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»Das würde mich nicht überraschen, Tom.«

»Der böse Mann hat Nick getötet. Tom weiß es. Aber Gott hat den bösen Mann bestraft. Ich habe es gesehen. Die Hand Gottes ist aus dem Himmel gekommen.« Ein kalter Wind fegte über die Wüste von Utah, und Stu zitterte heftig. »Bestraft für das, was er Nick und dem armen Richter angetan hat. Meine Fresse, ja.«

»Was weißt du über den Richter, Tom?«

»Tot! Oben in Oregon! Erschossen!«

Stu nickte müde. »Und Dayna? Weißt du irgend etwas über sie?«

»Tom hat sie gesehen, aber er weiß nichts. Sie haben mir einen Reinigungsjob gegeben. Und als ich eines Tages zurückkam, sah ich, wie sie ihreArbeit machte. Sie war oben in der Luft und wechselte die Birnen in den Straßenlampen aus. Sie sah mich an und...« Er schwieg eine Weile, als er fortfuhr, sprach er mehr zu sich selbst als zu Stu. »Hat sie Tom gesehen? Hat sie Tom erkannt? Tom weiß es nicht. Tom... glaubt... daß sie ihn gesehen hat. Aber Tom hat sie nie wiedergesehen.«

Bald darauf gingen Tom und Kojak, um mehr Lebensmittel zu besorgen, und Stu nickte ein. Als Tom zurückkam, hatte er keine Blechdose, wie Stu allenfalls gehofft hatte, sondern einen Schmortopf, der groß genug war für einen Weihnachts-Truthahn. Offensichtlich gab es Schätze dort draußen in der Wüste. Trotz der schmerzhaften Fieberpusteln, die sich an seinen Lippen gebildet hatten, mußte Stu grinsen. Tom erzählte ihm, er habe den Topf auf einem großen orangefarbenen Lastwagen, auf den ein großes U gemalt war, gefunden - wahrscheinlich gehörte er jemandem, der der Supergrippe mit seinem ganzen Hausrat hatte entfliehen wollen. Hatte sich wirklich für ihn ausgezahlt.

Eine halbe Stunde später gab es etwas zu essen. Stu aß vorsichtig und hielt sich an das Gemüse. Er goß genügend Wasser über die Konzentrate, um einen dünnen Brei herstellen zu können. Er behielt alles im Magen und fühlte sich ein wenig besser, wenigstens fürs erste. Kurz nach dem Essen gingen Tom und er schlafen, und Kojak lag zwischen ihnen.

»Hör mal zu, Tom.«

Tom hockte sich neben Stus dicken flauschigen Schlafsack. Es war am nächsten Morgen. Zum Frühstück hatte Stu nur sehr wenig essen können; sein Hals schmerzte und war stark angeschwollen, und alle Gelenke taten ihm weh. Der Husten war schlimmer geworden, und das Fieber war durch das Anacin noch nicht sonderlich zurückgegangen.

»Ich muß mir Medizin beschaffen, oder ich muß sterben. Und ich muß sie mir noch heute beschaffen. Die nächste Stadt ist Green River, und das liegt sechzig Meilen östlich von hier. Wir brauchen einen Wagen.«

»Tom Cullen kann keinen Wagen fahren, Stu. Meine Fresse, nein!«

»Ja. Ich weiß. Und für mich wird das verdammt schwer, denn ich bin nicht nur krank wie ein Hund, ich habe mir auch noch das falsche beschissene Bein gebrochen.«

»Was meinst du damit?«

»Na ja... spielt jetzt keine Rolle. Es ist zu schwierig, um es zu erklären. Wir werden uns ganz einfach nicht darum kümmern, denn das ist nicht unser erstes Problem. Unser erstes Problem ist, einen Wagen überhaupt zu starten. Die meisten stehen drei Monate oder länger hier herum. Die Batterien sind wahrscheinlich alle so platt wie Pfannkuchen. Wir brauchen also ein bißchen Glück. Wir müssen einen liegengebliebenen Wagen mit Gangschaltung finden, der auf einem Hügel steht. Das könnten wir schaffen, es ist ja eine ziemlich hügelige Gegend.« Er sagte nicht, daß die Zündung einigermaßen eingestellt sein müßte und daß Benzin da sein mußte... vom Zündschlüssel ganz zu schweigen. Die Kerle in den Fernsehfilmen mochten wissen, wie man einen Wagen kurzschließt, aber Stu hatte nicht die geringste Ahnung.

Er blickte zum Himmel hinauf, an dem wieder Wolken aufzogen.

»Das meiste mußte du tun, Tom. Ich werde dich als meine Beine benutzen.«

»Okay, Stu. Wenn wir den Wagen haben, fahren wir dann nach Boulder? Tom will nach Boulder. Du nicht?«

»Mehr als alles andere, Tom.« Er blickte zu den Rocky Mountains hinüber, die als trüber Schatten am Horizont zu erkennen waren. Lag auf den höher gelegenen Pässen schon Schnee?

