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Josh antwortet nicht.

Martinez hört plötzlich auf zu lächeln. In dem spärlichen grünen Licht macht er auf einmal den Eindruck, als ob er sich an bessere Zeiten erinnert, vielleicht an eine Familie, vielleicht an etwas Schmerzhaftes. »Ich rede über Wohnungen mit weichen Betten, Privatsphäre … Lattenzäune und Bäume und so.«

Eine lange Pause folgt.

»Ich will dich etwas fragen, Martinez.«

»Na dann schieß los.«

»Wie bist du hier gelandet?«

Martinez stößt einen Seufzer aus. »Um ganz ehrlich zu sein, ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern.«

»Wie soll das denn gehen?«

Er zuckt erneut mit den Schultern. »Ich war allein, Exfrau ist gebissen worden. Mein Kind hat sich auf und davon gemacht. Ich habe mich um gar nichts anderes mehr gekümmert, als Beißer ins Jenseits zu befördern. Hab einen ganzen Haufen dieser hässlichen Biester um die Ecke gebracht. Dann wurde ich von ein paar Typen in einem Graben gefunden, und die haben mich hierher geschleppt. Ich schwöre auf das Grab meiner Mutter – das ist alles, an das ich mich erinnern kann.« Er neigt den Kopf etwas zur Seite, als ob er noch einmal über das Geschehene nachdenkt. »Ich bin froh, dass sie es getan haben, insbesondere jetzt.«

»Was soll das denn heißen?«

Martinez wirft ihm einen Blick zu. »Das hier ist nicht gerade perfekt, aber zumindest befinden wir uns in Sicherheit – und es wird immer sicherer. All das verdanken wir großteils dem Typen, der hier das Sagen hat.«

Josh erwidert seinen Blick. »Ist das der Boss, den du gerade erwähnt hast?«

»Genau.«

»Und wann, hast du gesagt, sollen wir ihn treffen?«

Martinez hält eine behandschuhte Hand in die Höhe, was so viel bedeuten soll wie: Wartet es nur ab. Dann holt er ein Handfunksprechgerät aus der Brusttasche seines Flanellhemds, drückt auf einen Knopf und fängt zu reden an. »Haynes, wir fahren zum Gericht … Die warten bereits auf uns.«

Lilly und Josh tauschen erneut einen Blick aus, als der Truck vor ihnen von der Hauptstraße über den Marktplatz abbiegt, auf dem eine Statue von Robert E. Lee eine bewachsene Pagode bewacht. Sie fahren auf ein steinernes Regierungsgebäude am anderen Ende des Platzes zu, dessen Stufen in der schneebedeckten Dunkelheit geisterhaft schimmern.

Der Versammlungssaal befindet sich im hinteren Gebäudeteil am Ende eines langen, schmalen Korridors, von dem verglaste Türen an beiden Seiten den Blick auf das Innere von Büros freigeben.

Josh und seine Truppe finden sich in dem chaotischen Durcheinander des Hauptsaals wieder. Ihre nassen Stiefel verunreinigen den sowieso schon geschundenen, hölzernen Parkettboden. Sie sind erschöpft und nicht in der Laune, auf das Woodbury-Empfangskomitee zu warten, aber Martinez rät ihnen, sich zu gedulden.

Der wässrige Schnee klatscht an die hohen Fenster, und die Minuten verstreichen nur langsam. Der Saal wird von kleinen Heizöfen warm gehalten und von Kerosinlampen erhellt. Es sieht ganz so aus, als ob der Saal als Austragungsort mehrerer heftiger Scharmützel gedient hätte. Der herabfallende Putz weist Anzeichen von vergangenen Gewalttaten auf, der Boden ist mit umgestürzten Stühlen überhäuft, zwischen denen zerfledderte Akten herumflattern. Josh blickt sich um, sieht Blutspuren an der vorderen Wand neben einer ausgefransten Flagge des Staates Georgia. Generatoren brummen im Keller des Gebäudes vor sich hin, wodurch der Boden permanent bebt.

Sie warten etwas über fünf Minuten – Josh wandert auf und ab, Lilly und die anderen sitzen auf Stühlen –, ehe Geräusche schwerer Stiefel im Gang hallen. Dann ertönt ein Pfeifen. Es kommt immer näher.

»Willkommen, Leute! Willkommen in Woodbury.« Die nasale Stimme, die vom Türrahmen an ihre Ohren dringt, ist tief und voll geheuchelter Freundlichkeit.

Sie drehen sich um.

