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In der Ferne lächelt der Alte, als der Alkohol seine Kehle benetzt, und der drahtige Mann kennt den Gesichtsausdruck irgendwoher. Die Grimasse – voller Scham und Trostlosigkeit – lässt den drahtigen Mann ganz sentimental, beinahe mitfühlend werden. Der Alte steckt den Flachmann wieder ein und macht sich angetrunken halb gehend, halb stolpernd in Richtung Hauptstraße auf – ein Gang, wie viele Obdachlose ihn nach Jahren auf der Straße haben. Der drahtige Mann folgt ihm.

Bald schon kann er sich nicht mehr zurückhalten, ruft dem Spritti hinterher: »Hey, Kumpel!«

Bob Stookey hört eine Stimme – rau, mit dem typischen Akzent einer südlichen Kleinstadt –, aber er kann nicht ausmachen, woher sie kommt.

Bob hält mitten auf der Hauptstraße inne und schaut sich um. Die Stadt ist wie leer gefegt. Liegt wohl am Regen, der die Bewohner vom Ausgehen abhält.

»Bob, oder?«, fragt die Stimme. Sie ist näher gekommen, und Bob erspäht endlich den Mann, der hinter ihm die Straße entlangläuft.

»Oh, hi … Alles klar?«

Der Mann schlendert zu Bob und schenkt ihm ein gequältes Lächeln. »Mir geht es blendend, Bob. Danke.« Kohlschwarze Strähnen hängen ihm ins markante Gesicht. Er trägt etwas. Es ist nass, tropft auf den Bürgersteig. Die Leute in der Stadt nennen den Mann den »Governor« – zumindest der Name ist ihm geblieben –, und das findet er gut so. »Lebst du dich denn ganz gut ein hier in unserem kleinen Städtchen?«

»Kann man so sagen.«

»Schon Doc Stevens getroffen?«

»Jawohl, ein guter Mann.«

»Nenn mich einfach den ›Governor‹.« Das Lächeln wird etwas herzlicher. »So scheinen mich alle hier zu nennen. Ich will mich nicht beschweren. Hört sich gar nicht so schlecht an, finde ich.«

»O.k., Governor«, meint Bob und schaut auf das Bündel in den Händen des Mannes. Blut tropft auf den Bürgersteig. Bob wendet rasch den Blick ab. Damit hat er nicht gerechnet, will sich aber nichts anmerken lassen. »Sieht ganz so aus, als ob es aufgehört hat zu regnen.«

Das Lächeln scheint dem Mann ins Gesicht geätzt. »Komm, Bob. Komm mit mir.«

»Klar doch.«

Sie gehen den kaputten Bürgersteig entlang auf die Barrikade zu, die zwischen den Läden und den Straßen weiter außerhalb verläuft. Das Geräusch von Kompressoren und Nagelpistolen wird vom Wind an ihre Ohren getragen. Die Barrikade wächst und wächst, führt jetzt schon bis ans südliche Geschäftsviertel. »Du erinnerst mich an jemanden«, sagt der Governor schließlich nach einer langen Pause.

»Hm, Kate Winslet wird es wohl nicht sein, oder?« Bob hat genug Alkohol intus, um locker von der Leber reden zu können. Er gluckst in sich hinein. »Und Bonnie Raitt auch nicht. Wette ich drauf.«

»Touché, Bob.« Der Governor blickt auf sein Bündel, bemerkt das Blut, das immer wieder auf den Bürgersteig tropft. »Ach, ich mache ja alles ganz dreckig.«

Bob schaut woandershin, versucht, das Thema zu wechseln. »Macht ihr euch eigentlich keine Sorgen, dass der ganze Lärm mit dem Mauerbau die Zombies anlockt?«

»Das haben wir unter Kontrolle, Bob. Deswegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Wir haben Wachen am Waldrand stationiert und versuchen, den Lärm so niedrig wie möglich zu halten.«

»Das ist beruhigend … Hört sich an, als ob ihr hier alles recht gut organisiert habt.«

»Wir tun unser Bestes, Bob.«

»Ich habe Doc Stevens gesagt, dass er freie Verfügung über meine sämtlichen Arzneimittel hat.«

»Bist du auch Arzt?«

Bob erzählt dem Mann von Afghanistan, vom Marines-Zusammenflicken und seiner ehrenhaften Entlassung.

