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Eine Pause.

»Es ist manchmal unmöglich, loszulassen«, gibt der Governor schließlich zu bedenken und blickt auf sein grässliches Bündel. Es tropft jetzt nicht mehr so viel, und das Blut wird dicker, dunkler, wie Molasse. Der Governor merkt plötzlich, wie Bob die Bluttropfen mit gerunzelter Stirn anstarrt. Er sieht beinahe nüchtern aus.

Bob deutet auf das schauerliche Bündel. »Du hast auch jemanden, der zur anderen Seite gegangen ist, richtig?«

»Du bist gar nicht so dumm … Oder, Bob?«

Bob wischt sich nachdenklich den Mund. »Bin nie auf die Idee gekommen, Brenda zu füttern.«

»Komm, Bob. Ich will dir etwas zeigen.«

»Stell dich mal kurz hinter mich, Bob.« Der Governor fummelt mit einem Schlüssel, steckt ihn ins Schloss der Tür im ersten Stock. Die Tür klickt, und ein tiefes Knurren ertönt. »Bob, ich wäre dir dankbar, wenn du das, was du gleich sehen wirst, für dich behalten kannst.«

»Kein Problem.«

Bob folgt dem Governor in eine kleine, spärlich möblierte Dreizimmerwohnung, die nach verwesendem Fleisch und Desinfektionsmittel stinkt. Die Fenster sind mit Rostschutzfarbe bemalt, ein großer Spiegel im Eingangsbereich ist mit Zeitungspapier abgeklebt. Der Spiegel im Badezimmer fehlt. Er muss erst vor Kurzem abgehängt worden sein, denn der helle Fleck hinter ihm an der Wand über dem Waschbecken ist noch sichtbar. In der ganzen Wohnung gibt es keine Spiegel mehr, in denen man sich anschauen könnte.

»Sie bedeutet mir alles in der Welt«, erklärt der Governor. Bob folgt dem Mann durch das Wohnzimmer, einen kurzen Flur entlang und durch eine Tür in eine vollgepackte Wäschekammer, wo der aufrechte Leichnam eines kleinen Mädchens an der Wand festgekettet steht.

»Um Gottes willen.« Bob weicht zurück. Das tote Mädchen – noch immer mit Zöpfen und in einem Schürzenkleid, als ob man sie für die Kirche herausgeputzt hätte – faucht, spuckt und kämpft wild gegen die Ketten an. Bob tritt einen Schritt zurück. »Um Gottes willen!«

»Immer mit der Ruhe, Bob.«

Der Governor kniet sich vor den Mini-Zombie und legt das Bündel auf den Boden. Das Mädchen schnappt mit den Zähnen in der Luft, die schwarzen Zähne klappern. Der Governor packt einen Menschenkopf aus. Die Schädeldecke ist auf einer Seite von einem Schuss zerschmettert.

»Heiliger Bimbam.« Bob sieht, dass der Kopf – die graue Masse in seinem Inneren wimmelt von Maden – mit seiner Igelfrisur einmal einem Soldaten oder einem der Marines gehört hat.

»Das hier ist Penny – sie ist ein Einzelkind«, erklärt der Governor weiter, als er den tropfenden Kopf in Richtung des angeketteten lebenden Kadavers schiebt. »Wir kommen aus einer kleinen Stadt namens Waynesboro. Pennys Mutter – meine wunderbare Frau, Sarah – kam bei einem Autounfall noch vor Ausbruch der Plage ums Leben.«

Das Mädchen beginnt zu fressen.

Bob schaut von der Tür aus zu. Er hört das Geschlabber. »Mein Bruder Brian und ich – zusammen mit ein paar Freunden und Penny –, wir haben uns irgendwann aufgemacht, unser Glück woanders gesucht. Sind nach Westen gezogen, haben uns ein wenig in Atlanta aufgehalten, ein paar Leute getroffen, ein paar Leute verloren, um dann weiter zu ziehen.«

Die kleine Leiche setzt sich und gräbt mit ihren winzigen, rot gefärbten Fingern im Schädel nach den letzten Resten Gehirnmasse.

Die Stimme des Governors senkt sich. »Sind dann auf eine Bande Arschlöcher getroffen, nicht weit von hier.« Es verschlägt ihm die Sprache. Aber keine Träne, und schon bald fängt er sich wieder. »Habe meinem Bruder aufgetragen, sich um Penny zu kümmern, während ich die Bande in Schach halte … Und dann ist eins zum anderen gekommen.«

Bob steht wie angewurzelt da. In dieser stickigen, gekachelten Kammer mit Aufputzrohren und von Schimmel geschwärzten Fugen kriegt er den Mund nicht auf. Er starrt auf die winzige Abscheulichkeit vor ihm, ihr grässliches Gesicht endlich zufrieden. Von ihren wohlgeformten Lippen hängen Fäden von Gehirn, und ihre Augen verschwinden in den Höhlen, als sie sich zurücklehnt.

