Выбрать главу

Sie stellten den Generator in der kleinen Elektrozentrale der Convention Hall ab, und damit war das Gerät für Tom gestorben und vergessen - und genau das hatte Stu sich erhofft. Am folgenden Tag war er mit dem Schneemobil zum Grand Junction Simplex gefahren und hatte - indem er wieder, diesmal alleine, den Flaschenzug benutzte - einen alten Fünfunddreißig-Millimeter-Filmprojektor aus einem Fenster im zweiten Stock der Lagerhalle, wo er ihn auf einem seiner früheren Streifzüge entdeckt hatte, heruntergehievt. Der Projektor war in Plastikfolie eingewickelt gewesen... und dann, nach der dicken Staubschicht zu urteilen, die sich auf der Schutzfolie angesammelt hatte, schlicht und einfach vergessen worden. Stus Bein hatte ganz gut mitgespielt, aber er hatte dennoch fast drei Stunden gebraucht, um den Projektor durch den Haupteingang der Convention Hall bis in die Mitte des Sitzungssaales zu schleppen. Er hatte dazu drei kleine Transportkarren benutzt und immer damit gerechnet, daß Tom plötzlich auftauchen würde, um nach ihm zu sehen. Mit Toms Hilfe wäre die Arbeit viel schneller vonstatten gegangen, aber es hätte auch die Überraschung verdorben, die Stu Tom bereiten wollte. Aber Tom war offensichtlich in eigener Sache unterwegs, und Stu bekam ihn den Tag über nicht zu Gesicht. Als Tom schließlich gegen fünf Uhr nachmittags ins Holiday Inn zurückkehrte, mit von der Kälte roten Wangen und einem dicken Schal um den Hals, war die Überraschungsparty drüben in der Convention Hall bereits vorbereitet.

Stu hatte alle sechs Filme mitgebracht, die er in einem Kino in Grand Junction gefunden hatte. Nach dem Abendessen sagte er beiläufig:

»Komm mal mit mir rüber zur Convention Hall, Tom.«

»Warum?«

»Du wirst schon sehen.«

Sie überquerten die verschneite Straße. Am Eingang der Convention Hall drückte Stu Tom eine Tüte Popcorn in die Hand.

»Was soll das?« fragte Tom.

»Ist doch schöner, sich 'nen Film anzusehen, wenn man was zu knabbern hat, du großer Dummkopf«, sagte Stu grinsend.

» FILM

»Ja, sicher.«

Tom brach wie ein Unwetter durch die Eingangstür. Sah den Projektor, vorführbereit, mit eingelegter Filmrolle. Sah die große Leinwand der Versammlungshalle, die Stu heruntergelassen hatte. Sah zwei Klappstühle auf dem leeren Mittelgang.

»Whow«, flüsterte er, und das Erstaunen auf seinem Gesicht war so echt und tief und kindlich, wie Stu es sich nur erhoffen konnte.

»Ich habe im Starlite Drive-In drüben in Braintree drei Jahre den Sommer über als Filmvorführer gearbeitet«, sagte Stu. »Ich hoffe, ich habe nicht vergessen, wie man diese verdammten Filmrollen austauscht.«

»Whow«, sagte Tom wieder.

Stu stieg über das Wirrwarr von Kabeln und Anschlüssen hinweg, mit denen Projektor und Generator verbunden waren, ging in die Elektrozentrale und zog kräftig an der Starterschnur. Der kleine Benzinmotor des Generators begann zu tuckern. Stu schloß die Tür zur Elektrozentrale so weit hinter sich, wie es wegen der Kabelstränge möglich war, um das Geräusch des Motors zu dämpfen und knipste dann die Lampen im Versammlungsraum aus. Fünf Minuten später saßen er und Tom Seite an Seite und verfolgten, wie Sylvester Stallone in Rambo IV: The Fire-FightHunderte von Drogenhändlern ins Jenseits beförderte. Der DolbySound dröhnte aus den sechzehn Lautsprechern des Versammlungsraums im Conventional Center; manchmal war das Spektakel dermaßen laut, daß sie die Dialoge (was an Dialogen stattfand) kaum mehr verstehen konnten... aber als der Film zu Ende war, hatte die Vorführung ihnen beiden gefallen.

Jetzt, wo er über diese Geschichte nachdachte, lächelte Stu. Jemand, der es nicht besser wußte, hätte ihn als dämlich bezeichnet - denn hätte Stu einen Videorecorder an einen sehr viel kleineren Generator angeschlossen, was möglich gewesen wäre, hätten sie sich auf diese Weise Hunderte von Filmen ansehen können, wahrscheinlich sogar drüben im Holiday Inn. Aber ein Film auf der Leinwand war etwas anderes als auf einem Fernsehbildschirm, war es immer schon gewesen; jedenfalls nach seiner Ansicht. Außerdem ging es eigentlich auch gar nicht darum. Es ging schlicht und einfach darum, daß er und Tom jede Menge Zeit totzuschlagen hatten... und an manchen Tagen wollte die Zeit einfach nicht sterben.

