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Sergei sank bewusstlos in seinem Stuhl zusammen, während Caitlin sich mit blutverschmiertem Gesicht aufrichtete und zufrieden lächelte. Sie hatte einen neuen Geschmack entdeckt. Und nichts würde dem je wieder im Wege stehen.

7. Kapitel

Grace O’Reilly, Detective der New Yorker Mordkommission, öffnete die Tür zur Carnegie Hall und wusste sofort, dass es schlimm werden würde. Sie hatte die Presse schon öfter außer Rand und Band erlebt, aber noch nie so wie jetzt. Die Reporter überschlugen sich förmlich und waren ungewöhnlich aggressiv.

»Detective!«

Als sie eintrat, riefen sie wiederholt nach ihr, und Blitzlichter flammten auf.

Als Grace und ihre Beamten durch das Foyer gehen wollten, wichen sie nicht einen Millimeter zur Seite. Grace war vierzig Jahre alt, muskulös und abgebrüht. Sie hatte kurze schwarze Haare und dunkle Augen, und sie war tough. Eigentlich war sie daran gewöhnt, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, aber diesmal war es nicht einfach. Die Reporter witterten eine Riesenstory, und sie würden nicht nachgeben. Das würde der Polizei das Leben deutlich schwerer machen.

Ein junger internationaler Star, der auf dem Zenit seines Ruhms und seiner Macht ermordet wurde, und das mitten in der Carnegie Hall während seines Debüts in den USA … Die ganze Presse war bereits versammelt, um über das Debüt zu berichten. Auch ohne das kleinste Problemchen wären Berichte über seine Darbietung in den Zeitungen überall auf der Welt zu lesen gewesen. Selbst wenn er nur gestolpert und gestürzt wäre oder sich den Fuß verstaucht hätte, wäre die Story auf sämtlichen Titelseiten gelandet.

Und jetzt das! Ermordet. Mitten in dem verdammten Konzert. Nachdem er erst wenige Minuten zuvor gesungen hatte. Das war einfach zu viel. Die Presse hatte sich förmlich darauf gestürzt, und sie würde ganz sicher nicht lockerlassen.

Mehrere Journalisten hielten ihr Mikrofone vors Gesicht.

»Detective Grant! Angeblich soll Sergei von einem wilden Tier umgebracht worden sein. Ist das wahr?«

Sie ignorierte sie alle und setzte die Ellbogen ein, um an ihnen vorbeizugelangen.

»Warum waren die Sicherheitsvorkehrungen in der Carnegie Hall nicht besser, Detective?«, wollte ein anderer Reporter wissen.

Der nächste rief: »Es heißt, man habe es mit einem Serienmörder zu tun. Er wird schon der ›Beethoven-Schlächter‹ genannt. Können Sie dazu Stellung nehmen?«

Als sie endlich die andere Seite des Foyers erreicht hatte, drehte sie sich zu den Journalisten um.

Die Menge wurde still.

»Beethoven-Schlächter?«, wiederholte sie. »Fällt euch denn nichts Besseres ein?«

Bevor die Journalisten weitere Fragen stellen konnten, verließ sie zügig den Raum.

Grace stieg zusammen mit den anderen Kripobeamten die Hintertreppe der Carnegie Hall hinauf. Währenddessen wurde sie von ihren Kollegen mit Informationen versorgt. Aber in Wahrheit hörte sie kaum zu. Sie war müde. Letzte Woche hatte sie gerade mal ihren vierzigsten Geburtstag gefeiert, und sie wusste, dass sie noch nicht so müde hätte sein dürfen. Aber die langen Abende im März mit den ganzen Überstunden hatten sie geschafft, und sie brauchte dringend ein wenig Erholung. Das hier war bereits der dritte Mord in diesem Monat, die Selbstmorde nicht mitgezählt. Sie sehnte sich nach warmem Wetter, nach etwas Grün und nach weichem Sand unter den Füßen. Kurzum: Sie wollte ein anderes Leben.

Als sie den Gang betraten, der zum Backstagebereich führte, warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Ein Uhr nachts. Auch ohne nachzusehen, war ihr klar, dass die Spuren am Tatort inzwischen verdorben waren. Warum nur hatte man sie nicht früher geholt?

Sie hätte heiraten sollen, wie ihre Mutter es ihr geraten hatte. Damals, mit dreißig. Zu der Zeit hatte sie einen Freund gehabt. Er war nicht perfekt gewesen, aber es hätte klappen können. Doch sie hatte sich an ihre Karriere geklammert, genau wie ihr Vater. Sie hatte gedacht, das sei es, was ihr Vater wollte. Inzwischen war ihr Vater tot, und sie hatte nie wirklich herausgefunden, was er wollte. Sie war müde. Und einsam.