»Hast du Kinder, Bob?«

»Nein … Nur Brenda und ich, für eine halbe Ewigkeit – Brenda war meine Frau. Wir hatten einen Wohnwagen kurz vor Smyrna. Ach, das war noch ein Leben.«

»Bob, dich interessiert wohl mein kleines Päckchen hier. Du starrst die ganze Zeit darauf.«

»Äh, nein. Was auch immer es ist, das hat mich nichts anzugehen. Ist mir völlig egal.«

»Wo ist denn deine Frau?«

Bob wird langsamer, als ob das Thema Brenda Stookey ihm zur Last fällt. »Habe sie während einer Zombie-Attacke verloren. Das war kurz nach dem Anfang der Plage.«

»Tut mir leid.« Sie kommen zu einem Tor in der Wand. Der Governor hält an, klopft einige Male, und das Tor öffnet sich einen Spalt. Der Wind wirbelt etwas Müll auf dem Boden auf, als der Arbeiter das Tor aufmacht und die beiden passieren lässt. »Ich wohne in die Richtung«, meint der Governor und neigt den Kopf gen Osten. »Kleines, zweistöckiges Apartment-Gebäude … Komm doch gleich mit, ich spendier dir auch einen Drink.«

»Oha, in der Villa des Governors?«, witzelt Bob. Er kann es nicht lassen. Seine Nerven und der Alkohol drehen mit ihm durch. »Gibt es denn keine Gesetze, die Sie erlassen müssen?«

Der Governor hält inne, dreht sich zu Bob um und lächelt. »Duz mich doch einfach. Und jetzt weiß ich endlich, an wen du mich erinnerst.«

In diesem Augenblick, in dem grauen Licht des bewölkten Tages, erfährt der drahtige Mann – der von nun an sich nur noch als »Governor« wahrnimmt – eine seismische Verlagerung in seinem Gehirn. Er steht einfach da und mustert diesen groben, tief gezeichneten, alkoholkranken Typen aus Smyrna, der ein Abziehbild von Ed Blake ist – dem Vater des Governors. Ed Blake besaß die gleiche dicke Nase, die gleiche hervortretende Stirn und die gleichen Lachfältchen um seine rot umrandeten Augen. Auch Ed Blake hat viel getrunken, genau wie dieser Typ hier, und besaß den gleichen Humor. Er hatte einen sarkastischen Einzeiler nach dem anderen losgelassen, mit den Worten stets den Punkt getroffen – wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, seine Familie mit seinen großen, schwieligen Händen windelweich zu prügeln.

Auf einmal kommt ein anderer Governor zum Vorschein – ein Teil von ihm, den er tief in sich begraben hat. Ihn ergreift eine Welle sentimentalen Verlangens, die ihn beinahe schwindlig werden lässt. Er erinnert sich an Ed Blake zu glücklicheren Zeiten – ein einfaches Arbeiter-Landei, der lang genug gegen seine Dämonen ankämpfte, um auch ein liebender Vater zu sein. »Du erinnerst mich an jemanden, den ich vor langer, langer Zeit einmal gekannt habe«, sagt der Governor mit sanfter Stimme und blickt Bob Stookey in die Augen. »Los. Es wird Zeit, dass wir etwas trinken.«

Den restlichen Weg durch die sichere Zone reden die beiden Männer ruhig, aber vertraut miteinander, ganz wie alte Freunde.

Der Governor fragt Bob, was genau mit seiner Frau passiert ist.

»Wir haben in diesem Wohnwagenpark gewohnt …«, beginnt Bob langsam mit düsterer Stimme, während er über die Straße humpelt und sich an die schweren Zeiten erinnert. »Die sind einfach gekommen, diese Biester, haben uns überrannt … als ich zurückkam, war es bereits zu spät. Sie haben es geschafft, die Tür zum Wohnwagen aufzubrechen.«

Er hält inne, und der Governor sagt nichts, geht einfach still neben ihm weiter, wartet.

»Die haben sich über sie hergemacht. Ich habe sie verteidigt, so gut ich konnte … Und … die haben gerade mal so viel von ihr übrig gelassen, dass sie selbst zum Zombie wurde.«

Noch eine lange Pause. Bob fährt sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen. Der Governor erkennt, dass der Mann schnell einen Drink, seine Medizin braucht, damit er die Erinnerungen im Zaum halten kann.

»Ich konnte es nicht über mich bringen, sie zu erlösen.« Das keucht er kaum hörbar raus, seine roten Augen füllen sich mit Tränen. »Ich bin nicht stolz auf die Tatsache, dass ich sie am Leben gelassen habe. Bin mir recht sicher, dass sie danach noch den einen oder anderen gebissen hat. Ihren Arm und Unterleib hat es ganz schön erwischt, aber sie konnte immer noch gehen. Ich bin schuld daran, wenn sie andere Leute gebissen hat.«