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»Hey! Nichts da!« Megan Lafferty stellt sich zwischen Chad und dem umgefallenen Baum. »Nun mal ganz mit der Ruhe. Immer schön ruhig.«

»Aus dem Weg, Megan!«

»Hol erst mal tief Luft.«

»Ich will mich nur mit ihr unterhalten.«

Eine peinliche Stille legt sich über die Runde der Anwesenden. Der Rest des Suchkommandos hält sich zurück, steht zwischen den Bäumen, blickt zu Boden, und der Ausdruck auf ihren Gesichtern spiegelt die grässlichen Aufräumarbeiten wider, die sie gerade hinter sich gebracht haben. Einige der Männer haben rot umrandete Augen – das sagt alles.

Als sie von ihrer Holzsammelaktion wieder zurückgekommen sind, den Lärm der Motoren und der Äxte noch immer in den Ohren, konnte sie es kaum fassen, als das Zeltlager völlig zerstört vor ihnen auftauchte. Überreste von Menschen und Untoten lagen inmitten von Blutlachen auf dem Boden zerstreut. Sechzehn Bewohner waren abgeschlachtet, einige von ihnen aufgefressen – neun davon Kinder. Josh Lee Hamilton hat die restlichen Untoten beiseite geschafft und die undankbare Aufgabe zugeteilt bekommen, diejenigen Überlebenden »abzufertigen«, die noch nicht zu Zombies mutiert waren. Niemand sonst besaß die seelische Stärke oder die Kraft, seine Freunde oder Nahestehende in den Kopf zu schießen – auch wenn es hieß, dass sie nur so Erlösung finden würden. Die Inkubationszeit wird komischerweise immer unberechenbarer. Einige Opfer beginnen nach nur wenigen Minuten wieder sich zu bewegen, um dann voller Eifer loszubeißen, während andere Stunden, sogar Tage brauchen, um zur anderen Seite überzutreten. Zu diesem Zeitpunkt befindet Josh sich noch im Camp, beaufsichtigt die Aufräumarbeiten und bereitet die Opfer für ein Massenbegräbnis vor. Es wird noch weitere vierundzwanzig Stunden dauern, um das Zirkuszelt wieder aufzurichten.

»Alter, jetzt hör mal zu. Ernsthaft«, redet Megan Lafferty auf Chad ein, ihre Stimme leise, aber eindringlich. »Ich weiß, dass du Einiges mitmachen musst, aber sie hat doch drei von deinen Mädchen gerettet … Ich habe dir doch gesagt, dass ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Sie hat die Zombies weggelockt, ihr Leben aufs Spiel gesetzt.«

»Ich will …« Chad sieht so aus, als ob er jeden Augenblick entweder zu weinen oder zu brüllen anfangen würde. »Ich will nur … Nur mit ihr reden.«

»Im Lager wartet deine Frau auf dich. Sie wird vor Trauer noch ganz wahnsinnig … Sie braucht dich!«

»Ich will nur …«

Wieder eine Pause, wieder Schweigen. Einer der Väter beginnt, leise im Schatten der Bäume zu schluchzen. Er lässt seine Pistole fallen. Es ist kurz vor fünf Uhr nachmittags, und die Temperaturen fallen. Lilly setzt sich jetzt langsam auf, wischt sich den Mund und versucht, sich zu orientieren. Sie sieht aus wie ein Schlafwandler. Fenster hilft ihr auf die Beine.

Chad blickt zu Boden. »Fuck it.« Er dreht sich um und geht davon.

Am nächsten Tag, unter einem eisigen, bewölkten Himmel, halten die restlichen Überlebenden eine improvisierte Bestattungsfeier ab für ihre gefallenen Freunde und Familienmitglieder.

Beinahe fünfundsiebzig von ihnen stellen sich in einem großen Halbkreis um das Massengrab am östlichen Rand des Lagers auf. Einige der Trauernden tragen flackernde Kerzen in den Händen, schützen die Flammen vor dem bitterkalten Oktoberwind. Andere halten sich vor Trauer aneinander fest und schluchzen unkontrolliert vor sich hin. Der brennende Schmerz, der auf den Gesichtern klar zu erkennen ist – insbesondere auf denen der Eltern –, reflektiert die qualvolle Beliebigkeit dieser von der Plage heimgesuchten Welt. Ihre Kinder wurden mit der Willkürlichkeit und Plötzlichkeit eines Blitzschlags von ihnen genommen, ihr Gesichtsausdruck spiegelt ihre grenzenlose Trostlosigkeit wider, und ihre aufgequollenen Augen schimmern in der unnachgiebigen, silbernen Sonne.