Höchstwahrscheinlich. Und wenn nicht, dann würde es bald der Fall sein. In diesem hoch gelegenen und verlassenen Teil der Welt kam der Winter früh. »Es mag eine Weile dauern«, sagte er.

»Wie fangen wir an?« fragte Tom.

»Indem wir einen Schleppschlitten bauen.«

»Schlepp...?«

Stu reichte Tom sein Taschenmesser. »Du mußt Löcher in den Schlafsack schneiden. Eins an jeder Seite.«

Zum Bau des Schleppschlittens brauchten sie eine Stunde. Tom fand ein paar einigermaßen gerade Stangen, die sie in den Schlafsack und durch die Löcher am anderen Ende stecken konnten. Er holte Seile aus dem Lastwagen, in dem er schon den Schmortopf gefunden hatte, und Stu befestigte die Stangen damit am Schlafsack. Als der Schlitten fertig war, erinnerte er Stu eher an eine verrückte Rikscha als an das Transportgerät der Prärie-Indianer, dem sie dieses Ding nachgebaut hatten.

Tom hob die Stangen auf und schaute nach hinten. »Bist du schon drin, Stu?«

»Ja.« Er fragte sich, wie lange die Nähte wohl halten würden, bevor der Schlafsack der Länge nach aufriß. »Wie schwer bin ich, Tommy?«

»Es geht. Ich kann dich ganz schön lange ziehen. Und los!«

Sie setzten sich in Bewegung. Die Senke, an deren Hang sich Stu das Bein gebrochen hatte - und in der sterben zu müssen er befürchtet hatte -, blieb langsam hinter ihnen zurück. Stu erlebte ein ungeahntes Hochgefühl, obwohl er wahrscheinlich sehr krank war. Nein, dort unten würde er nicht den Tod finden. Er würde irgendwo anders sterben und wahrscheinlich bald, aber dann würde er nicht allein in diesem schlammigen Graben hocken. Der Schlafsack schwankte hin und her, und er fiel in eine Art Dämmerschlaf. Tom zog ihn unter einer immer dichter werdenden Wolkendecke entlang, und Kojak trottete neben ihnen über die Straße.

Stu wachte auf, als Tom ihn vorsichtig absetzte.

»Tut mir leid«, sagte Tom in entschuldigendem Tonfall. »Ich mußte meine Arme ausruhen.« Er ruderte durch die Luft, spannte dann die Armmuskulatur.

»Ruh dich aus, so lange du willst«, sagte Stu. »Immer schön langsam.« Er hatte Kopfschmerzen und nahm drei Anacin-Tabletten, die er trocken schluckte. Es war, als risse ein Sadist an den Schleimhäuten seiner Kehle Streichhölzer an. Sie waren so rauh und trocken wie Sandpapier. Er öffnete wieder die Augen und prüfte die Nähte des Schlafsacks. Wie er vermutet hatte, lösten sie sich allmählich, aber es war noch nicht so schlimm. Sie begannen jetzt einen langen flachen Anstieg, und das war genau, was sie suchten. Von einem Hang wie diesem, der über eine Strecke von mehr als zwei Meilen sanft abfiel, könnte man mit einem Wagen im Leerlauf eine Geschwindigkeit erreichen, die hoch genug war, um dann den zweiten oder dritten Gang einzulegen und die Kupplung kommen zu lassen.

Sehnsüchtig blickte Stu nach links, wo ein roter Triumph quer auf der Standspur parkte. Am Steuer saß etwas Skelettartiges in einem Wollpullover. Der Triumph hatte mit Sicherheit eine Gangschaltung, aber niemals hätte er sich mit seinem geschienten Bein in den engen Fahrersitz zwängen können.

»Wie weit sind wir schon?« fragte er Tom, aber Tom konnte nur mit den Achseln zucken. Es muß schon eine ganz schöne Strecke gewesen sein, dachte Stu. Bevor er die Pause einlegte, hatte Tom den Schlitten mindestens drei Stunden gezogen. Er mußte ungeheure Körperkräfte besitzen. Einige markante Punkte in der Landschaft lagen schon so weit hinter ihnen, daß Stu sie nicht mehr sehen konnte. Tom, stark wie ein junger Bulle, hatte ihn, während er schlief, vielleicht sechs oder acht Meilen weit gezogen.

»Ruh dich aus, so lange du willst«, wiederholte Stu. »Mach dich nicht kaputt.«

»Tom geht's gut. G-U-T, so buchstabiert man's. Meine Fresse, das weiß doch jeder.«

Tom verschlang ein gewaltiges Mahl, und Stu brachte eine Kleinigkeit herunter. Dann zogen sie weiter. Die Straße führte immer noch in einer langen Kurve nach oben, und Stu war sich darüber klar, daß es auf diesem Hügel gelingen mußte. Wenn sie oben keinen geeigneten Wagen fanden, würden sie mehr als zwei Stunden bis zum nächsten brauchen. Dann würde es dunkel sein. So wie der Himmel aussah, war Regen zu erwarten, vielleicht sogar Schnee. Eine nasse und kalte Nacht im Freien, und dann good-bye, Stu Redman.