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»Das freut mich, Tommy.«

Und wenig später waren sie wieder unterwegs und fuhren unter der hellen kalten Weihnachtssonne nach Osten zu den Bergen hinauf.

In dieser Nacht kampierten sie am Loveland-Paß in der Nähe des höchsten Punktes, fast 3500 Meter über dem Meeresspiegel. Während die drei gemeinsam gut geschützt schliefen, sanken die Temperaturen auf etwa sechs Grad unter Null. Kalt wie die Klinge eines Küchenmessers fegte der Wind über den Loveland-Paß. Im Sternenglanz der Winternacht heulten unter den hohen Schatten der Felsen die Wölfe. Nach Osten und Westen hin schien die Welt unter ihnen eine einzige Gruft zu sein.

Früh am nächsten Morgen, noch vor dem ersten Licht, weckte Kojak sie mit seinem Gebell. Mit dem Gewehr in der Hand kroch Stu nach draußen.

Zum ersten Mal kamen die Wölfe in Sicht. Sie waren aus den Schluchten gekommen und bildeten fast einen Ring um ihr Lager. Sie heulten nicht, sondern starrten nur stumm herüber. Ihre Augen hatten einen tiefgrünen Schimmer, und die Tiere schienen herzlos zu grinsen.

Stu gab wahllos sechs Schüsse ab, und sie zerstreuten sich. Einer fuhr hoch und sank als Bündel in sich zusammen. Kojak lief hin und beschnüffelte den Kadaver. Dann urinierte er darauf.

»Die Wölfe sind seineGeschöpfe. Und sie werden es immer sein.«

Tom schien noch halb zu schlafen. Seine Augen blickten schläfrig und verträumt. Stu wurde plötzlich klar, daß Tom wieder in jenen unheimlichen, tranceähnlichen Zustand verfallen war.

»Tom... ist er tot? Weißt du das?«

»Er stirbt nie«, sagte Tom. »Er ist in den Wölfen, meine Fresse, ja.

Den Krähen. Den Klapperschlangen. Er ist der Schatten einer Eule um Mitternacht und der Skorpion am hellen Mittag. Er hängt mit dem Kopf nach unten bei den Fledermäusen, und er ist blind wie sie.«

»Wird er zurückkommen?« fragte Stu drängend. Er fühlte sich eiskalt.

Tom antwortete nicht.

»Tommy...«

»Tom schläft. Er ist gegangen, den Elefanten zu sehen.«

Draußen erschien ein kalter weißer Streifen am Himmel und schob sich hinter der gezackten Öde der Berggipfel langsam höher.

»Ja. Sie warten. Sie warten. Sie warten auf Nachricht. Sie warten auf den Frühling. Alles in Boulder ist ruhig.«

»Kannst du Frannie sehen?«

Toms Miene hellte sich auf. »Frannie, ja. Sie ist dick. Ich glaube, sie kriegt ein Kind. Sie wohnt bei Lucy Swann. Lucy kriegt auch ein Kind. Aber Frannie kriegt ihres zuerst. Außer...« Toms Miene verfinsterte sich wieder.

»Tom? Außer was?«

»Das Baby...«

» Was ist mit dem Baby?«

Tom sah sich verwirrt um. »Haben wir nicht Wölfe geschossen? Bin ich eingeschlafen, Stu?«

Stu zwang sich zu einem Lächeln. »Ein wenig, Tom.«

»Ich habe von einem Elefanten geträumt. Komisch, was?«

»Ja.« Was ist mit dem Baby? Was ist mit Fran?

Er begann den Verdacht zu hegen, daß sie zu spät kommen würden; daß was immer Tom gesehen hatte, geschehen würde, bevor sie ankamen.

Drei Tage vor Neujahr war mit dem guten Wetter Schluß, und sie mußten in der kleinen Stadt Kittredge bleiben. Sie waren Boulder jetzt schon so nahe, daß diese weitere Verzögerung für sie eine bittere Enttäuschung war - selbst Kojak schien aufgeregt und ruhelos zu sein.

»Können wir bald weiterfahren, Stu?« fragte Tom hoffnungsvoll.

»Ich weiß es nicht«, sagte Stu. »Ich hoffe. Hätten wir nur zwei Tage länger schönes Wetter gehabt, hätte es gereicht, glaub' ich. Verdammt!« Er seufzte, zuckte die Achseln. »Na ja, vielleicht sind es nur Schneeschauer.«

Aber es waren keine Schneeschauer, wie sich herausstellte. Es war der stärkste Sturm des Winters. Fünf Tage hielt der Schneefall an, und es bildeten sich Verwehungen, die an manchen Stellen drei, ja bis zu vier Meter hoch waren. Als sie sich am zweiten Januar ins Freie gruben, war die Sonne so klein und trübe wie eine angelaufene Kupfermünze, und die Landschaft hatte sich in eine endlose weiße Wüste verwandelt, in der keine markanten Punkte mehr zu erkennen waren. Der größte Teil des kleinen Einkaufs viertels der Stadt war zwar nicht vom Schnee begraben, aber unzugänglich. Der Wind hatte die Schneewehen und Schneedünen zu bizarren, gekrümmten Gebilden geformt. Sie hätten sich ebensogut auf einem anderen Planeten befinden können.

