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Caitlin schluckte. Wenn es noch etwas Schlimmeres gab, als herauszufinden, dass sie nicht vollkommen menschlich war, dann war es, herauszufinden, dass sie gar nichts richtig war.

Sie gehörte nirgendwo dazu, weder hier noch dort, sondern steckte zwischen zwei Welten.

»Was war denn das für ein Gerede über den Messias? Darüber, dass ich … die Auserwählte sein soll?«

»Gemäß unserer Lehre soll eines Tages ein Bote, ein Messias, kommen und uns zu dem verlorenen Schwert führen. Es heißt, dass irgendwann ein Krieg ausbrechen wird, ein letzter, ultimativer Krieg zwischen allen Vampirrassen, ein Krieg, der sogar auf die menschliche Rasse übergreifen wird. Das ist unsere Version der Apokalypse. Das Einzige, was sie aufhalten und uns alle retten kann, ist das verlorene Schwert. Und die einzige Person, die uns zu ihm führen kann, ist der Messias. Als ich heute miterlebt habe, was mit dir geschehen ist, war ich überzeugt, dass du es bist. Ich habe noch nie gesehen, dass ein Vampir immun gegen Weihwasser ist.«

Sie sah zu ihm auf.

»Und jetzt?«, wollte sie wissen.

Er blickte in die Ferne.

»Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«

Caitlin spürte, wie sich Verzweiflung in ihr breitmachte.

»Also ist das der einzige Grund, warum du mich gerettet hast?«, fragte sie. Sie zögerte, weil sie Angst vor der Antwort hatte. »Weil du geglaubt hast, ich würde euch zu einem verlorenen Schwert führen?«

Caleb starrte sie verwirrt an.

»Was sollte es sonst für einen Grund geben?«, erwiderte er.

Die Antwort nahm Caitlin komplett den Wind aus den Segeln, als hätte er ihr einen heftigen Schlag versetzt. All die Liebe, die sie für ihn empfunden hatte, die beiderseitige Verbundenheit, die sie sich eingebildet hatte – all das löste sich in Luft auf. Am liebsten hätte sie geweint. Sie wollte weglaufen, aber sie wusste nicht, wohin. Sie schämte sich so sehr.

»Na ja«, bemerkte sie und unterdrückte die Tränen, »zumindest wird es deine Frau freuen, dass du nur deinen Job erledigt hast und keine Gefühle für eine andere hegst – oder für irgendetwas anderes außer einem blöden Schwert.«

Dann drehte sie sich um und eilte davon. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollte, aber sie musste auf jeden Fall weg von ihm. Ihre Gefühle waren übermächtig, und sie wurde nicht schlau aus ihnen.

Doch sie war erst wenige Schritte weit gekommen, als sie eine Hand auf ihrem Arm spürte. Er drehte sie zu sich um und sah ihr in die Augen.

»Sie ist nicht meine Frau«, erklärte er leise. »Wir waren einmal verheiratet, das stimmt, aber das ist siebenhundert Jahre her. Die Ehe hat nur ein Jahr gehalten. Leider vergessen Vampire nichts, also gibt es auch kein richtiges Ende.«

Caitlin schüttelte seine Hand ab. »Nun, was auch immer sie für dich ist, sie wird sich freuen, dich zurückzubekommen.«

Caitlin ging auf die Treppe zu.

Erneut hielt er sie auf, diesmal überholte er sie und stellte sich ihr in den Weg.

»Ich weiß nicht, wodurch ich dich verletzt habe«, sagte er, »aber was ich auch getan habe, es tut mir leid.«

Es ist eher das, was du nicht getan hast, hätte Caitlin gerne gesagt. Es ist, dass du mich nicht magst, dass du mich nicht liebst. Dass ich für dich nur eine Sache war, ein Mittel zum Zweck. So war es bisher mit jedem Jungen, den ich kennengelernt habe. Aber ich hatte geglaubt, dass es diesmal vielleicht anders wäre.

Doch sie sprach ihre Gedanken nicht aus, sondern senkte nur den Kopf und gab sich große Mühe, nicht zu weinen. Leider gelang es ihr nicht. Heiße Tränen liefen ihr übers Gesicht. Da berührte plötzlich eine Hand ihr Kinn und hob es an. Er zwang sie, ihn anzusehen.

»Es tut mir leid«, sagte er noch einmal. Es klang aufrichtig. »Du hattest recht. Es war nicht der einzige Grund, warum ich dich gerettet habe.« Er holte tief Luft. »Ich empfinde etwas für dich.«

Caitlins Herz schlug schneller.

