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Er schüttelte den Kopf.

»Ich möchte, dass du mir noch einmal alles erzählst, was du über sie weißt«, forderte sie. »Wiederhole, wie du sie kennengelernt hast.«

»Diese Frage habe ich bestimmt schon tausend Mal beantwortet«, erwiderte Jonah frustriert.

»Ich will es noch einmal hören.«

»Ich habe sie in der Schule kennengelernt. Sie war neu. Ich habe ihr meinen Sitzplatz angeboten.«

»Was geschah dann?«

»Wir sind ins Gespräch gekommen, haben uns später zufällig in der Cafeteria getroffen. Dann habe ich sie ins Konzert eingeladen, und sie hat Ja gesagt.«

»Das war alles?«, hakte Detective Grace nach. »Sonst gibt es keine weiteren Einzelheiten, gar nichts?«

Jonah überlegte, wie viel er ihnen verraten sollte. Natürlich gab es noch mehr. Er war von diesen Schlägern vermöbelt worden, und danach hatte Caitlins Tagebuch unerklärlicherweise neben ihm gelegen. Deshalb hatte er vermutet, dass sie da gewesen war – und dass sie ihm geholfen hatte. Vielleicht hatte sie sogar diese Typen verprügelt. Wie sie das gemacht haben sollte, konnte er sich allerdings nicht erklären.

Aber sollte er das den Bullen erzählen? Die Geschichte von den Schlägern? Dass er glaubte, er habe sie dort gesehen? Dass er glaubte, sich daran zu erinnern, dass sie vier Typen verdroschen hatte, die doppelt so groß waren wie sie selbst? Nichts davon ergab einen Sinn, nicht einmal für ihn. Ganz gewiss könnten auch sie sich keinen Reim darauf machen. Sie würden bloß annehmen, dass er log und sich irgendetwas ausdachte. Nein, sie waren hinter ihr her. Und er würde ihnen nicht helfen.

Trotz allem wollte er sie immer noch beschützen. Doch er verstand nicht, was da passiert war. Und ein Teil von ihm glaubte es einfach nicht, wollte es nicht glauben. Hatte sie wirklich diesen Opernsänger umgebracht? Warum? Und hatte er wirklich zwei Löcher im Hals, wie die Zeitungen schrieben? Hatte sie ihn etwa gebissen? War sie vielleicht eine Art …

»Jonah!«, rief Grace ungeduldig. »Ich habe gefragt, ob da sonst noch etwas ist?«

Die Polizistin starrte ihn an.

»Nein«, antwortete er schließlich. Er hoffte, dass sie nicht merkte, dass er log.

Ein anderer Detective trat vor. Er beugte sich zu Jonah hinunter und sah ihm in die Augen. »Hat irgendetwas von dem, was sie an dem Abend gesagt hat, darauf hingedeutet, dass sie psychisch labil sein könnte?«

Jonah runzelte die Stirn.

»Sie meinen, ob ich denke, dass sie verrückt ist? Warum sollte ich das? Wir haben uns gut verstanden. Ich mag sie. Sie ist klug und nett. Ich unterhalte mich gerne mit ihr.«

»Worüber genau habt ihr gesprochen?« Das war wieder der weibliche Detective.

»Über Beethoven«, entgegnete Jonah.

Die Polizisten tauschten Blicke. Sie sahen so verwirrt und angewidert aus, als hätte er Pornografie gesagt.

»Beethoven?«, fragte einer der Polizisten – ein untersetzter Typ in den Fünfzigern – spöttisch. Jonah war erschöpft und wollte ihm seinen Spott heimzahlen.

»Er war Komponist.«

»Ich weiß, wer Beethoven war, du kleiner Mistkerl!«, schnauzte er Jonah an.

Nun mischte sich noch ein anderer Polizist ein. Er war über sechzig und hatte ein rotes Gesicht. Er stützte sich mit seinen großen Händen auf den Tisch und beugte sich dann so weit vor, dass Jonah seinen schlechten Atem riechen konnte. »Hör mal, Kumpel, das ist kein Spiel. Wegen deiner kleinen Freundin mussten vier Polizisten sterben«, erinnerte er ihn. »Und wir wissen, dass du weißt, wo sie sich versteckt. Du solltest besser den Mund aufmachen und …«

Jonahs Anwalt hob die Hand. »Das ist reine Spekulation, Detective. Sie können meinen Mandanten nicht beschuldigen …«

»Ihr Mandant ist mir scheißegal!«, brüllte der Detective.

Angespanntes Schweigen erfüllte den Raum.

Plötzlich ging die Tür auf, und ein weiterer Polizist kam herein. Er trug Latexhandschuhe und hatte Jonahs Handy dabei. Er legte es vor Jonah auf den Tisch. Jonah freute sich, es zurückzubekommen.

»Habt ihr etwas gefunden?«, fragte einer der Polizisten.

