeständnis. »Ja, das bin ich wohl.«
»Ohne mich hättest du höchstens lächerliche Kleinigkeiten geschafft. Selbst wenn du das Gefängnis überlebt hättest. Stimmt's?«
»Ja.«
»Der junge Lauder wußte das. Er wußte, daß ich ihn größer machen konnte. Stärker. Deshalb wollte er zu mir kommen. Aber er hat sich zu viele Gedanken... er hat sich zu viele...« Er sah plötzlich wirr und alt aus. Dann machte er eine ungeduldige Handbewegung, und sein Gesicht war wieder ein einziges Lächeln. »Vielleicht geht es wirklich schief, Lloyd. Vielleicht. Ich kenne die Gründe nicht. Aber der alte Magier kann immer noch mit ein paar Tricks aufwarten, Lloyd. Und jetzt hör zu. Wir haben nicht mehr viel Zeit, wenn wir diese... diese Vertrauenskrise stoppen und im Keim ersticken wollen. Morgen werden Underwood und Brentner erledigt. Jetzt hör mir genau zu...«
Lloyd ging nach Mitternacht ins Bett und schlief erst gegen Morgen ein. Er hatte mit dem Rattenmann gesprochen. Er hatte mit Paul Burlson gesprochen. Mit Barry Dorgan, der ebenfalls der Meinung war, daß der Befehl des dunklen Mannes schon vor Morgengrauen ausgeführt sein könnte und wohl auch sollte. Am neunundzwanzigsten September gegen zehn Uhr abends begannen auf dem Rasen vor dem MGM Grand Hotel die entsprechenden Vorbereitungen. Ein Arbeitstrupp von zehn Männern brachte Schweißgeräte und Hämmer und Bolzen und einen ausreichenden Vorrat an langen Stahlrohren. Vor dem Brunnen des MGM Grand setzten sie die Rohre auf den Ladeflächen zweier Lastwagen zusammen. Die Schweißarbeiten zogen bald eine Menge Neugieriger an.
»Guck mal, Angie-Mom«, rief Dinny. »Ein Feuerwerk.«
»Ja, aber alle braven kleinen Jungs müssen jetzt ins Bett.« Angie Hirschfield zog den Jungen mit sich fort. In ihrem Herzen hatte sich Angst eingenistet. Sie spürte, daß hier etwas Schlimmes stattfinden sollte, vielleicht etwas genauso Schlimmes wie die Supergrippe.
»Will aber nicht! Will die Funken sehen!« jammerte Dinny, aber rasch und energisch zog sie ihn mit sich.
Julie Lawry sprach mit dem Rattenmann. Er war der einzige Bursche in Las Vegas, der ihr zu unheimlich war, als daß sie mit ihm ins Bett gegangen wäre... außer vielleicht im Notfall. Seine schwarze Haut glänzte im blauweißen Licht der Schweißgeräte. Er hatte sich ausstaffiert wie ein äthiopischer Pirat - weiße Seidenhose, eine rote Schärpe und ein Halsband aus Silberdollars um den dürren Hals.