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Ein anderes Ratsmitglied beugte sich vor. »Wer ist denn dein Vater?«, wollte er wissen.

Warum musste er sie ausgerechnet danach fragen? Es war die eine Frage, die sie sich ständig selbst gestellt hatte, ihr ganzes Leben lang. Wer war er? Warum hatte sie ihn nie kennengelernt? Warum hatte er sie verlassen? Die Antwort auf diese Frage war das, was sie sich mehr als alles andere im Leben wünschte. Und sie konnte sie definitiv nicht liefern.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie schließlich.

Der Vampir lehnte sich zurück, als hätte er einen Sieg errungen. »Siehst du?«, sagte er. »Halbblüter werden nicht verwandelt. Und nie kennen sie ihre Eltern. Du hast dich geirrt, Caleb. Du hast einen großen Fehler gemacht.«

»Die Lehre besagt, dass der oder die Auserwählte ein Halbblut sein uns zu dem verlorenen Schwert führen wird«, widersprach Caleb herausfordernd.

»Die Lehre besagt, dass ein Halbblut den Messias bringen wird«, stellte das Mitglied des Gremiums richtig. »Nicht sein wird.«

»Das ist Haarspalterei«, antwortete Caleb. »Ich sage euch, dass der Krieg begonnen hat und dass sie uns zu dem Schwert führen wird. Die Zeit vergeht. Wir müssen uns von ihr zu dem Schwert führen lassen. Es ist unsere einzige Hoffnung.«

»Das sind doch alles Ammenmärchen«, warf ein anderer Vampir ein. »Dieses Schwert, von dem ihr da redet, existiert gar nicht. Und sollte es doch existieren, wäre es bestimmt kein Halbblut, das uns zu ihm führen würde.«

»Wenn wir es nicht tun, dann werden es andere tun. Sie werden sie gefangen nehmen, das Schwert finden und es gegen uns verwenden.«

»Du hast einen schweren Regelverstoß begangen, indem du sie hierhergebracht hast«, wiederholte nun ein Vampir, der ganz außen saß.

»Aber ich …«, begann Caleb.

»ES REICHT!«, rief der Anführer.

Es wurde still.

»Caleb. Du hast vorsätzlich mehrere Gesetze unseres Clans gebrochen. Du hast deinen Posten verlassen. Du hast deine Mission nicht erfüllt. Du hast einen Krieg entfacht. Und du hast uns alle in Gefahr gebracht – wegen eines Menschen. Sie ist nicht einmal ein Mensch, sondern ein Halbblut, und du hast sie in unsere Mitte gebracht. Damit gefährdest du uns alle.

Wir verurteilen dich zu fünfzig Jahren Gefangenschaft. Du wirst dieses Gelände nicht mehr verlassen. Und du wirst dieses Halbblut unverzüglich von hier fortschaffen.

Und jetzt geh.«

13. Kapitel

Caitlin und Caleb standen zusammen auf der großen offenen Terrasse von The Cloisters und blickten in die Nacht hinaus. In der Ferne war der Hudson River zu erkennen, der zwischen den kahlen Bäumen hervorblitzte.

»Du musst mir einige Fragen beantworten, Caleb«, sagte sie leise, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten.

»Ich weiß«, antwortete Caleb.

»Was mache ich hier? Was glaubst du, wer ich bin?«, fragte Caitlin. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie den Mut aufbrachte, ihre letzte Frage zu stellen: »Und warum hast du mich gerettet?«

Caleb starrte ziellos in die Ferne. Sie hatte keine Ahnung, was er dachte und ob er überhaupt antworten würde.

Schließlich wandte er ihr das Gesicht zu. Sie sahen sich in die Augen, und die Intensität seines Blicks war überwältigend. Sie hätte nicht wegsehen können, selbst wenn sie es versucht hätte.

»Ich bin ein Vampir«, erklärte er rundheraus. »Ich gehöre zum Whitetide Clan. Ich lebe seit mehr als dreitausend Jahren, und achthundert davon habe ich mit diesem Clan verbracht.«

»Warum bin ich hier?«

»Die Vampirclans und die verschiedenen Vampirrassen führen ständig Krieg gegeneinander. Ihr Revier ist ihnen sehr wichtig. Unglücklicherweise bist du mitten hineingestolpert.«

»Was meinst du?«, fragte sie. »Wie denn?«

Er sah sie verwirrt an. »Erinnerst du dich nicht mehr?«

Sie starrte ihn verständnislos an.