»Keine Zeugen«, sagte einer der Beamten, die sie begleiteten. »Die Gerichtsmedizin meint, es wäre zwischen 22:15 Uhr und 22:28 Uhr passiert. Es gibt keine Anzeichen für einen Kampf.«

Grace gefiel dieser Tatort nicht. Zu viele Leute waren in die Ermittlungen involviert, und zu viele waren vor ihr hier gewesen. Jeder Schritt, den sie unternahm, würde genau beobachtet werden. Und gleichgültig, wie großartig die Ermittlungsarbeit war, die sie leisten würde – den Verdienst würde sich schlussendlich jemand anders auf die Fahnen schreiben. Zu viele Abteilungen waren involviert, und das bedeutete strategische Verwicklungen.

Schließlich ließ sie die letzten Reporter hinter sich und betrat den abgesperrten Bereich, zu dem nur ausgewählte Beamte Zutritt hatten. Als sie den Flur dort entlangging, wurde es endlich ruhiger. Endlich konnte sie wieder in Ruhe nachdenken.

Die Tür zu seiner Garderobe war angelehnt. Sie streifte sich Latexhandschuhe über und schob die Tür vorsichtig ganz auf.

In ihren zwanzig Dienstjahren bei der Polizei hatte sie schon alles erlebt. Sie hatte Leichen gesehen, die auf jede erdenkliche Art und Weise umgebracht worden waren, selbst auf Arten, die sie sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht hätte vorstellen können. Aber so etwas hatte sie noch nie gesehen.

Nicht, weil das hier besonders blutig gewesen wäre. Nicht, weil schreckliche Gewalt angewendet worden wäre. Nein, es war etwas anderes. Etwas Unwirkliches. Es war zu ruhig. Alles war in perfekter Ordnung. Alles außer der Leiche natürlich. Der Tote saß zusammengesunken in seinem Stuhl, sein Hals war entblößt. Und dort waren zwei vollkommene Löcher zu sehen, direkt in seiner Halsschlagader.

Kein Blut. Keine Kampfspuren. Keine zerrissene Kleidung. Alles war sauber und ordentlich. Es war, als hätte eine Fledermaus sein Blut ausgesaugt und wäre dann davongeflogen, ohne etwas zu berühren. Es war gespenstisch und absolut grauenerregend. Wäre seine Haut nicht so weiß gewesen, hätte man geglaubt, dass er noch lebte und nur ein Nickerchen hielt. Sie war sogar versucht, zu ihm zu gehen und nach seinem Puls zu suchen. Aber ihr war klar, wie dumm das gewesen wäre.

Sergei Rakow. Er war zwar noch jung, aber nach dem, was sie gehört hatte, ein arrogantes Arschloch gewesen. Konnte er also bereits Feinde gehabt haben?

Wer zum Teufel konnte das getan haben? Ein Tier? Ein Mensch? Eine neuartige Waffe? Oder war er es selbst gewesen?

»Der Angriffswinkel schließt Selbstmord als Todesursache aus«, erklärte Detective Ramos. Er stand mit seinem Notizblock neben ihr und las – wie immer – ihre Gedanken.

»Ich will alles wissen, was wir über ihn in Erfahrung bringen können«, forderte sie. »Ich will wissen, wem er Geld schuldete. Ich will wissen, wer seine Feinde waren – ich will wissen, wer seine Exfreundin und wer seine zukünftige Ehefrau war. Ich will alles. Vielleicht ist er den falschen Leuten auf die Füße getreten.«

»Ja, wird erledigt«, antwortete Ramos und eilte aus dem Zimmer.

Warum wohl würde jemand genau diesen Zeitpunkt auswählen, um ihn zu ermorden? Warum während der Pause? Steckte eine Botschaft dahinter?

Langsam ging sie durch den mit dickem Teppich ausgelegten Raum und betrachtete den toten Sänger aus jeder möglichen Perspektive. Er hatte lange, gewellte schwarze Haare und war sogar jetzt noch auffallend attraktiv. Was für eine Verschwendung.

Just in dem Moment, als sie das dachte, wurde es plötzlich laut im Raum. Alle Polizisten drehten sich gleichzeitig um. Ein kleiner Fernseher in der Ecke hatte sich eingeschaltet. Er zeigte Aufnahmen des Konzerts vom heutigen Abend. Beethovens Neunte erfüllte das Zimmer.

Einer der Beamten ging Richtung Fernseher, um ihn abzuschalten.