Sie sehen drei Männer, drei lächelnde Gesichter, die sich mit den eiskalten Augen, die sie anstarren, nicht in Einklang bringen lassen. Der Mann in der Mitte besitzt eine merkwürdige Aura, die Lilly an Pfaue und Kampffische erinnert. »Wir können hier immer gute Leute gebrauchen«, sagt er und tritt ein.

Der Mann ist schlank und knochig, trägt einen zerlumpten Matrosenpullover. Sein pechschwarzes Haar hängt fettig von seinem Schädel herunter. Im Gesicht trägt er einen Bartschatten, den er offensichtlich zu einem Fu-Manchu-Schnurrbart heranziehen will. Außerdem hat er einen kaum merkbaren nervösen Tick, blinzelt viel zu oft.

»Ich bin Philip Blake«, stellt er sich vor. »Und das hier ist Bruce. Bruce und Gabe.«

Die anderen Männer – beide sind schon etwas älter – folgen Blake wie Wachhunde. Sie grüßen kaum außer einem flüchtigem Gegrunze und Genicke und halten sich stets hinter dem Mann namens Philip.

Zu seiner Linken steht Gabe. Er ist weiß, ein wahrer Hüne von Mann mit einem dicken Nacken und US-Marine-Haarschnitt. Bruce, zu seiner Rechten, ist ein mürrischer Schwarzer mit Glatze. Beide halten Ehrfurcht gebietende Maschinengewehre vor der Brust, die Finger am Abzug. Für einen Augenblick ist Lilly von den Waffen völlig fasziniert.

»Tut mir leid, das mit den schweren Geschützen«, entschuldigt sich Philip und deutet auf die Waffen hinter sich. »Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung letzten Monat, und es gab einen Augenblick, da sah es nicht so gut aus. Jetzt wollen wir kein Risiko mehr eingehen, steht viel zu viel auf dem Spiel. Und mit wem habe ich die Ehre …?«

Josh stellt die kleine Gruppe vor, geht dabei im Saal herum und endet bei Megan.

»Du siehst wie jemand aus, die ich mal gekannt habe«, sagt Philip zu Megan. Er kann seine Augen nicht von ihr lassen. Lilly mag nicht, wie der Typ ihre Freundin anschaut – er macht es zwar nicht offensichtlich, aber es stört sie trotzdem.

»Das höre ich öfter«, erwidert Megan.

»Oder vielleicht sieht sie aus wie ein Promi. Jungs, sieht sie nicht wie ein Promi aus?«

Die »Jungs« hinter ihm haben keine Meinung. Philip schnippst mit den Fingern. »Die Tusse aus Titanic

»Carrie Winslet?«, rät Gabe.

»Du Vollidiot! Die heißt nicht Carrie, sondern … Kate … Kate … Kate fucking Winslet.«

Megan lächelt Philip schief an. »Mir wurde gesagt, dass ich wie Bonnie Raitt aussehe.«

»Ich liebe Bonnie Raitt«, schwärmt Philip. »Das sollte genügen, um die Leute zum Tratschen zu bringen, die Gerüchteküche anzuheizen.«

Josh meldet sich zu Wort. »Sie sind also der Boss, von dem wir so viel gehört haben?«

Philip wendet sich dem großen Mann zu. »Schuldig im Sinne der Anklage.« Philip lächelt, tritt auf Josh zu und reicht ihm die Hand. »Wollen wir uns nicht duzen? Josh, oder?«

Josh schüttelt ihm die Hand, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht bleibt verhalten, unverbindlich und höflich. »Gern. Ja, Josh. Wir wollen dir danken, dass wir hierbleiben können, wenn wir uns auch noch nicht sicher sind, wie lange das sein wird.«

Philip schenkt ihm erneut ein Lächeln. »Ihr seid doch gerade erst hier angekommen. Entspannt euch. Schaut euch ein bisschen um. Ihr werdet keinen sichereren Ort finden, das könnt ihr mir glauben.«

Josh nickt zustimmend. »Sieht ganz so aus, als ob ihr das Problem mit den Zombies unter Kontrolle habt.«

»Ach, die schauen immer noch oft genug vorbei – da will ich euch gar nicht anlügen. Alle paar Wochen verirrt sich ein Schwarm und geht uns auf die Nerven. War ganz schön böse das letzte Mal, aber die Stadt wird mit jeder Minute sicherer.«

»Sieht ganz so aus.«

»Ich gehe mal gleich ans Eingemachte: Hier herrscht das Tauschsystem.« Philip Blake blickt sich um, mustert jeden der Neuankömmlinge wie ein Coach, der sein neues Team einschätzt. »Wie ich gehört habe, habt ihr heute einiges vom Walmart mitgehen lassen.«