Die Bewohner haben für jedes Grab ein paar Steine in den Lehmboden gesteckt, und die Steinhäufchen erstrecken sich über den langsam ansteigenden Zeltplatz bis hin zum Zaun. Zwischen einigen Steinen wurden ein paar wilde Blumen gesteckt. Josh Lee Hamilton hat extra darauf geachtet, dass Sarah Binghams Grab mit einem kleinen Bukett wunderschöner weißer Rosen geschmückt wurde, die an den Rändern der Obsthaine wie Unkraut wachsen. Der große Mann hatte die freche, schlagfertige Teenagerin in sein Herz geschlossen. Ihr Tod geht auch ihm sehr nahe.

»Herr, wir bitten dich, dass du unsere verlorenen Freunde und Nachbarn aufnimmst«, ertönt jetzt Joshs Stimme vom Zaun her, und der Wind zerrt an seinem olivfarbenem Parka, der seine gewaltigen Schultern bedeckt. Sein tief eingeschnittenes Gesicht ist vor Tränen ganz feucht.

Josh ist baptistisch erzogen worden, und obwohl er mit den Jahren den Großteil seiner religiösen Erziehung hinter sich gelassen hat, wollte er diesen Morgen einige Worte sprechen, hat sogar die anderen darum gebeten. Baptisten geben nicht viel darauf, für die Toten zu beten. Sie glauben, dass die Gerechten im Augenblick des Todes gen Himmel fahren, während die Nichtgläubigen sofort in die Hölle kommen. Und trotzdem wollte Josh das Wort ergreifen.

Noch am Morgen hat er Lilly getroffen, sie kurz in die Arme genommen und ihr etwas Besänftigendes zugeflüstert. Aber er wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Etwas ging in ihr vor, das tiefer als nur Trauer saß. Sie fühlte sich leblos in seinen gigantischen Armen an. Ihr schlanker Körper erbebte immer wieder wie ein verletzter Vogel. Sie hat kaum etwas gesagt, nur darauf bestanden, dass sie allein sein wollte. Zur Beerdigung war sie nicht aufgetaucht.

»Wir bitten dich, bring sie an einen besseren Ort«, fährt er fort, und sein tiefer Bariton überschlägt sich beinahe vor Ergriffenheit. Die Aufräumarbeiten haben tiefe Spuren in ihm hinterlassen. Er versucht, sich zusammenzureißen, aber seine Emotionen lassen seine Stimmbänder erstarren. »Wir bitten dich, dass du … du …«

Er kann nicht weitermachen, dreht sich weg, lässt den Kopf hängen und seinen Tränen freien Lauf. Er kriegt keine Luft mehr, kann nicht an diesem Ort bleiben. Ohne wirklich zu wissen, was er tut, entfernt er sich von der Menge, weg von dem grässlichen, sanften Weinen und den vielen Stoßgebeten.

Heute hat ihm etwas gefehlt, selbst inmitten der Trauer der Beerdigung. Die Tatsache, dass Lilly Caul nicht dabei ist, tut ihm weh, aber er kann es kaum glauben, dass auch Chad Bingham weit und breit nicht zu sehen ist.

»Alles klar bei dir?« Lilly steht am Rand des Lagerplatzes und reibt sich nervös die Hände. Keine fünf Meter hinter ihr ist Chad Bingham.

Der drahtige Mann mit der John-Deere-Kappe antwortet mit einem Schweigen. Er steht einfach nur da, an der Baumgrenze, den Kopf gesenkt mit dem Rücken zu ihr. Seine Schultern hängen herab, als ob das Gewicht der Welt auf ihnen ruhen würde.

Kurz bevor die Beerdigung begann, überraschte Chad Bingham Lilly, indem er bei ihr im Zelt auftauchte, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Er meinte, dass er ein paar Sachen ins Lot rücken wolle. Beteuerte ihr, dass er sie nicht für Sarahs Tod verantwortlich machte, und Lilly glaubte ihm, als sie den herzzerreißenden Blick in seinen Augen sah.

Deshalb ist sie ihm auch hierher gefolgt, an den nördlichen Rand des Camps, zu einer kleinen Lichtung inmitten der dichten Bäume. Sie ist keine zwanzig Quadratmeter groß, der Boden mit Kiefernnadeln übersät. Um sie herum liegen mit Moos bewachsene Steine. Über ihnen rauscht das Blattwerk, welches das graue Tageslicht in dicken Strahlen einlässt. Die kalte Luft riecht nach Zerfall und Tierkot.

Die Lichtung ist weit genug vom Lager entfernt, dass man sie nicht einsehen kann.

»Chad …« Lilly will etwas sagen, will ihm beichten, wie sehr es ihr leid tut. Es ist das erste Mal, seit sie ihn kennt, dass sie ihn als ganz normalen, zerbrechlichen Menschen sieht. Anfangs war sie wegen seiner Affäre mit Megan entsetzt, insbesondere da er es ganz offen vor den Augen seiner Frau mit ihr getrieben hat. Jetzt aber zeigt er Schwäche, Furcht, Emotionen, ist verwirrt und von dem Verlust seiner Tochter am Boden zerstört.