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»Dann mal los.«

Bob steht nur wenige Zentimeter vor dem Zombie, der sich mit aller Kraft in die Ketten wirft und versucht, Bob zu beißen. »Yeah … warum nicht?«

Dann streckt er den Arm mit dem Finger in der Hand aus und füttert die Kreatur.

Der kleine Leichnam verschlingt den Leckerbissen, fällt auf die Knie, stopft sich den Finger mit beiden Händen in den Mund. Die fürchterlichen Fressgeräusche und das Knacken von Knochen füllen die Wäschekammer.

Die beiden Männer stehen nebeneinander da und schauen zu. Der Governor legt den Arm um seinen neuen Freund.

Am Ende der Woche haben die Männer die Mauer bis an die Ecke des dritten Häuserblocks entlang der Mill Road ausgeweitet, in dem sich das mit Brettern zugenagelte und mit Graffiti besprühte Postgebäude befindet. Auf der gegenüberliegenden Mauer hat irgendein Witzbold, der wohl irgendwann mal einen Literaturkurs am College besucht hat, die Worte UND SO GEHT DIE WELT ZUGRUND, NICHT MIT GEWALT: MIT EINEM BISS – eine ständige Erinnerung daran, dass die Gesellschaft oder die Regierung, so wie es sie einmal gegeben hat, nicht mehr existiert.

Am Samstag fängt Josh Lee Hamilton endlich bei einem Arbeitstrupp an und schafft Bauholz von einem Bürgersteig zum gegenüberliegenden. Damit verdient er sich genügend Essen, dass Lilly und er weiter etwas zwischen die Zähne kriegen. Mittlerweile hat er keine Wertsachen mehr zum Eintauschen. Die letzten Tage hat er damit verbracht, einfache Tätigkeiten zu verrichten, Toiletten sauber zu machen oder Tiere auszuschlachten. Nicht dass es ihm Spaß machen würde, aber für Lilly tut er es gerne.

Josh hat sich so sehr in die Frau verliebt, dass er nachts in der trostlosen Einsamkeit ihrer Wohnung heimliche Tränen weint, nachdem Lilly in seinen Armen eingeschlafen ist. Er kann es kaum fassen, dass er inmitten dieser chaotischen Welt, dieses Armageddons die Liebe gefunden hat. Gefüllt mit einer waghalsigen Hoffnung zusammen mit den träumerischen Begleiterscheinungen seiner ersten wahren Beziehung in seinem Leben, bemerkt Josh kaum, dass die anderen Mitglieder ihrer Gruppe nicht mehr da sind.

Die kleine Clique scheint sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut zu haben. Ab und zu erhascht Josh einen Blick von Megan – normalerweise nachts, wenn sie halb nackt und stoned von einem Balkon zum anderen steigt. Josh weiß nicht, ob sie noch mit Scott zusammen ist, der im Übrigen wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint. Niemand hat ihn gehört oder gesehen, und die traurige Wahrheit ist, dass ihn auch niemand vermisst. Megan hingegen scheint gut im Geschäft zu sein. Von den ungefähr fünfzig Einwohnern in Woodbury sind weniger als ein Dutzend Frauen – und davon haben nur vier ihre Wechseljahre noch vor sich.

Viel schlimmer aber ist Bobs Aufstieg zum Stadtmaskottchen. Anscheinend hat der Governor – Josh traut diesem Soziopathen von Anführer ungefähr genauso viel wie einem Zombie mit einem Fußballteam Jugendlicher – Gefallen an dem alten Mann gefunden und hält ihn mit Whiskey, Barbituraten und gesellschaftlicher Anerkennung bei Laune.

An diesem Samstagnachmittag jedoch stellt Josh sämtliche Bedenken hinten an, als er eine Palette mit Schindeln und Brettern vor der Barrikade entlädt. Andere Arbeiter nageln das Material fest und bauen die Mauer aus. Manche benutzen Hämmer, andere Nagelpistolen, die an zwei Kompressoren angeschlossen sind. Der Lärm nervt zwar, ist aber erträglich.

»Lad es dahinten ab, bei den Sandsäcken, Kumpel«, weist Martinez Josh an und nickt ihm freundlich zu. An seiner Hüfte hängt ein M1-Maschinengewehr.

Er trägt noch immer sein Kopftuch und das ärmellose Tarnhemd, ist noch immer der gutgelaunte Typ, den sie im Walmart getroffen haben. Josh kann ihn nicht wirklich einschätzen. Er scheint der ausgeglichenste Mann in ganz Woodbury zu sein, aber das soll nicht viel heißen. Er ist verantwortlich für die ständig wechselnden Wachen bei der Mauer. Martinez scheint dem Governor sehr nahe zu stehen, aber man sieht die beiden so gut wie nie zusammen. »Und versuch, so wenig Lärm wie möglich zu machen, Kumpel«, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu.

