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Stinson fummelt noch immer in seiner Visage rum. »Das war Barkers Idee. Das war dumm. Bitte … Ich wollte gar nicht mitmachen, aber Barker war total verrückt! Bitte … BITTE!!!«

Der Governor drückt ein halbes Dutzend Mal ab. Die Schüsse lassen die anderen Männer zusammenzucken.

Die gegenüberliegende Wand explodiert wenige Zentimeter über Stinsons Kopf, ein Stein nach dem anderen löst sich in Luft auf, Staub erfüllt die Luft. Der Lärm ist ohrenbetäubend, die Funken fliegen, und einige Querschläger lassen Putz von der Decke rieseln.

Eine Neonröhre zerbirst und schickt eine Sturzflut an Scherben von der Decke herab, so dass sich alle zu Boden werfen, um in Deckung zu gehen.

Endlich hört der Governor auf, steht einfach nur da, holt tief Luft und blinzelt, ehe er mit Bob unter dem Türrahmen spricht. »Bob, was sich uns hier bietet, ist die Chance, etwas zu lernen.«

Stinson hat sich in die Hose gemacht. Er ist noch immer zu Tode erschrocken, obwohl ihm nichts passiert ist. Er sitzt einfach nur da und weint sanft in seine Hände.

Der Governor humpelt zu dem großen Mann, hinterlässt eine Blutspur hinter sich auf dem Boden. »Verstehst du, Bob … Genau das, was in diesen Männern schwelt, die Tatsache, dass sie so einen Scheiß wie eben gerade versuchen, wird ihnen dazu verhelfen, Superstars in der Arena zu werden.«

Stinson blickt mit rotzverschmiertem Gesicht zum Governor auf, der über ihm steht.

»Sie verstehen es noch nicht, Bob«, fährt der Governor fort und zielt mit dem Lauf erneut auf Stinsons Gesicht, »aber sie haben gerade den ersten Test der Gladiatorenschule von Woodbury bestanden.«

Der Governor starrt Stinson finster an. »Öffne deinen Mund.«

Stinson schluckt auf, zuckt vor Schluchzen und Angst zusammen, ehe er atemlos bettelt: »Bitte, biiittttteeeee …«

»Öffne deinen verkackten Mund!«

Stinson tut, wie ihm geheißen. Bob Stookey wendet sich ab angesichts des drohenden Unheils.

»Siehst du, Bob?«, sagt der Governor langsam und steckt Stinson den Pistolenlauf zwischen die Zähne. Es herrscht totale Stille, und die anderen Männer schauen entsetzt und doch fasziniert zu. »Gehorsam … Mut … Dummheit. Ist das nicht das Motto der Pfadfinder?«

Ohne Vorwarnung zieht der Governor den Lauf aus Stinsons Mund, dreht sich um und humpelt zu Bob. »Was hat Ed Sullivan immer gesagt …? Gonna be a really big sssshooooow!«

Die Anspannung verpufft im Nu und macht drückendem Schweigen Platz.

»Bob, tu mir doch bitte einen Gefallen … Bitte!«, drängt der Governor, als er auf dem Weg zu ihm über die durchlöcherte Leiche des Master Gunnery Sergeant Trey Barker steigt. »Mach hier sauber … Ich will aber nicht, dass du diesen Schwanzlutscher hier zum Krematorium bringst. Lade ihn auf der Krankenstation ab.« Er zwinkert Bob zu. »Ich kümmere mich dann schon um ihn.«

Noch vor Sonnenaufgang am folgenden Tag liegt Megan Lafferty nackt auf dem Rücken in einem kaputten Bett in einem verwahrlosten Studio-Apartment. Ihr ist kalt. Wie heißt die Wache noch mal, die hier wohnt? Denny? Daniel? Megan war letzte Nacht zu stoned, um sich noch irgendwelche Namen merken zu können. Jetzt stößt der junge, schlanke Mann mit dem Kobra-Tattoo zwischen den Schulterblättern mit rhythmischer Regelmäßigkeit in sie, dass das Bett stöhnt und ächzt.

Megan lässt die Gedanken schweifen, starrt zur Decke, konzentriert sich auf die toten Fliegen in der Lampe. Alles, um die schmerzvolle Reibung zu ignorieren, die der Mann mit seinem steifen Pimmel erzeugt.

Im Zimmer befindet sich ein Bett, eine heruntergekommene Kommode, von Motten zerfressene Vorhänge vor dem offenen Fenster, durch das der eisige Dezemberwind pfeift, und Kisten über Kisten mit Proviant. Einige davon sind für Megan, gegen Sex, versteht sich. Von einem Haken an der Tür hängt eine Reihe fleischiger Objekte. Zuerst glaubt sie, es sind getrocknete Blumen.

Nach genauerer Untersuchung jedoch merkt sie, dass es sich um menschliche Ohren handelt. Wohl Trophäen von sämtlichen Untoten, die ihm über den Weg gelaufen sind.