»Mein Bruder hat richtig Scheiße gebaut, versagt. Ich habe es ihm zu verdanken, dass meine Kleine jetzt so ist, wie sie ist«, fährt der Governor fort. Sein Kopf hängt schlaff nach vorn, das Kinn auf der Brust. Emotionen schwingen in seiner Stimme mit. »Brian war schwach. Mehr gibt es zu dem Thema nicht zu sagen. Aber ich kann einfach nicht loslassen.« Er blickt Bob mit feuchten Augen an. »Ich weiß, dass du das nachvollziehen kannst, Bob. Ich kann mich nicht von meinem kleinen Baby-Mädchen trennen.«

Bob kann das in der Tat nachvollziehen. Seine Brust verkrampft sich, als er voller Trauer an Brenda denkt.

»Ich bin ja selber schuld, dass Penny gestorben und so wiedergekommen ist.« Der Governor starrt zu Boden. »Ich habe sie mit Menschenresten gefüttert, und wir sind weiter gen Westen gezogen. Als wir in Woodbury ankamen, war mein Bruder Brian beinahe wahnsinnig vor Schuldgefühlen.«

Die Kreatur, die einmal ein niedliches Mädchen war, wirft den Schädel zu Boden, als ob es sich um eine aufgegessene Auster handelt. Sie blickt mit ihren milchig-weißen Augen um sich, als ob sie aus einem Traum aufwacht.

»Ich habe meinen Bruder wie einen kranken Hund einschläfern müssen«, murmelt der Governor mehr zu sich selbst als zu Bob. Seine Stimme hat jegliche Farbe verloren. »Ab und zu erkenne ich meine Penny wieder. Gerade wenn sie so ruhig wie jetzt ist.«

Bob schluckt. Widersprüchliche Emotionen schwirren in ihm herum – Ekel, Trauer, Angst, tiefstes Verlangen, sogar Sympathie für diesen kaputten Menschen –, und er lässt den Kopf hängen. »Du hast viel mitgemacht.«

»Schau dir das an, Bob.« Der Governor nickt dem kleinen Zombie zu. Die kindsartige Kreatur neigt den Kopf und starrt den Governor gereizt an. Das Ding blinzelt, und hinter den milchigen Augen scheint für einen Augenblick etwas von Penny zu schimmern. »Mein Baby ist da noch drinnen … Nicht wahr, Kleines?«

Der Governor geht zur angeketteten Gestalt, kniet sich vor sie hin und streift ihr mit der Hand über die bleifarbene Wange.

Bob erstarrt, macht den Mund auf: »Sei vorsichtig, du willst doch nicht …«

»Das ist ein gutes Mädchen.« Der Governor streicht ihr über die Haare. Der winzige Zombie blinzelt erneut. Das blasse Gesicht verändert sich, die Augen werden schmäler, die schwarzen Lippen öffnen sich, um den Blick auf die verrottenden Milchzähne zu gewähren.

Bob nimmt einen Schritt auf ihn zu. »Aufpassen …«

Die Penny-Kreatur schnappt nach dem entblößten Fleisch vor ihrer Nase, aber der Governor zieht das Handgelenk gerade noch rechtzeitig fort. »Hoppla!«

Der kleine Zombie zerrt an den Ketten, rafft sich auf die Beine und greift nach dem Governor, der sich aber schon längst in Sicherheit gebracht hat. Als ob er mit einem Baby spricht, fährt er fort: »Du freches, freches Ding … Hast Daddy beinahe erwischt!«

Bob wird ganz schummrig. Er spürt, wie ihm die Galle hochkommt.

»Bob, bitte tu mir einen Gefallen und greif mal in das Bündel, in dem der Kopf war.«

»Hä?«

»Tu mir den Gefallen und hol den letzten Leckerbissen aus dem Paket.«

Bob schluckt die Kotze wieder runter, dreht sich um, beugt sich zu dem Bündel hinab und schaut hinein. In einer Lache trocknenden Blutes sieht er einen menschlichen Finger, wohl von einem Mann. Haare sprießen von den Knöcheln, und aus einem Ende lugt der Rest eines Knochens hervor.

Irgendetwas passiert mit Bob – es ist, als ob etwas in ihm reißt. Er holt sein Taschentuch hervor, kniet sich hin und holt den Finger aus dem Päckchen.

»Warum gibst du ihn ihr nicht, mein Freund?«, schlägt der Governor vor und stemmt stolz die Hände in die Hüften, während er sich über dem in der Luft schnappenden Zombie-Mädchen aufbaut.

Bob kommt es so vor, als ob sein Körper sich von ganz alleine bewegt. »Yeah, klar.«