»Aber du musst verstehen: Es ist verboten. Die Gesetze sind diesbezüglich äußerst streng. Ein Vampir kann niemals mit einem Menschen, einem Halbblut oder sonst jemandem zusammen sein, der kein echter Vampir ist. Die Strafe wäre der Tod. Daran führt kein Weg vorbei.«

Caleb senkte den Blick.

»Verstehst du das?«, fuhr er schließlich fort. »Wenn ich Gefühle für dich hätte und nicht nur um das Allgemeinwohl besorgt wäre, hätte das meinen Tod zur Folge.«

»Und was soll jetzt aus mir werden?«, fragte sie. Sie sah sich um. »Hier bin ich eindeutig nicht willkommen. Wohin soll ich gehen?«

Caleb schüttelte den Kopf.

»Nach Hause kann ich auch nicht«, fügte sie hinzu. »Ich habe kein Zuhause mehr. Die Polizei sucht nach mir. Diese bösen Vampire suchen nach mir. Was soll ich bloß tun? Soll ich alleine da hinausgehen? Ich weiß doch nicht einmal mehr, was ich bin.«

»Ich wünschte, ich wüsste eine Antwort. Ich habe es versucht. Ich habe es wirklich versucht. Aber mehr kann ich nicht tun. Man kann sich dem Rat nicht widersetzen. Das würde für uns beide das Todesurteil bedeuten. Ich bin zu fünfzig Jahren Haft verurteilt worden und kann dieses Gelände nicht verlassen. Wenn ich es täte, würde mein Clan mich für immer verbannen. Das musst du verstehen.«

Caitlin wandte sich zum Gehen, aber er hielt sie erneut auf.

»Du musst es einfach verstehen! Du bist nur ein Mensch. Dein Leben wird in spätestens achtzig Jahren vorbei sein. Aber ich habe noch Tausende von Jahren vor mir. Dein Leiden ist kurz; meins ist endlos. Ich kann es nicht riskieren, für immer aus meinem Clan verstoßen zu werden. Der Clan ist alles, was ich habe. Ich liebe dich. Ich hege starke Gefühle für dich, obwohl ich das selbst nicht richtig verstehe. In all den Jahren habe ich so etwas noch nie erlebt. Aber ich kann es einfach nicht riskieren, diese Mauern zu verlassen.«

»Ich frage dich noch einmal«, unterbrach sie ihn. »Was soll aus mir werden?«

Er sah nur zu Boden.

»Ich verstehe. Das ist nicht mehr dein Problem.«

Caleb wollte noch etwas erwidern, aber diesmal war sie verschwunden. Wirklich weg.

Schnell überquerte sie die Terrasse und stieg die Steintreppe hinunter. Dann steuerte sie auf die Bronx zu und verschwand in der dunklen New Yorker Nacht. Noch nie hatte sie sich so einsam gefühlt.

14. Kapitel

Begleitet von einer kleinen Gruppe Vampire marschierte Kyle den Gang entlang. Ihre Schritte hallten von den Steinwänden wider. Einer seiner Helfer leuchtete ihnen mit einer Fackel den Weg.

Sie näherten sich der Kommandozentrale, einer unterirdischen Kammer, die nur von solchen Vampiren betreten wird, die eine ausdrückliche Erlaubnis erhalten haben. Kyle war noch nie hier gewesen. Aber an diesem Tag war er vom obersten Meister höchstpersönlich herzitiert worden. Die Angelegenheit musste also ernst sein. In viertausend Jahren war Kyle noch nie hierherbestellt worden. Aber er hatte von anderen gehört, denen das widerfahren war. Sie waren gekommen und nie wieder zurückgekehrt.

Kyle schluckte schwer und beschleunigte seinen Schritt. Er war immer schon der Meinung gewesen, dass man unangenehme Dinge am besten schnell hinter sich brachte.

Schließlich kamen sie an eine große Tür. Sie stand offen, wurde aber von mehreren Vampiren bewacht. Kalt erwiderten sie seinen Blick. Doch dann traten sie zur Seite und machten den Weg frei. Nachdem Kyle durch die Tür getreten war, streckten sie ihre Stäbe aus und hinderten die anderen daran, ihm zu folgen. Die Tür schlug hinter Kyle zu.

Drinnen standen Dutzende von Vampiren in strammer Haltung an beiden Seiten des Raumes. Vorne in der Mitte entdeckte er einen mächtigen Marmorthron, und darin saß Rexus, der oberste Meister.

Kyle trat mehrere Schritte vor, neigte den Kopf und wartete darauf, dass Rexus das Wort an ihn richtete.

Der Meister starrte ihn aus seinen kalten, harten eisblauen Augen an.

»Erzähl mir alles über diesen Menschen oder das Halbblut … oder was auch immer sie ist. Alles, was du weißt«, forderte Rexus Kyle auf. »Und über diesen Spion. Wie konnte er sich einschleusen?«