»Alles klar«, antwortet Josh und nickt, ehe er die Palette ablädt. Er zieht seine Holzfällerjacke aus – in der niedrig stehenden Wintersonne hinterlassen Schweißperlen eine feuchte Spur auf seinem Rücken – und stapelt alles innerhalb von wenigen Minuten auf.

Martinez gesellt sich zu ihm. »Warum holst du dir nicht noch eine Ladung und machst dann Mittag?«

»Wird gemacht«, gehorcht Josh, zieht den Handhubwagen unter der Palette hervor, dreht sich um und geht zurück zur anderen Straßenseite. Seine Jacke samt seiner .38er Police Special lässt er an einem Zaunpfosten baumeln.

Josh vergisst ab und zu, dass die Waffe in der Jacke steckt. Er hat sie nicht mehr benutzt, seitdem sie in Woodbury angekommen sind; die Wachen sind völlig ausreichend.

Während der letzten Woche gab es nur wenige Angriffe – hauptsächlich am Waldrand oder an den Straßen, die aber relativ einfach und schnell von der gut bewaffneten Truppe Wochenendsoldaten abgewehrt wurden. Laut Martinez haben die Anführer von Woodbury ein ganzes Arsenal in einem Gebäude der National Guard gar nicht so weit entfernt gefunden. Lauter Militärzeug, die der Governor weise verteilt hat.

In Wahrheit aber sind die Zombies das kleinste Problem, das der Governor hat. Die Menschen in Woodbury scheinen unter dem Druck des postapokalyptischen Lebens langsam, aber sicher zusammenzubrechen.

Es dauert weniger als fünf Minuten, bis Josh im Lager angekommen ist. Er denkt über Lilly nach, über ihre gemeinsame Zukunft. In Gedanken versunken, bemerkt er nicht den Geruch, der ihn umgibt, als er das hölzerne Gebäude am Rande der Eisenbahngleise erreicht.

Das Lager diente einmal als Vorratsschuppen und Speicher für den südlichen Endbahnhof der Chattooge and Chickamauga Railway. Im zwanzigsten Jahrhundert transportierten sie die gesamte Tabakernte der Umgebung nach Fayetteville zur Weiterverarbeitung.

Josh geht an der Seite des langen, schmalen Gebäudes entlang und lässt den Handhubwagen vor der Tür stehen. Der höchste Punkt des steilen, verwitterten Dachs liegt zehn Meter über der Straße. Der Verschlag ist uralt, heruntergekommen, an einigen Stellen sogar stark beschädigt. Das einzige große Fenster unweit der Tür ist mit Brettern zugenagelt. Das Lager macht eher den Eindruck eines ruinierten Museums, ein Relikt des alten Südens. Jetzt benutzen die Arbeiter es, um das Holz trocken zu halten und Baumaterialien zu lagern.

»Josh!«

Josh hält kurz vor dem Eingang inne, als er eine ihm bekannte Stimme hinter sich hört. Er dreht sich gerade noch rechtzeitig um, um Lilly in ihren abgefahrenen Klamotten – Schlapphut, bunter Schal und Fellmantel, den sie von einer älteren Frau in Woodbury eingetauscht hat – auf ihn zueilen zu sehen. Sie trägt ein müdes Lächeln auf dem Gesicht.

»Meine Kleine! Na, bin ich vielleicht glücklich, dich zu sehen«, begrüßt Josh Lilly und umarmt sie. Sie erwidert seine Geste – nicht unbedingt mit bedingungsloser Hingabe, mehr der platonischen Art –, und Josh überlegt einmal mehr, ob er ihr zu viel zumutet. Oder hat die Tatsache, dass sie nun miteinander schlafen, eine Variable in einer komplexen mathematischen Gleichung verändert? Oder vielleicht wird er einfach nur ihren Anforderungen nicht gerecht? Sie scheint sich ihm gegenüber zurückzuhalten. Nur ein wenig. Aber Josh verdrängt die Zweifel. Vielleicht liegt es ja nur am Stress.

»Können wir reden?«, fragt sie ihn und blickt ihn bedeutungsvoll an.

»Klar doch … Willst du mir währenddessen helfen?«

»Nach dir«, sagt sie und deutet auf den Eingang. Josh dreht sich um und tritt ein.

Der Geruch von totem Fleisch – vermischt mit der schimmligen, stickigen Luft des Lagers – fällt ihnen anfangs gar nicht auf. Auch bemerken sie den Spalt zwischen zwei Balken im hinteren Teil des Lagers nicht, das völlig ungeschützt unweit des Waldrandes steht. Das Gebäude ist mindestens dreißig Meter lang und in Dunkelheit getaucht, überall hängen Spinnweben und Überreste von Gleisen, die bereits so verrostet sind, dass sie den Anschein machen, als ob sie gleich zur Erde bröseln wollen.