Megan versucht, Lillys letzte Worte zu verdrängen, die sie ihr erst gestern Nacht an der brennenden Öltonne gesagt hat. »Das ist mein Körper, Freundin, und das sind verfickt schwierige Zeiten«, rechtfertigte Megan sich gegenüber Lilly, die aber angewidert antwortete: »Da verhungere ich lieber, als so eine Schlampe zu werden.« Und dann hat Lilly ihr die Freundschaft offiziell gekündigt. Für immer. »Megan, es ist mir egal, du bist mir egal. Ich bin fertig mit dir, will nichts mehr von dir hören, nichts mehr mit dir zu tun haben.«

Jetzt hallen diese Worte in der riesigen Leere wider, die in Megans Seele herrscht. Das Loch in ihrem Inneren ist schon Jahre alt, ein gigantisches Vakuum der Trauer, ein bodenloses Fass von Selbsthass aus den Zeiten ihrer Jugend und Kindheit. Sie hat es nie geschafft, diese Leere auszufüllen, und jetzt, zusammen mit der Plage, hat es sich wie eine eiternde, faulende Wunde geöffnet.

Sie schließt die Augen und stellt sich vor, wie sie in einem dunklen, tiefen Ozean ertrinkt, als ein Geräusch an ihre Ohren dringt.

Sie öffnet die Augen. Das Geräusch ist unverkennbar, kommt von draußen, direkt vor dem Fenster. Leise, aber doch eindeutig ertönt es über dem Wind, wird über die Dächer getragen: Schritte. Schritte von zwei Personen, heimliche Schritte. Zwei Bewohner schleichen sich durch die Dunkelheit.

Das Kobra-Tattoo hat sich mittlerweile abgestoßen, wohl müde von seinen Bemühungen, und ist von Megan heruntergestiegen. Er riecht nach getrockneten Samen, hat schlechten Atem. Kaum hat er sich auf die uringetränkte Matratze gelegt, fängt er zu schnarchen an. Megan steht langsam auf, achtet darauf, den erschöpften Kunden nicht zu wecken.

Vorsichtig schleicht sie sich über den kalten Boden zum Fenster und wagt einen Blick nach draußen.

Der Ort ist noch ganz verschlafen, es herrscht eine graue Finsternis. Man kann die Silhouetten der Schornsteine gegen das dämmrige Morgengrauen erkennen. Dann sieht sie zwei Gestalten, kaum sichtbar durch den Nebel, die sich gen Westen die Mauer entlang bewegen. Ihr Atem ist sichtbar in der kalten Morgenluft. Einer der beiden ist wesentlich größer als der andere.

Dann erkennt Megan Josh Lee Hamilton und Lilly, wie die beiden geisterhaften Gestalten an einer Ecke der Mauer in hundertfünfzig Meter Entfernung innehalten. Wellen der Wehmut durchfluten Megan.

Als die beiden hinter der Barrikade verschwinden, zwingt ein Gefühl des Verlusts Megan auf die Knie, und sie heult in der stinkenden Finsternis für eine halbe Ewigkeit leise vor sich hin.

»Wirf es mir zu, Kleines«, flüstert Josh und blickt zu Lilly auf, die auf der Mauer herumbalanciert – ein Fuß in der Mitte, der andere unterstützend an der Seite. Josh ist sich der schlummernden Wache hundert Meter östlich von ihnen nur zu bewusst. Sie sitzt im Bulldozer, die direkte Sichtlinie ist von einer riesigen Eiche versperrt.

»Hier!« Lilly streift den Rucksack ungeschickt von der Schulter und wirft ihn dann zu Josh auf der anderen Seite. Er fängt ihn mit einer Hand. Darin sind Joshs .38er, ein Spitzhammer mit faltbarem Griff, ein Schraubenzieher, einige Schokoriegel und zwei Flaschen Wasser. Das Ding wiegt mindestens fünf Kilo.

»Sieh dich vor!«

Lilly klettert die Mauer runter und kommt auf der harten Erde auf.

Sie verschwenden keine Zeit und machen sich so schnell wie möglich auf die Socken. Die Sonne geht schon auf, und sie wollen außer Sicht sein, wenn Martinez und seine Kumpane ihre Positionen einnehmen. Josh hat kein gutes Gefühl, was das Leben in Woodbury betrifft. Es scheint so, als ob er durch Arbeiten immer weniger verdient beziehungsweise einzutauschen hat. Gestern hat er mindestens drei Tonnen Material durch die Gegend gewuchtet, und trotzdem behauptet Sam der Metzger, dass Josh noch immer Schulden bei ihm hat, dass er sich durch das Tauschsystem einen unfairen Vorteil einhandeln will, und dass er nie und nimmer den Speck und das Obst abarbeiten kann, das er tagtäglich verschlingt.