Der Kollege mit dem Handy streifte die Handschuhe ab und warf sie in den Mülleimer. Er schüttelte den Kopf.

»Nichts. Das Handy ist sauber. Vor dem Konzert hat er ein paar Kurzmitteilungen von ihr bekommen, das ist alles. Wir haben ihre Nummer angerufen, aber das Handy ist ausgeschaltet. Jetzt überprüfen wir sämtliche Verbindungen. Übrigens sagt er die Wahrheit: Vor dem gestrigen Tag hat sie ihn noch nie angerufen und ihm auch keine Nachrichten geschickt.«

»Das habe ich Ihnen doch gesagt«, warf Jonah ein.

»Meine Damen und Herren Polizisten, sind wir jetzt fertig?«, fragte Jonahs Anwalt.

Die Polizisten wechselten rasch einen Blick.

»Mein Mandant hat kein Verbrechen begangen. Er hat kooperiert und sämtliche Fragen beantwortet. Außerdem hat er nicht die Absicht, den Staat New York oder auch nur die Stadt zu verlassen. Auch weiterhin steht er Ihnen jederzeit für Fragen zur Verfügung. Ich bitte also darum, dass er jetzt gehen kann. Schließlich ist er noch Schüler und muss morgen früh in die Schule.« Der Anwalt sah auf seine Uhr. »Gentlemen, es ist fast ein Uhr nachts.«

Genau in diesem Moment klingelte und vibrierte es laut. Alle Blicke richteten sich auf Jonahs Handy, das vor ihm auf dem Metalltisch lag. Dann vibrierte es erneut und leuchtete auf. Noch bevor Jonah danach greifen konnte, sah er bereits, von wem die SMS stammte – und alle anderen im Raum sahen es ebenfalls.

Sie war von Caitlin.

Sie wollte wissen, wo er war.

16. Kapitel

Erneut kontrollierte Caitlin ihr Handy. Es war ein Uhr, und gerade hatte sie Jonah eine SMS geschickt. Keine Antwort. Vermutlich schlief er. Wahrscheinlich wollte er ohnehin nichts mehr mit ihr zu tun haben. Aber sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte.

Nachdem sie The Cloisters verlassen hatte, bekam sie in der frischen Nachtluft allmählich wieder einen klaren Kopf. Je weiter sie sich von diesem Ort entfernte, desto besser ging es ihr. Die Wirkung von Calebs Ausstrahlung und Energie ließ nach, und ihr logisches Denkvermögen kehrte zurück.

In seiner Gegenwart war sie aus irgendeinem Grund nicht in der Lage gewesen, klar zu denken. Seine Ausstrahlung hatte sie völlig in seinen Bann gezogen. Sie hatte nur noch an ihn denken können.

Doch seit sie wieder allein war, kehrten die Gedanken an Jonah zurück. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie Caleb mochte – als würde sie Jonah damit hintergehen. Jonah war in der Schule und bei ihrem Date so nett zu ihr gewesen. Sie fragte sich, was er jetzt wohl von ihr hielt, nachdem sie einfach davongerannt war. Wahrscheinlich hasste er sie.

Sie ging durch den Fort Tryon Park und warf erneut einen Blick auf ihr Handy. Glücklicherweise war es sehr klein, sodass sie es in der winzigen Innentasche ihres engen Rocks verstauen konnte.

Irgendwie hatte es alles unbeschadet überstanden, aber der Akku war fast leer. Er war seit fast zwei Tagen nicht mehr aufgeladen worden. Sie wusste, dass es nur noch wenige Minuten dauern konnte, bis sich das Handy ausschalten würde. Hoffentlich würde Jonah vorher antworten. Wenn nicht, hätte sie keine Möglichkeit mehr, ihn zu erreichen.

Schlief er? Ignorierte er sie? Das könnte sie ihm nicht verübeln. Wahrscheinlich würde sie es genauso machen.

Caitlin lief weiter durch den Park. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollte. Das Einzige, was sie wusste, war, dass sie diesen Ort weit hinter sich lassen musste. Sie musste weg von Caleb, weg von den Vampiren, weg von allem. Sie wollte ihr normales Leben zurück. Unbewusst hegte sie die Hoffnung, dass all das einfach verschwinden würde, wenn sie nur weit und lange genug ging. Die aufgehende Sonne würde einen neuen Tag bringen, und vielleicht würde sich herausstellen, dass alles nur ein Albtraum gewesen war.

Wieder kontrollierte sie ihr Handy. Jetzt blinkte es, und aus Erfahrung wusste sie, dass es sich in etwa dreißig Sekunden ganz verabschieden würde. Sie starrte auf das Display, während sie hoffte und betete, dass Jonah sich melden würde. Dass er anrufen und sagen würde: Wo bist du? Ich komme sofort. Dass er sie retten würde.