Wie dem auch sei, einer der Filme war eine Neufassung des letzten Disney-Zeichentrickfilms Oliver and Company, der nie auf Videokassette erschienen war. Tom sah sich den Streifen wieder und wieder an, lachte wie ein Kind über die Eskapaden von Oliver und dem Artful Dodger und Fagin, der im Film auf einem Schleppkahn in New York wohnte und auf einem gestohlenen Flugzeugsitz zu schlafen pflegte.

Zusätzlich zu seinem Filmprojekt hatte Stu Modellautos zusammengebaut, mehr als zwanzig Stück, unter anderem einen Rolls-Royce aus 240 Einzelteilen, die vor der Supergrippe 65 Dollar gekostet hatten. Tom hatte aus Papiermache, Gips und diversen Lebensmittelfarben eine seltsame, aber irgendwie ansprechende Landschaft modelliert, die den halben Fußboden eines Tagungsraums im Holiday Inn ausfüllte. Er nannte sein Werk Mondbasis Alpha. O ja, sie hatten sich beschäftigt, aber...

Was du jetzt denkst, ist verrückt.

Er bewegte sein Bein. Es war in besserer Verfassung, als er je zu hoffen gewagt hatte. Zum Teil verdankte er das dem Fitnessraum des Holiday Inn und seinen Übungsgeräten. Das Bein war noch ein wenig steif und schmerzte gelegentlich, aber er konnte ohne Krücken gehen, wenn auch humpelnd. Sie konnten es langsam angehen lassen. Er war sicher, daß er Tom beibringen konnte, eines dieser Schneemobile zu fahren, die hier fast jeder Einwohner in der Garage stehen hatte. Zwanzig Meilen am Tag konnte man mit diesen Dingern wohl schaffen. Zeltbahn, dicke Schlafsäcke und jede Menge gefriergetrocknetes Lebensmittelkonzentrat konnte man sich einpacken...

Sicher. Und wenn am Vail-Paß eine Lawine auf uns zukommt, winken wir ihr mit einer Packung gefriergetrockneter Karotten, und sie wendet sich angewidert ab und geht uns aus dem Weg. Es ist verrückt!

Er löschte das Licht. Aber es dauerte lange, bis er einschlief. Beim Frühstück sagte er: »Tom, möchtest du gern nach Boulder zurück?« »Fran sehen? Und Dick und Sandy? Meine Fresse, nichts auf der Welt möcht' ich lieber als das! Glaubst du, daß sie mein kleines Haus weggegeben haben?«

»Nein, bestimmt nicht. Ich meine: Wäre es dir ein Risiko wert?« Tom sah ihn verwirrt an, und Stu wollte gerade die Frage noch einmal einfacher stellen, als Tom sagte: »Meine Fresse, alles ist ein Risiko, oder nicht?« Und damit war es entschieden. Sie verließen Grand Junction am letzten Novembertag.

Das Schneemobilfahren brauchte er Tom nicht beizubringen. Stu fand eine Monster-Maschine in einem Schuppen des Colorado Highway Department unweit des Holiday Inn. Das Gefährt hatte einen superstarken Motor, eine Verkleidung, um den Wind abzuhalten, und, was das wichtigste war, viel Platz für Gepäck. Es war früher offensichtlich zum Transport von Rettungsgeräten benutzt worden. Hinten war ein großer offener Raum, in dem ein Hund von Kojaks Größe bequem untergebracht werden konnte. Was sie sonst noch brauchten, besorgten sie sich aus den vielen Sport- und Freizeitgeschäften am Ort. Dabei gab es kaum Schwierigkeiten, obwohl die Supergrippe am Sommeranfang zugeschlagen hatte. Sie nahmen leichte Zeltbahnen und leichte Schlafsäcke mit, ebenso ein Paar Langlaufskier (obschon allein der Gedanke, Tom die Grundkenntnisse des Skilanglaufs beibringen zu müssen, Stu das Blut in den Adern gefrieren ließ), einen großen Coleman-Gaskocher, Lampen, Gasflaschen, Ersatzbatterien, Nahrungskonzentrate und ein Garand-Gewehr mit Zielfernrohr.

Am ersten Tag um zwei Uhr mittags wußte Stu, daß seine Angst, sie könnten einschneien und verhungern, grundlos gewesen war. Der Wald wimmelte förmlich von Wild. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Später am Nachmittag schoß er ein Stück Rotwild. Das erste seit seiner Schulzeit. Damals hatte er die Schule geschwänzt, um mit seinem Onkel Dale auf die Jagd zu gehen. Das Tier, das sie geschossen hatten, war eine magere Ricke gewesen, und ihr Fleisch hatte stark nach Wild und ziemlich bitter geschmeckt, weil sie zuviel Nesseln gefressen hatte, wie Onkel Dale sagte. Das Tier, das Stu heute erlegt hatte, war ein schöner, schwerer Bock mit breiter Brust. Aber schließlich, dachte Stu, als er das Tier mit einem großen Messer ausweidete, hat der Winter gerade erst angefangen, und Mutter Natur hat ihre eigene Art, mit Übervölkerungsproblemen fertig zu werden.