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»Du bringst ihn um!«

Josh dreht sich um. Er sieht Lilly hinter sich stehen. Sie ist zu Brei geschlagen, mit Wunden übersät, den Mund voller Blut und kaum fähig, zu stehen, geschweige denn, sich vernünftig zu artikulieren. Sie schaut ihn mit ihren wässrigen Augen an. Er zieht sie an sich, umarmt sie, und ihm steigen Tränen in die Augen. »Wie geht es dir?«

»Mir geht es gut … Ich bitte dich, Josh … Du musst aufhören, ehe du ihn umbringst!«

Josh will ihr schon widersprechen, fängt sich aber noch rechtzeitig. Dann wendet sie sich dem Häufchen Elend auf dem Boden zu und sieht das Resultat seines Amoklaufs. Während dieser fürchterlichen, totenstillen Pause – Josh bewegt zwar die Lippen, aber es kommt kein Ton aus seinem Mund – beäugt er den eingefallenen Körper, der in einer Lache seiner eigenen Körperflüssigkeiten liegt und sich nicht mehr bewegt.

Vier

Schön still halten, Kleines.« Bob Stookey dreht Lillys Kopf vorsichtig in den Händen, damit er ihre dicken, angeschwollenen Lippen besser untersuchen kann. Behutsam tupft er etwas Antibiotikum auf das rohe, entblößte Fleisch und meint: »Gleich haben wir es, Lilly.«

Sie zuckt vor Schmerz zusammen. Bob kniet neben ihr, der Erste-Hilfe-Kasten steht auf dem Boden. Lilly liegt auf einer Pritsche. Das Zelt scheint in der nachmittäglichen Sonne zu glühen, die durch die besudelte Plane dringt, doch die Luft ist kalt, und es riecht nach Desinfektionsmittel und abgestandenem Alkohol. Über Lillys Bauch und Brust liegt eine Decke.

Bob braucht einen Drink. Und zwar schnell. Seine Hände fangen bereits an zu zittern. In der letzten Zeit hat er immer wieder Flashbacks von seiner Zeit beim Militär gehabt, als er noch im Marine Hospital Corps stationiert gewesen war.

Vor elf Jahren ist er in Afghanistan gewesen und hat Bettpfannen im Camp Dwyer gewechselt. Das scheint jetzt Millionen Jahre her zu sein. Eigentlich hätte es ihn auf das hier vorbereiten sollen. Schon damals hat Saufen ihn über Wasser gehalten, und sie haben ihn mit Biegen und Brechen aus der Medizinschule in San Antonio entlassen, weil er dort auch schon über die Stränge geschlagen hat. Jetzt kommt der Krieg ihn immer wieder besuchen. Die mit Granatsplitter durchlöcherten Körper im Nahen Osten waren nichts gegen die Schlachtfelder, welche dieser Krieg hinterließ. Bob träumt noch manchmal von Afghanistan – die Untoten mischen sich plötzlich unter die Taliban, und die toten, kalten, ergrauenden Arme sprießen wie Bäume aus den Zeltwänden der mobilen Krankenhäuser.

Aber Lilly Caul wieder zusammenzuflicken ist etwas ganz anderes für Bob – es ist viel schlimmer als ein Sanitäter nach einer Schlacht zu sein oder die Überreste einer Zombie-Attacke aufzuräumen. Bingham hat sie ordentlich zugerichtet. Soweit Bob es ausmachen kann, hat sie mindestens drei gebrochene Rippen, eine schlimme Quetschung des linken Auges – welche vielleicht eine innere Blutung und mit etwas Pech sogar das Ablösen der Netzhaut zur Folge haben könnte – wie auch eine ganze Anzahl heftiger Verletzungen und Platzwunden im Gesicht. Bob traut sich nicht so recht auch nur so zu tun, als ob er ihr helfen könnte. Weder seine Vorräte noch seine eigenen Fähigkeiten sind ausreichend. Aber Bob ist der Einzige weit und breit, der sich auch nur annähernd mit so etwas auskennt. Es bleibt ihm also nichts anderes übrig, als ihr aus Bettlaken, gebundenen Büchern und Bandagen eine Schiene für ihre Rippen zu basteln und seine dahinschwindenden Reserven von Desinfektionscreme auf ihre oberflächlichen Wunden zu schmieren. Lillys Augen machen ihm am meisten Sorgen. Er wird sie beobachten müssen, um sicherzugehen, dass sie auch vernünftig verheilen.

»Da, das war es schon«, sagt er schließlich und tupft ein letztes Mal auf ihrer Lippe herum.