Als das Wetter aufklart e, ging es langsamer voran als je zuvor. War es vorher nur lästig gewesen, ständig die Straße suchen zu müssen, so war es jetzt ein ernsthaftes Problem. Wiederholt blieb das Schneemobil stecken, und sie mußten es freischaufeln. Und am zweiten Tag des Jahres 1991 begann wieder das Güterzuggerumpel der Lawinen.

Am vierten Januar erreichten sie die Stelle, wo die US 16 von der Interstate abzweigt und nach Golden führt, und obwohl keiner von ihnen es wußte - es hatte keine Träume oder Vorahnungen gegeben -, war dies der Tag, an dem Frannie Goldsmith' Wehen begannen.

»Okay«, sagte Stu, als sie an der Abzweigung anhielten. »Jetzt haben wir wenigstens keine Mühe mehr, die Straße zu finden. Sie ist aus dem soliden Fels herausgesprengt worden. Wir hatten allerdings verdammtes Glück, die Abzweigung zu finden.«

Auf der Straße zu bleiben war leicht, aber durch den Tunnel zu kommen war schwer. Manchmal mußten sie die Überreste von Lawinen beseitigen. Und auf der blanken Straße in den Tunneln brüllte und knatterte das Schneemobil gequält.

Schlimmer noch, es war unheimlich in den Tunneln - was ihnen sowohl Larry als auch der Mülleimermann hätte sagen können. Sie waren schwarz wie Grubenschächte, von dem schmalen Lichtkegel des Schneemobils abgesehen, denn beide Ausgänge waren meistens von Schnee verschüttet. In den Tunneln fühlte man sich wie in einen dunklen Kühlschrank eingesperrt. Es ging quälend langsam voran, und die Ausfahrt am anderen Ende zu schaffen, erforderte einigen technischen Einsatz. Stu hatte Angst davor, auf einen Tunnel zu stoßen, der unpassierbar war, ganz gleich, welche Mühe sie sich auch gaben, die Wagen, die in den Tunnels steckengeblieben waren, aus dem Weg zu schieben oder zu heben. Denn wenn das passierte, wären sie gezwungen, umzukehren und wieder die Interstate zu befahren. Und das würde bedeuten, daß sie mindestens eine Woche Zeit verlören. Das Schneemobil einfach stehenzulassen, kam nicht in Frage - dies wäre einer qualvollen Methode des Selbstmords gleichgekommen.

Und dabei war Boulder nahe, so nahe.

Am siebten Januar, zwei Stunden nachdem sie sich aus einem weiteren Tunnel herausgewühlt hatten, stand Tom hinten im Schneemobil auf und zeigte nach vorn. »Was ist das, Stu?«

Stu war müde und mißmutig, nicht voll auf der Höhe. Die Träume kamen nicht mehr, aber auf perverse Weise war das noch beängstigender, als wenn sie kamen. »Steh während der Fahrt nicht dauernd auf, Tom. Wie oft soll ich dir das noch sagen? Am Ende fällst du hinten runter und kopfüber in den Schnee und...«

»Ja, aber was ist es? Es sieht wie eine Brücke aus. Haben wir denn irgendwo einen Fluß gesehen, Stu?«

Stu schaute hin, nahm das Gas weg und hielt an.

»Was ist es?« fragte Tom besorgt.

»Die Überführung«, murmelte Stu. »Ich... ich kann es einfach nicht glauben...«

»Überführung? Überführung?«

Stu drehte sich um und packte Tom bei den Schultern. »Die Überführung bei Golden, Tom! Das ist die 119 da oben, Route 119!

Die Straße nach Boulder! Wir sind nur noch zwanzig Meilen von der Stadt entfernt. Vielleicht noch weniger.«

Endlich begriff Tom. Sein Unterkiefer klappte herunter, und er machte ein so komisches Gesicht, daß Stu laut lachen mußte. Er klopfte Tom auf die Schulter. Nicht einmal der dumpfe Schmerz in seinem Bein störte ihn mehr.

»Sind wir wirklich fast zu Hause, Stu?«

»Ja, ja, jaaaaa

Sie faßten sich an den Händen und tanzten unbeholfen im Schnee herum. Sie bewarfen sich mit dem Zeug. Kojak schaute erstaunt zu... aber nach einer Weile sprang er ebenso ausgelassen im Schnee herum, bellend und schwanzwedelnd.