»Deine Beute. Du warst der Auslöser für alles.«

»Beute?«

Langsam schüttelte er den Kopf. »Du erinnerst dich wirklich nicht mehr. Das ist charakteristisch für die erste Tötung. Es läuft immer so ab.« Er sah ihr in die Augen. »Du hast letzte Nacht jemanden umgebracht. Einen Menschen. Du hast sein Blut getrunken. In der Carnegie Hall.«

Um Caitlin herum drehte sich alles. Sie konnte kaum glauben, dass sie fähig sein sollte, jemandem etwas zuleide zu tun, aber tief in ihrem Innern spürte sie, dass es wahr war. Doch sie hatte Angst zu fragen, wer das Opfer gewesen war. Konnte es Jonah gewesen sein?

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fügte Caleb hinzu: »Der Opernsänger.«

Caitlin konnte das alles kaum begreifen. Es war zu unwirklich. Es war, als wäre sie gerade mit einem schwarzen Brandzeichen markiert worden, das sie nie wieder loswerden würde. Sie fühlte sich furchtbar. Und außer Kontrolle.

»Warum habe ich das getan?«, fragte sie.

»Du hattest Hunger«, erklärte er. »Warum du allerdings diesen Ort und diesen Zeitpunkt gewählt hast, weiß niemand. Damit hat dieser Krieg begonnen. Du hast dich im Revier eines anderen Clans befunden – eines sehr mächtigen Clans.«

»Also war ich nur zur falschen Zeit am falschen Ort?«

Er seufzte. »Ich weiß es nicht. Vielleicht steckt auch mehr dahinter.«

»Was willst du damit sagen?«

»Vielleicht solltest du dort sein. Vielleicht war es deine Bestimmung.«

Sie überlegte. Sie fürchtete sich davor, die nächste Frage zu stellen. Doch schließlich überwand sie sich. »Bedeutet all das, dass … ich ein Vampir bin?«

Er wandte sich ab. Nach einer kurzen Pause erwiderte er: »Ich weiß es nicht.«

Dann sah er sie wieder an. »Du bist kein richtiger Vampir, aber du bist auch kein richtiger Mensch. Du bist irgendwo dazwischen.«

»Ein Halbblut?«, hakte sie nach.

»So würden sie es nennen. Ich bin mir da nicht so sicher.«

»Was genau ist das eigentlich?«

»Ein Vampir, der bereits als Vampir geboren wurde. Es verstößt gegen unser Gesetz und unsere Lehre, Nachwuchs mit einem Menschen zu zeugen. Manchmal kommt es jedoch vor, dass ein ungehorsamer Vampir es trotzdem tut. Wenn die Menschenfrau sein Kind zur Welt bringt, ist es ein Halbblut. Nicht ganz Mensch, nicht ganz Vampir. Unsere Rasse sieht allerdings auf Halbblüter herab. Die Strafe für die Kreuzung mit einem Menschen ist der Tod. Ohne Ausnahme. Und das Kind wird verstoßen.«

»Aber du hast doch gesagt, dass euer Messias ein Halbblut sein wird, oder nicht? Wie können sie denn auf sie herabsehen, wenn eines davon ihr Erlöser sein wird?«

»Das ist das Paradoxe an unserer Religion«, gab er zu.

»Erzähl mir mehr«, hakte sie nach. »Inwiefern unterscheidet sich ein Halbblut von einem Vampir?«

»Echte Vampire trinken von dem Augenblick ihrer Verwandlung an Blut. Halbblüter fangen gewöhnlich erst damit an, wenn sie erwachsen werden.«

Sie fürchtete sich bereits vor der Antwort auf ihre nächste Frage.

»Wann ist das?«

»Mit achtzehn.«

Caitlin überlegte angestrengt. Das ergab Sinn. Sie war vor Kurzem achtzehn geworden, und ihre Gelüste hatten gerade begonnen.

»Halbblüter sind sterblich«, fuhr Caleb fort. »Sie können sterben wie normale Menschen. Wir dagegen können das nicht. Um ein echter Vampir zu sein, muss man von einem echten Vampir verwandelt werden, und es muss gewollt sein. Es ist nicht erlaubt, einfach irgendjemanden zu verwandeln – sonst würde unsere Rasse sich zu stark vermehren. Daher muss man vorab die Erlaubnis des Rates einholen.«

Caitlin runzelte die Stirn und versuchte, all das zu begreifen.

»Du verfügst zwar über manche unserer Eigenschaften, aber nicht über alle. Und da du nicht reinrassig bist, werden die Vampire dich leider nicht akzeptieren. Jeder Vampir gehört zu einem Clan. Es ist zu gefährlich, keinen Clan zu haben. Normalerweise würde ich einen Antrag stellen, dich aufzunehmen. Aber angesichts der Tatsache, dass du ein Mischling bist … sie würden es nie erlauben. Kein Clan würde dich als Mitglied akzeptieren.«