»Vielen Dank, Bob.« Lilly kann sich aufgrund der angeschwollenen Lippen nur schwer artikulieren. Ihr »S« klingt, als ob sie lispelt. »Schick die Rechnung doch bitte an meine Versicherung.«

Bob lacht ohne große Belustigung auf und hilft ihr, die Jacke über ihr neues Korsett und die ebenfalls in Mitleidenschaft gezogenen Schultern zu ziehen. »Was zum Teufel ist denn da draußen passiert?«

Lilly seufzt und setzt sich auf, um den Reißverschluss ihrer Jacke vorsichtig zu schließen. Die stechenden Schmerzen lassen sie immer wieder zusammenzucken. »Es ist etwas … Es ist alles etwas außer Rand und Band geraten.«

Bob findet endlich seinen verbeulten Flachmann voll billigem Schnaps, lehnt sich auf seinem Klappstuhl zurück und nimmt einen großen Schluck. »Wenn es auch auf der Hand liegt: Die ganze Geschichte bringt niemandem etwas.«

Lilly schluckt, und es kommt ihr vor, als ob sich Glassplitter in ihrem Hals befinden. Ihr kastanienbraunes Haar hängt ihr strähnig ins Gesicht. »Was du nicht sagst.«

»Es findet in diesem Moment eine große Versammlung im Zirkuszelt statt.«

»Wer ist alles dabei?«

»Simmons, Hennessy, ein paar ältere Männer, Alice Burnside … du weißt schon … Alles Kinder der Revolution. Josh ist … Nun, ich habe ihn noch nie so erlebt. Der ist völlig durch den Wind. Sitzt einfach nur vor seinem Zelt wie eine Sphinx … gibt keinen Ton von sich … Starrt einfach nur ins Nichts. Meint, er wird genau das machen, was sie wollen.«

»Was soll das denn heißen?«

Bob nimmt einen weiteren Schluck seiner Medizin. »Lilly, das alles ist so neu. Jemand hat einen Überlebenden ermordet. Diese Leute haben sich noch nie mit so etwas abgeben müssen.«

»›Ermordet?‹«

»Lilly …«

»So soll das jetzt also heißen?«

»Lilly, ich will damit doch nur sagen, …«

»Ich muss mit ihnen reden.« Lilly versucht aufzustehen, aber der Schmerz verbietet es ihr.

»Hey, hey, hey! Immer sachte, immer schön sachte.« Bob lehnt sich vor und hilft ihr. »Ich habe dir gerade genug Codein verabreicht, um ein Pferd lahmzulegen.«

»Verdammt noch mal, Bob. Ich werde es nicht zulassen, wenn sie Josh dafür lynchen wollen.«

»Eins nach dem anderen. Zuallererst gehst du nirgendwohin, nicht in diesem Zustand.«

Lilly lässt den Kopf hängen. Eine einzige Träne tropft aus ihrem rechten Auge. »Es war … nicht vorsätzlich, Bob.«

Bob blickt sie an. »Vielleicht solltest du dich einfach darauf konzentrieren, dass du wieder gesund wirst. Was hältst du davon?«

Lilly hebt den Kopf und schaut ihn an. Ihre kaputte Lippe ist dreimal so groß, wie sie eigentlich sein sollte, in ihrem linken Auge ist kein Weiß mehr zu sehen, und die Augenhöhle verfärbt sich bereits schwarz. Sie zieht den Kragen ihrer Jacke hoch und beginnt vor Kälte zu zittern. Sie trägt eine ganze Menge an komischen Schmuck, der Bob ins Auge sticht: Makramee-Armbändchen, Perlen und winzige Federn, die in ihre kastanienbraunen Strähnen eingearbeitet sind und ihr lädiertes Gesicht bedecken. Bob Stookey versteht nicht, wie sich eine Frau in dieser Welt noch immer auf Mode und ihr Aussehen konzentrieren kann. Aber das ist Teil von Lilly Cauls Charme, Teil ihres Wesens. Angefangen mit dem kleinen Tattoo einer bourbonischen Lilie im Nacken bis hin zu den perfekt eingerissenen und wieder geflickten Jeans ist Lilly ein Mädchen, das aus zehn Dollar und einem Nachmittag in einem Secondhandshop einen ganzen Kleiderschrank voll Klamotten schaffen kann. »Es war alles meine Schuld, Bob«, sagt sie schließlich mit heiserer, schläfriger Stimme.

»So ein Schwachsinn«, entgegnet Bob Stookey, nachdem er einen weiteren Schluck vom Flachmann genommen hat. Vielleicht hilft der Alkohol, seine Zunge zu lösen, denn er fasst seine Verbitterung auf einmal in Worte. »Ich nehme an, dass er es verdient hat. So, wie der drauf war …«

»Bob, das ist nicht …«